»Mensch, Ambro. Du übersiehst da eine Kleinigkeit. Nur ein Dürer kann einen Dürer zeichnen. Also nur jemand mit dem Namen Dürer. Wenn andere Menschen, die anders heißen, zum Beispiel Ambrosius Siebenhaar, wenn die ein Bild zeichnen, dann ist das kein Dürer, sondern höchstens ein Siebenhaar. Und wenn solche Leute so tun, als ob das eine Dürer-Zeichnung wäre, ist es trotzdem immer noch keine Dürer-Zeichnung, sondern eine Dürer-Fälschung.«
»Mein Gott. Du kannst einen mit deiner Logik erschlagen.«
»Weich mir nicht aus. Du hast es für Geld verkauft. Und jetzt hängt es im Dürer-Haus.«
»Moment mal. Langsam.« Ambrosius hebt einen Zeigefinger. »Das stimmt so nicht ganz. Ich habe es nicht an das Dürer-Haus verkauft.«
»Sondern an wen?«
»Das willst du nicht wissen, Doro.«
»Doch.«
»An den Pettkus.«
Dorothea schlägt mit ihren Handflächen auf ihre ausladenden Oberschenkel. »Das gibt’s doch nicht. Ihr habt ja nicht mal miteinander geredet.«
»Damals schon. Da hatte er noch nichts für die Zeitung geschrieben.«
»Da vorne ist eine Baustelle. Die Ampel ist gelb.«
Ambrosius gibt Gas. »Gelb ist mir grün genug.« Der Motor heult auf.
»Jetzt ist sie aber rot.«
»Ach was.«
Godehard Pettkus war eben der Kunstlehrer am Burgbernbacher Gymnasium, der Ambrosius vor fünfundzwanzig Jahren einen disziplinlosen Farbsetzer schimpfte. Das war bei Ambros erster und letzter Bilderausstellung im Burgbernbacher Schloss. Danach waren die zwei einander spinnefeind: Es ging um die Kunst, um das Leben, um die Welt. Um alles. Für Ambrosius war der Pettkus kein Künstler, sondern ein Beamtenpinsel, der seine Seele für ein gutes Gehalt und eine gesicherte Pension an den Staat verkauft hat. Für den Pettkus war Ambrosius’ Leben als Künstler eine ständige Erinnerung an den eigenen Ausverkauf; eine Mahnung.
Ambrosius und Dorothea rumpeln als Nachsatz, als schon fast vergessene Nachgeburt, durch die Baustelle.
»Der da vorne will losfahren«, sagt Dorothea. »Er hat bestimmt schon Grün.«
»Der soll halt warten. Ja, genau, du mich auch.«
»Hast du es dem Pettkus als Dürer verkauft?«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe ihn selbst darauf kommen lassen.« Ambrosius nickt zufrieden. »Das ist ja gerade der Clou. Du musst die Leute immer denken lassen, dass sie die Schlauen sind. Dass sie dich übers Ohr hauen können.«
»Das klingt so, wie wenn du das öfters gemacht hättest.«
»Jetzt lass mich doch mal ausreden, Doro. Ich hab damals gesagt, die Gräfin wäre etwas in Geldnot und hätte mich gebeten, wenn ich schon im Schloss bin, ob ich nicht mal ihre Bibliothek durchforsten könnte, ob da etwas dabei wäre, was man verkaufen könnte.«
»Und hat sie das? Lass mich raten. Nicht direkt, gell?«
»Fast. Ich kann mich gerne mal umschauen, hat sie gesagt. Oder so ähnlich. Und das habe ich getan. Und weißt du, was ich gefunden habe? Einen uralten Papierstapel. Jahrhunderte alt. Das heißt, aus Lumpen hergestellt und nicht gechlort. Optimal.«
»Und was hast du dem Pettkus erzählt?«, bohrt Dorothea nach.
»Na, da hätte ich eben in einem Buch aus dem 16. Jahrhundert, und zwar war das Reineke Fuchs, zweite Auflage 1545, ich weiß es noch genau, das habe ich auch tatsächlich gefunden, egal, da wäre eine Zeichnung drinnen gewesen …«
»… die aber tatsächlich nicht drinnen war«, ergänzt sie.
»… wäre eine Zeichnung drinnen gewesen, und ob er Interesse daran hätte. Ich hab’s ihm gezeigt, und da konnte man richtig zusehen, wie er denkt, wie die Mühle anläuft«, Ambrosius macht eine kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger neben seiner Schläfe. »Er hat sich so richtig die Hände gerieben. Also mehr so innerlich.«
»Für wie viel hast du es verkauft?«
»Achthundert Mark«, sagt Ambrosius. »War ein Haufen Kohle damals. Das waren die Zinsen für ein halbes Jahr. Kohle für Kohle. Ha.«
»Da hast du dir aber auch innerlich die Hände gerieben. Hast du der Gräfin was davon gegeben?«
»Jetzt spinnst aber, Dorothea. Denk mal nach. Das Bild war ja von mir.«
»Ach so, ja. Stimmt. Ich bin ja so dumm.« Dorothea patscht sich an die Stirn.
