Ich schlage ihm leicht vor die Brust. »Spinner.«
Hanno nickt, dann beugt er sich noch einmal vor und haucht einen weiteren Kuss auf meine Lippen. Ehe ich den Kuss erwidern kann, hat Hanno sich schon wieder von mir gelöst. Er marschiert ins Wohnzimmer und ich folge ihm.
»Wann müsst ihr denn los?«, fragt Jana von der Küche aus. »Ich habe ein paar Häppchen vorbereitet.«
»Ein paar?!«, entgegne ich. »Du hast dir viel zu viel Mühe gemacht.«
»Ich muss doch etwas wiedergutmachen bei euch.«
»Indem du uns zwingst, mit dir abzuhängen, statt auf unser Date zu gehen?«
Jana sieht mich betroffen an. »Oh, nein, so meinte ich das doch nicht!«
Innerlich schlage ich mir gegen die Stirn. Ich weiß doch, dass Jana sich immer noch unnötigerweise fertigmacht, weil sie unsere Verabredung nach der Hundeschule falsch eingeschätzt hat. Sie ist definitiv noch nicht so weit, darüber zu lachen.
Ich gehe also auf Jana zu und streiche ihr beruhigend über den Arm. »Das war doch nur ein doofer Scherz, Jana! Wir haben noch etwas Zeit und wir würden gerne mit dir noch ein Gläschen trinken. Und ich bin total scharf auf deine Tapas.«
»Ich auch!«, ruft Hanno und nimmt auf einem der Barhocker Platz. Sofort schnappt er sich eine Scheibe Chorizo. »Mhh, gut!«
Jana lächelt etwas beruhigt. »Willst du auch etwas Sekt?«
»Ich bin zwar mit dem Auto da, aber ein Glas geht schon.«
»Ha!«, mache ich. »Das ist also das Geheimnis hinter deinem perfekten Aussehen trotz Regen.«
»Ja. Das Auto. Nicht die Glatze«, lacht Hanno, während Jana ihm einschenkt. »Aber es ist, wie es ist, irgendwer muss uns ja ins Kino bekommen. Außerdem hasst Ernst Regen.«
»Er hasst Regen?«, frage ich irritiert, weil Sputnik Regen so liebt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das bei anderen Hunden anders ist.
»Ja. Wenn es draußen nass ist, weigert er sich, auch nur einen Schritt mehr zu gehen als nötig. Wenn es unbedingt sein muss, verrichtet er mit Todesverachtung seine Geschäfte, aber zu mehr ist er nicht bereit.«
Jana und ich müssen beide lachen bei der Vorstellung wie der kleine Mops dem großen Hanno im Regen eine Szene macht, weil er sich weigert, nass zu werden.
»Und was machst du dann?«, will Jana wissen.
»Na ja, wenn gar nichts mehr geht, trage ich ihn. Peinlich, aber wahr.«
»Das könnte ich mit Smilla nicht, die hat immerhin zwanzig Kilo«, prustet Jana. »Sie findet Regen auch nicht prickelnd, aber sie lässt sich dann doch immer überreden, hinauszugehen und sich draußen eigenständig zu bewegen. Muss sie auch.«
»Du liebst Regen, nicht wahr, Sputnik?«, frage ich meinen Hund, der als Antwort heftig mit dem Schwanz wedelt. Inzwischen sitzen die Hunde wieder um uns herum und sehen uns aus großen, treuherzigen Augen an in der Hoffnung, dass etwas vom Tisch fällt. Blöderweise fällt aber nichts vom Tisch.
Wie das so ist mit Hundemenschen, erzählen wir uns in der nächsten halben Stunde alle möglichen und unmöglichen Geschichten aus unserem Alltag mit Hund. Dann jedoch verrät mir ein Blick auf die Uhr, dass es Zeit wird, loszufahren, wenn wir unseren Film nicht versäumen wollen.
Jana bringt Hanno und mich noch zur Tür, um uns zu verabschieden.
»Danke noch mal für alles«, sage ich, als ich Jana zur Verabschiedung umarme.
»Gerne, kein Problem!«
»Und du rufst an und gibst Bescheid, wenn etwas sein sollte, ja? Egal, wie spät es ist!«
»Natürlich, du Glucke. Mach dir keine Sorgen. Wir vier machen uns einen lustigen Abend. Und ihr macht das auch!«
»Kriegen wir hin«, schmunzelt Hanno und umarmt Jana ebenfalls. »Danke!«
Nachdem wir uns auch von unseren Hunden verabschiedet haben, verlassen Hanno und ich Janas Haus. Es fühlt sich merkwürdig an, Sputnik so zurückzulassen. Aber ich bin auch wirklich gespannt, was der Abend noch so bringen wird.
