Sex
Die Macht der Begierde
Herausgeber:
Michael Schaper
GEOkompakt
Die Grundlagen des Wissens
Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
www.geokompakt.de
Titelbild: ©Monkey Business Images/Colourbox/Die Bildbeschaffer
Liebe Leserin, lieber Leser ,
was bedeutet es für einen jungen Menschen, der gerade seine eigene Sexualität zu entdecken beginnt, mit dem Internet heranzuwachsen? Welchen Einfluss hat es auf die Entwicklung von Kindern, so fragen sich viele Eltern, dass sie mit ein paar Mausklicks in die düstersten Nischen des World Wide Web vordringen können? Wie werden sie reagieren, wenn ihnen Mitschüler als Mutproben ungefragt Hardcore-Pornografie auf ihre Laptops oder Mobiltelefone schicken?
Kurz: Werden die jetzt heranwachsenden Generationen Liebe und Sex ganz anders erleben als wir – abgestumpfter vielleicht, illusionsloser, von jeder Romantik befreit?
Der Autor Dirk Liesemer gibt Entwarnung. Er hat über die „Liebe in Zeiten des Internets“ mit Sozialwissenschaftlern und Teenagern gesprochen.
Das Ergebnis seiner Recherchen: Natürlich prägen Eindrücke wie etwa der Konsum harter Pornografie einen Jugendlichen. Doch wie genau die jeweils Betroffenen darauf reagieren, das hängt zum einen davon ab, ob sie beispielsweise draufgängerisch und lebenslustig sind oder zurückhaltend und ängstlich. Zum anderen wird ihre Reaktion davon geprägt, wie etwa ihre Eltern miteinander umgehen, ob man sich in der Familie häufig in den Arm nimmt oder körperliche Nähe eher vermeidet.
Und ja, Bilder nackter Körper und mitunter artistischer Verrenkungen beim Sex sind, so Liesemer, auf den Schulhöfen längst allgegenwärtig, und wer beim Pornosehen nicht mitmachen will, gilt schnell als Feigling oder als verklemmt.
Aber, und das ist die gute Nachricht: Sobald Jungen und Mädchen tatsächlich füreinander entflammen, bleibt die Kunstwelt aus dem Internet bei den meisten außen vor, gelten wieder die Regeln des romantischen Rosarot – mit dem altbekannten Drum und Dran an schüchterner Werbung und vorsichtigem Prüfen vor dem langsamen Einander-Näherkommen.
Was aber treibt uns Menschen überhaupt dazu, einander zu begehren, intim miteinander zu werden? Warum sehnen wir uns danach zu spüren, wie der eigene Körper lustvoll den eines anderen berührt? Was geschieht im Gehirn frisch Verliebter, die kaum mehr voneinander lassen können? Warum erleben Männer und Frauen den sexuellen Höhepunkt so unterschiedlich, ist sie nach dem Orgasmus oft hellwach, er eher schläfrig? Ja, weshalb gibt es überhaupt zwei Geschlechter, warum haben wir Menschen Sex, wenn es – wie etliche Spezies in der Natur zeigen – auch gänzlich ohne geht?
Um solche grundlegenden, uns alle betreffenden Fragen geht es in dieser eBook-Ausgabe von GEOkompakt. Dabei stammt eine der schönsten Erkenntnisse, so finde ich, von dem Berliner Sexualforscher Klaus Beier. Er sagt in einem – höchst lesenswerten – Interview mit meinen Kollegen Rainer Harf und Henning Engeln:
„Als sozial organisierte Säugetiere sind wir biologisch auf Bindung programmiert. Diese Bedürfnisse wurzeln in dem tiefen Wunsch nach Akzeptanz, nach Sicherheit und Schutz, nach Geborgenheit und Vertrauen. Letztlich danach, als Mensch angenommen zu werden, sich zugehörig zu fühlen. Denn isoliert, nur für uns allein, können wir nicht glücklich werden. Und besonders intensiv vermögen wir Akzeptanz und Annahme in einer Liebesbeziehung zu erleben. Wenn wir es schaffen, eine solche Beziehung zu gründen, dann ist das ein Garant für Lebensqualität.“
Genau darum, und nur darum, geht es.