»Na ja, und dann kam es irgendwie zum Diehl.«
»Zu was für einem Deal?«
»Nicht Deal, Diehl«, betont Ambrosius.
»Sag ich doch.«
»Ich meine nicht das Geschäft, Deal, sondern den Menschen Diehl.«
»Verstehe ich nicht.«
»Mensch, Doro, Diehl. Karl Diehl. Der Pettkus muss irgendwann das Bild dem Diehl untergejubelt haben. Von der Rüstungsfirma Diehl. Haben Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg zu Tode geschunden und dafür nach dem Krieg halb Nürnberg wiederaufgebaut.«
»Ach, der. Freund von Franz Josef Strauß.«
»Genau. Amigo. Der hat ja alles an sich gerissen, an dem der Dürer nur vielleicht mal geschnüffelt hat. Und der hat seine Sammlung dem Dürer-Haus gestiftet, und seitdem ist das Bild in einem Portfolio im Nebenzimmer. Es wird Albrecht Dürer nur zugeschrieben. Mit ziemlicher Sicherheit zugeschrieben. Es gilt als vorläufige Studie für seinen Feldhasen.«
»Und was willst du jetzt machen?«
»Klauen, natürlich.«
»Du spinnst.«
»Überleg doch mal, Doro. Es gibt nur die eine Möglichkeit.«
»Wie wäre das: Du gehst hin und sagst ›Oh, was ist denn das hier? Das ist ja von mir. Wie kommt das denn da hinein?‹«, sagt Dorothea.
»Und das angedeutete Monogramm?«
»Ich denke, das ist angerissen?«
»Das ist so angerissen, dass oben so ein ganz kleines bisschen das Dach vom A rausschaut, und links die Spitze vom Fuß vom A. Ich musste erst das Monogramm zeichnen und dann wegreißen. Was meinst, wie schwer das hinzukriegen war.«
»Ach Gottla. Du Armer.«
»Nee.« Ambrosius schüttelt den Kopf. »Das muss weg. Sonst kann ich meine ganze schöne Zukunft vergessen. Sonst stehe ich als Fälscher da. Wir gehen unauffällig in das Haus …«
»Unauffällig. Das hättest du früher sagen können. Schau uns doch an.«
»Was? So laufen wir doch immer rum.«
Ambrosius hat seine imposante Figur in einen Lodenmantel drapiert, Westernreitstiefel angezogen, und auf dem Kopf trägt er einen australischen Bushwacker-Lederhut. Dorothea war schon immer fast so groß wie er, und seit der Geburt der Kinder ist sie richtig in die Breite gegangen. Sie geht spielerisch-offensiv damit um, schminkt sorgfältig ihre großen Augen und ihr faltenarmes Gesicht, aus dem das Mädchen oder sogar das Kind, das sie war, noch herausschaut. Sie trägt am liebsten bunte Patchwork-Überwürfe, so wie auch heute, und ihr grün gefärbter Pagenschnitt lugt unter einem rosaroten Schlapphut hervor, aus dem sich seitlich eine riesige Pfauenfeder reckt. In ihrer alten Ente sind die beiden derart eng in die Vordersitze eingepfercht, dass sie wahrscheinlich auch unangeschnallt unversehrt einen Überschlag überleben könnten.
»Na ja«, sagt Ambrosius. »Vielleicht können wir die Hüte weglassen.«
»Ach so. Dann wäre die Sache ja geritzt. Aber wer war das eigentlich, der dich vorhin angerufen hat?«
»Das weiß ich nicht. Er hat seinen Namen nicht gesagt.«
»War es ein Deutscher?«
»Ich denke schon. Hat so eine komische, tiefe, rumpelnde Stimme gehabt, wie so ein Hollywood-Action-Star. Oder ein deutscher Werbesprecher. Wie wenn er sich das antrainiert hätte.«
Sie kommen auf die Südwesttangente. Ambrosius bleibt links.
»Und woher weiß dieser Kerl, dass die Zeichnung eine Fälschung ist?«, fragt Dorothea.
»Das weiß ich auch nicht. Ich habe ja alles abgestritten. Hast ja gehört. Aber warte mal. Wir brauchen das Bild gar nicht zu klauen. Also schon mitnehmen …«
»Ach so, bloß mitnehmen, nicht klauen. Dann bin ich ja erleichtert.«
»Lass mich mal ausreden, Doro. Also mitnehmen, aber nicht irgendwie mit dem Bild unterm Arm oder in der Unterhose aus dem Haus marschieren. Wir müssen nur die Grafik im Haus entsorgen. Genau.«
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