Sie will nämlich nicht in dem Beruf versagen, in dem sie früher einmal erfolgreich war.
Sie kann zwar darüber lachen, daß sie eine mißglückte Privatdetektivin ist, aber nicht darüber, als Schauspielerin erfolglos zu sein.
So ist es.
Und Carl Meyer erzählt ihr nichts, das über das hinausgehen würde, was er neulich bei ihrem Treffen in der Bibliotheksbar verraten hat, doch er sieht von Tag zu Tag dyspeptischer aus und wandelt wie Hamlets verstorbener Vater durch die Gänge: stumm und mit steifen Bewegungen, ein Paßgänger voller innerer Unruhe.
Sie grübelt häufig darüber nach, warum er sie gebeten hat, ans »Odeon« zu kommen. Er benimmt sich so, als habe er vergessen, daß sie da ist.
Vor ihren Augen versuchen Lita Thue und Jan Vogt Johansen noch einmal, sich auf der großen Bühne zu begegnen, während sie Pirouetten drehen, nach oben in den Schnürboden starren und ihre Schritte zählen.
Hinter ihr sagt Willy Andersen etwas zu Henny.
» ... bis zum Treffen am nächsten Montag«, sagt er.
Plötzlich ist da etwas in seiner Stimme, das Margaret aufhorchen läßt: Er hat ein bißchen leiser gesprochen als sonst, oder nicht?
»Ich hoffe, wir wissen, was wir tun«, sagt Henny.
Dann ist es still, nur die Stimmen von Lita Thue und Vogt Johansen hallen über die große, leere Bühne, Margaret streckt sich und tut so, als würde sie gähnen, dann dreht sie sich um und wirft den beiden hinter sich einen Blick zu. »Herrgott«, sagt sie. »Ich werde ganz steif!«
»Wenn’s mir doch genauso ginge«, sagt Willy und kassiert routiniert den ebenso routinierten Ausruf der Damen ein: »Willy!«
»Es muß doch ziemlich hart sein, nach einer so langen Pause wieder einzusteigen, oder?« erkundigt sich Henny. Das haben sie alle gesagt, einer nach dem anderen. Aber es scheint, als hätten sie eingesehen, daß die Zeiten für Detektive schlecht sind und daß Meyer ihr einen Freundschaftsdienst erwiesen hat, indem sie die Rolle der Ankleidefrau Elly bekam.
»Ich gehe fast ein«, antwortet Margaret. »Aber es geht schon besser als am Anfang.«
»Du singst schön«, sagt Henny. »Im Gegensatz zu gewissen anderen!«
Willy streicht sich über seine kurzen Haare, und zwar so, daß Margaret in seiner Bewegung sofort Lita Thue wiedererkennt. Sie lächelt: »Na ja.«
»Stimmt doch, oder?« sagt Willy. »Na ja!«
Henny blickt ihn völlig abwesend an, zumindest hat Margaret den Eindruck. Willy zuckt mit den Schultern und schaut auf die Uhr: »Ich glaube, ich brauche eine Zigarette.«
Er verschwindet den Gang hinunter, wobei seine Stepschuhe ein diskret klickendes Geräusch erzeugen.
Margaret sagt betont gleichgültig: »Ist am Montag so eine Art Besprechung?«
Sie blickt Henny dabei nicht an, sondern massiert sich immer noch mit der Hand den Nacken. Es ist still hinter ihr, dann sagt Henny: »Hör mal ... du bist doch mit Carl befreundet, oder?«
Jetzt dreht Margaret sich um: »Nein«, sagt sie. »Er war Dramaturg am Nationaltheater, als ich dort arbeitete, ich kenne ihn noch aus der Zeit. Aber wir sind nicht näher befreundet gewesen.«
»Ach so«, sagt Henny.
Der folgende Tag war ein Freitag.
Als Margaret morgens aufstand, hatte sie sich entschieden: Sie mußte am Montag zu diesem Treffen gehen. Sagen, daß sie interessiert war, und andeuten, daß auch sie mit Carl Meyer nicht zufrieden war. Und dann mußte sie es am Montagabend fertigbringen, nach einem langen Tag voller Proben noch einmal das Haus zu verlassen und nach draußen in die Dunkelheit zu gehen. Keine geringe Leistung für eine eingerostete Schauspielerin mit Blasen an den Zehen und Schwierigkeiten sowohl mit dem Rücken als auch mit ihren Repliken, dachte sie, während sie beeindruckt ihr Frühstück musterte, das sie sich zubereitet hatte: Saft.
Joghurt (fettarm). Zwei halbe Scheiben Vollkornbrot mit dreißigprozentigem Kümmelkäse. Tee ohne Zucker und Milch.