Michael Schaper Chefredakteur GEOkompakt
1. Geschichte des Sex Geschichte des Sex
Die fruchtbare Verschwendung Die fruchtbare Verschwendung Einige Organismen teilen sich, um Nachkommen hervorzubringen, sie bilden Knospen oder zerfallen ganz einfach. Mehr als 99 Prozent aller Arten hingegen unternehmen große Anstrengungen bei Partnersuche, Balz und Sex. Doch der Aufwand lohnt sich, denn so können sich die Spezies leichter auf neue Lebensbedingungen einstellen
Von Ralf Berhorst
2. Nacktheit
Die Erfindung der Scham
Von Katharina Kramer
3. Gleichgeschlechtliche Liebe
Das Paradoxon der Homosexualität
Von Ute Eberle
4. Arzneimittel
Pillen der Lust
Von Martin Paetsch
5. Fetischismus
Von Gummi, Lack und Leder
Interview mit dem Sexualforscher Klaus M. Beier
6. Neue Medien
Die Liebe in Zeiten des Internets
Von Dirk Liesemer
7. Frauen und Männer
Der kleine Unterschied
Von Henning Engeln, Bertram Weiß, Sebastian Witte
8. Evolution
Wie die Liebe in die Welt kam
Von Henning Engeln
Geschichte des Sex
Die fruchtbare Verschwendung
Einige Organismen teilen sich, um Nachkommen hervorzubringen, sie bilden Knospen oder zerfallen ganz einfach. Mehr als 99 Prozent aller Arten hingegen unternehmen große Anstrengungen bei Partnersuche, Balz und Sex. Doch der Aufwand lohnt sich, denn so können sich die Spezies leichter auf neue Lebensbedingungen einstellen
Die Anstrengungen, die Tiere auf sich nehmen, um Sex zu haben, sind erstaunlich. Zu Frühjahrsbeginn füllt sich beispielsweise die Prärie im US-Bundesstaat Wyoming mit Hunderten Beifußhühnern. Die Männchen beginnen schon bald zu tänzeln, spreizen ihre Schwanzfedern zum Fächer, rasseln mit den Halsfedern und pumpen den Luftsack an Hals und Brust auf, aus dem sie dann die Luft mit einem Knall entweichen lassen. Tagelang präsentieren sie sich auf diese Weise den paarungsbereiten Weibchen, bis die sich endlich jeweils für einen von ihnen bevorzugten Tänzer entscheiden.
Oder Danaus gilippus , ein rotbrauner Edelfalter, ebenfalls aus Amerika. Er stülpt zur Werbung Haarpinsel an seinem Hinterleib aus, die Lockstoffe verströmen. Dann flattert er vor einem Weibchen auf und ab und versucht dessen Fühler im Flug mit den betörenden Pheromonen zu bestreichen, um es für sich zu gewinnen.
Oder der Seidenlaubenvogel aus dem Osten Australiens. Er baut vor dem Sex eine kunstvolle Laube aus Farnen und Ästen, schmückt sie mit allerlei blauen Gegenständen, etwa Beeren, Blüten – aber auch mit Zivilisationsmüll wie blauen Strohhalmen, Kugelschreibern oder Batterienhülsen. Erst wenn er mit seinem Werk zufrieden ist, lässt der Vogel das Gebäude von dem begehrten Weibchen inspizieren.
Unermüdlich scheinen Eifer und Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, einen Sexualpartner anzulocken. So suchen Nachtigallen durch ihre Gesangskunst und ein möglichst großes Repertoire an Melodien zu beeindrucken. Karibische Muschelkrebse erzeugen im Meer gezackte Lichtblitze. Und eine bestimmte Buntbarsch-Spezies schaufelt mit dem Maul eine Unterwasser-Sandburg auf, die die eigene Körperlänge um ein Mehrfaches übertrifft.
Kommt es nach all diesen Anstrengungen dann endlich zum ersehnten Akt, verausgaben sich viele Arten dabei bis zur völligen Erschöpfung.
Männliche Stabschrecken etwa halten sich bis zu zehn Wochen lang auf dem Rücken des größeren Weibchens fest, damit Rivalen nicht zum Zuge kommen.
Das Staffelschwanz-Männchen, ein kaum faustgroßer australischer Singvogel, verliert bei einem einzigen Paarungsakt acht Milliarden Spermien.
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