Hannos Auto ist blau. Blitzblau. Und klein. So klein, dass man sich unweigerlich fragt, wie dieser große Mann hineinpasst. Wenigstens benötigt Ernst nicht viel Platz. Und ich auch nicht, wenn ich ehrlich bin.
Hanno öffnet mir galant die Beifahrertür, was mich schmunzeln lässt. Kaum habe ich mich auf den Beifahrersitz gesetzt, wird aus dem Schmunzeln ein Grinsen. Am Rückspiegel hängt ein Schlüsselanhänger, der Ludwig II. zeigt. Das ist wohl mit Abstand das schwulste Auto, in dem ich je saß.
Hanno bemerkt meinen Blick, als er sich auf den Fahrersitz fallen lässt, und steckt demonstrativ mit dem abgeknickten Handgelenk fuchtelnd den Schlüssel ins Zündschloss. Aus meinem Schmunzeln wird ein Lachen. Hannos selbstironische Art finde ich einfach großartig.
»Ludwig II. ist eben mein Idol«, erklärt Hanno entsprechend affektiert.
»Und ich dachte, das wäre Oscar Wilde.«
Hanno wendet sich mir zu. »Wie kommst du darauf?«
»Na, wegen Ernst. Wegen seines Namens.«
»Oh! Du bist der Erste, der erkennt, dass ich ihn nach Ernst sein ist alles benannt habe!«
»Wirklich? Das ist doch ziemlich offensichtlich.«
»Ist es nicht«, meint Hanno und strahlt mich so offen und voller Zuneigung an, dass es mir ganz unangenehm ist. Ich kann dieses Strahlen nicht auf die gleiche Weise erwidern, obwohl Hanno das mehr als verdient hätte.
Ich senke den Blick und betrachte interessiert meine Fingernägel. Die könnten mal wieder geschnitten werden. Hanno parkt unterdessen aus und fährt los. Ich weiß nicht, ob er meine Reaktion mitbekommen hat und wie sie sich für ihn anfühlt.
»Wie weit ist es denn bis ins Kino?«, will ich wissen, weil ich Angst habe, dass sich peinliches Schweigen zwischen uns breitmachen könnte.
»Nicht weit. Warst du da noch nicht?«
»Nein, noch nie.«
»Gehst du nicht gerne ins Kino?«
»Doch, aber nicht allein. Und mit jemand anderem hat es sich nicht ergeben.«
Hanno wirft mir einen irritierten Seitenblick zu, sagt dazu aber nichts. Tatsache ist jedoch, dass ich in den drei Jahren, in denen ich jetzt schon hier wohne, kein einziges Date hatte. Kein Essen, keine Spaziergänge und auch kein Kino. Und auch abseits von Dates habe ich mich mit niemandem so weit angefreundet, dass man mal ins Kino hätte gehen wollen. Klar habe ich ab und an etwas mit den Leuten aus der Arbeit unternommen, aber im Kino waren wir nicht. Eigentlich habe ich mich überwiegend in meiner Arbeit vergraben und mich auf meinem Sofa vor der Welt versteckt. Aber damit ist jetzt Schluss.
»Also bin ich dein Erster?«, fragt Hanno dann doch mit seinem üblichen, leichten Tonfall.
»Na ja, hier vielleicht. Aber weißt du, ich war durchaus schon mal mit einem Mann im Kino.«
»Schade«, seufzt Hanno theatralisch.
Ich schmunzle und sehe wieder aus dem Autofenster. Irgendwie fällt mir gerade nichts ein, was ich noch sagen könnte. Der Gedanke an dieses Funkeln in Hannos Blick macht mir noch zu schaffen. Erst dachte ich ja, Hanno wäre nur auf schnellen Sex aus, allenfalls auf eine Affäre. Nun, Sex hatten wir noch keinen, wir haben noch nicht einmal richtig geknutscht. Wenn er mich so ansieht, dann könnte ich mir vorstellen, dass er mehr von mir will. Und ich will auch mehr, ich will eine Beziehung. Ich will einen Partner. Jemanden, der mich kennt und mich versteht und mich liebt, so wie ich bin. Jemanden, der um meine Träume und Hoffnungen und Sehnsüchte weiß. Jemanden, der mir vertraut und der mir vertraut ist. Ich wünsche mir das so sehr und schon so lange und ich verstehe nicht, wieso Hannos Blick kein Kribbeln in mir ausgelöst hat, sondern allenfalls ein schlechtes Gewissen.
»Ernst hat heute meinen Lieblingsschuh zerstört«, reißt Hanno mich aus meinen Gedanken.
Ich sehe zu ihm rüber, doch Hanno blickt recht stur auf die Straße. Die Stirn hat er leicht gerunzelt.
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