Die Tage, an denen es nur schwarzen Kaffee und sonst nichts gegeben hatte, waren vorüber. Jedenfalls fürs erste. Sie aß mittags einfach zuviel in der Kantine, wenn sie morgens vor der Arbeit keine richtige Grundlage schaffte.
In der Hambros gate pfiff ihr der beißende Nordwind durch die Kleidung.
I rather have a paper doll to call my own
than a fickle hearted real-life girl.
J. Blake
Gerade wird die dritte Szene des ersten Akts geprobt, Schauplatz ist der Strand in Atlantic City. Der Strand ist voller Badenymphen in gestreiften Badeanzügen und Gangster in zweireihigen Anzügen. Das heißt: So wird es bei der Aufführung sein. Noch tragen die Schauspieler ihre ausgebeulten Trainingshosen und verwaschenen T-Shirts, mit Ausnahme von Lita natürlich. Heute ist die Seidenbluse maisgelb, der Rock schwarz und eng, das Haar rabenschwarz und glänzend. Sie sieht gestreßt aus und trinkt große Mengen Wasser aus einer Flasche, die sie in den Kulissen deponiert hat. Im Saal hat Smien es sich in seinem Sitz bequem gemacht; er hat die Hände tief in die Hosentaschen geschoben und verfolgt regungslos das Geschehen auf der Bühne. Lita und die Tänzerinnen halten Sonnenschirme in den Händen – die Schirme müssen schon jetzt dabei sein, denn sie werden beim Tanzen hin- und her geschwungen, aufgespannt und wieder zusammengeklappt. Wieder und wieder wird dieselbe Stelle geprobt, dann sind Willy Andersen und Jan Vogt Johansen an der Reihe.
In den Kulissen sitzen die Tänzerinnen auf dem Boden und warten, ihre Köpfe auf die Arme gestützt, die Beine weit von sich gestreckt. Sie massieren sich die Beinmuskeln, ziehen ihre Pferdeschwänze nach, dehnen und strekken sich. »Danke«, ruft Smien und ist mit einem schnellen Satz auf der Bühne. Er demonstriert mit Handbewegungen und langen Schritten noch einmal seine Vorstellungen. »Gut. Und dann geht ihr rückwärts, bis hierher! Das ist dann schon die richtige Position für die nächsten Schritte – Achtung, schaut mal her!«
Lita hat die Hände in die Seiten gestützt und sieht zu.
Margaret streckt vorsichtig ihren Rücken, Henny steht direkt neben ihr. Sie räuspert sich und sagt leise: »Ist nicht bald mal Pause, ich gehe ein vor Hunger!«
»Ich hab noch einen Kopenhagener in der Garderobe«, sagt Henny. »Soll ich ihn dir holen?«
»Bist du verrückt?« antwortet Margaret und fügt hinzu: »Na ja, du kannst dir das wohl eher erlauben als ich.«
»Sag das nicht«, sagt Henny und blickt geistesabwesend auf die Bühne, wo Smien mit den Armen wedelt. »Ich kann ja nicht mal an einem Mann vorbeigehen, ohne Fett anzusetzen.«
Margaret blickt sie etwas überrascht an, und Henny schlägt sich auf den Mund. »O Gott«, sagt sie. »Das war mal wieder ein echter Freudscher Versprecher, wie? Ich meinte natürlich einen Bäcker ... oder vielleicht doch nicht?«
Margaret lacht.
Im unbarmherzigen, grellen Licht der Bühne wird noch immer diskutiert. Lita hustet, läuft hinaus in die Kulissen, schraubt den Verschluß der Plastikflasche ab und läuft wieder zurück. Die Tänzerinnen sind aufgestanden, denn sie werden allmählich steif vom langen Warten. Gedankenverloren machen sie ein paar Pirouetten und Tanzschritte, eine von ihnen wühlt in ihrer Tasche herum und zieht einen Schraubenzieher heraus, mit dem sie die Schrauben an ihren Stepschuhen nachzieht. Der Repetitor sitzt im Orchestergraben und klimpert ein wenig auf den Tasten, während er auf die Bühne blickt; er improvisiert über das Intro der großen Tanzszene, in der die Sonnenschirme herumgewirbelt werden und von links die Ballettänzerinnen und von rechts die Gangster auf die Bühne kommen sollen.
Auf der anderen Seite der Bühne, im Dunkeln, sitzen vier Bühnenarbeiter und sehen regungslos zu.
Margaret greift nach der Plane des kleinen Lastwagens, der außer Sichtweite in den Kulissen steht und zur Kindervorstellung gehört, die jetzt im Dezember jeden Tag gegeben wird, und streckt vorsichtig ihren Rücken. »Verdammt«, sagt sie. »Ich habe so ein unangenehmes Ziehen an meiner rechten Pobacke. Hoffentlich ist das nicht der Ischias. Ich hab noch keine Lust aufs Altwerden, Henny!«
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