»Ach was, mein Mann ist bald siebzig«, hatte die Dame geantwortet und Margaret eine blaue Zigarettenwolke entgegengeblasen. »Und Sie sind ja eigentlich ganz hübsch, wenn man auf diesen Typ von Frauen steht. Er beißt bestimmt an.«
Margaret, die nicht gerade darauf erpicht war, den Köder zu spielen, hatte sich Bedenkzeit erbeten.
»Sie müssen ja nicht mit ihm schlafen«, hatte die Dame ganz ruhig gesagt und ihre Handtasche aus Lackleder zugeknöpft. »Hauptsache, Sie sind nackt und liegen im Bett, wenn der Fotograf kommt. Wir müssen unbedingt einen genauen Zeitpunkt absprechen, an den Sie sich dann auch halten müßten. Und außerdem sollten wir darauf achten, daß die Tür des Hotelzimmers nicht abgeschlossen ist. Das wird schon glattgehen.«
Margaret holte tief Luft, nahm einen großen Schluck Bier und sah sich um. Es waren noch nicht besonders viele Leute da, nur ein paar weibliche Vormittagsstammgäste und ein paar Journalisten von ›Dagbladet‹ und ›Verdens gang‹, die sich um einen Schriftsteller scharten, an dessen Namen Margaret sich nicht erinnern konnte. Vom Flügel her erklang eine zuckersüße Version von ›As Time Goes By‹.
Meyer sah sie düster an. »Ich glaube, ich bin auf dem besten Wege, ein Magengeschwür zu bekommen«, sagte er.
Auch er schaute sich um, lange. Dann starrte er auf die Tischplatte, räusperte sich und begann schließlich zu sprechen. Draußen ging der Vormittag langsam in ein winterliches Halbdunkel über.
Margaret trank ihr Bier in kleinen Schlücken und hörte zu. Ihre Augenbrauen drohten nach und nach unter ihren Ponyfransen zu verschwinden, denn es war eine merkwürdige Geschichte, die er da erzählte, und sie wußte nicht so recht, was sie davon halten sollte.
Der Intendant des »Odeon« befürchtete eine Meuterei.
Er war felsenfest davon überzeugt, daß bestimmte Kreise innerhalb des Ensembles eine Verschwörung planten, um ihn zu feuern. Auf Margarets Frage hin, wie sie das wohl zuwege bringen sollten, antwortete er ausweichend, deutete jedoch an, daß sie als mögliche Gründe Unstimmigkeiten und Mauscheleien bei der Buchführung vorschieben könnten.
»Das stimmt natürlich nicht«, sagte er und spielte mit seinem Glas. »Aber es würde sich vor dem Staat und der Kommune nicht besonders gut machen, wenn es da Zweifel an meiner ... Redlichkeit geben würde. Wo es doch ohnehin nicht so leicht ist, ausreichend Zuschüsse zu bekommen, du weißt ja, wie das ist.«
Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Oberlippe.
»Bist du sicher, daß du keinen Drink willst?« fragte Margaret und betrachtete beunruhigt seine Gesichtsfarbe, die langsam völlig schwand.
Er sah sie düster an und legte die Hand auf sein Zwerchfell.
»Mein Magengeschwür«, sagte er.
Was er jetzt brauchte, war ein Spion. Er nannte es anders, aber das war es, was er meinte. Er suchte jemanden, der zuhörte, wenn sie sich unterhielten, in der Kantine, in den Gängen, in den Schauspielergarderoben, in den Kulissen. Jemanden, der einer von ihnen war.
»Und da habe ich an dich gedacht«, sagte er. »In dem Moment, als ich dich zusammen mit der alten Vogelscheuche im Theater gesehen habe, war mir klar, daß meine Bitten erhört worden waren.«
»Du sprichst von meiner Tante«, entgegnete Margaret Moss und bemerkte, daß ihr Glas leer war. Sie schaute auf und winkte den Kellner heran. »Außerdem bin ich ganz aus der Übung – ich habe schon seit zehn Jahren keinen einzigen Satz mehr auf der Bühne gesagt.«
»Du mußt bei der Rolle nicht viel sagen«, sagte Meyer. »Vielmehr müßtest du singen und tanzen!«
Margaret warf ihm einen langen Blick zu.
Der Kellner beugte sich über den Tisch.
»Einen Wodka«, sagte Margaret Moss. »Aber schnell, wenn ich bitten darf!«
Und nun saß oder, besser gesagt, lag sie hier auf dem Sofa, und in einer Woche würden die Proben für ›Crazy ’Bout My Baby‹ beginnen. Mit Lita Thue und Jan Vogt Johansen in den Hauptrollen, einem Zwölf-Mann-Orchester, vierzehn Tänzerinnen und Tänzern und der Privatdetektivin Moss in der Rolle der Ankleidefrau Elly. Sie streckte ihre schmerzenden Muskeln, hob langsam die Füße vom Sofa und richtete sich auf.
»Mmmmm«, summte sie leise vor sich hin, »Mmmmm!«
Früher hatte sie eine ganz passable Altstimme gehabt, doch das war lange her. Es würde ihr nicht gelingen, ihre Stimme in so kurzer Zeit wieder auf Vordermann zu bringen. Das war eben die gerechte Strafe dafür, daß sie nie, aber auch niemals sang, nicht einmal in der Badewanne!
»Du bist viel zu selten fröhlich«, rügte sie sich und erhob sich, um zum Eckschrank zu gehen. Sie wußte, daß sie besser daran täte, ihren Alkoholkonsum einzuschränken, aber eine Krise war eben eine Krise. Sie öffnete den Schrank und sah hinein.
Gähnende Leere.
Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Sie rückte die Whiskygläser ihres Vaters beiseite.
Nicht eine Flasche. Sie hatte vergessen einzukaufen, und wo war bloß der letzte Rest des Wodkas geblieben?
Weg. Sie wurde ein wenig panisch, ging steifbeinig vor Muskelkater in die Küche und öffnete den Kühlschrank.
Die Milch blickte sie sauer an.
Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als zu Kreuze zu kriechen; sie klammerte sich ans Treppengeländer und schlich sich die Treppe hinunter zu ihrer Tante ins Erdgeschoß.
Da war schon wieder die Stimme ihres Alter ego: Hier kommt die berühmte Privatdetektivin Margaret Moss, ihr desillusionierter Blick trifft auf die verschlissene, braune Holzverkleidung des Treppenhauses. Sie weiß, daß sich hinter der Tür sonst etwas verbergen kann; sie hebt die Hand, und der Ton der Klingel gellt laut nach innen ...
»Herrgott«, sagte Tante Maisen und öffnete. »Jetzt hast du aber wirklich zu lange trainiert; du siehst aus wie eines der Viecher, die meine Katze von draußen hereinschleppt. Brauchst du was zu trinken?«
Margaret legte sich in die Badewanne, deren Wasser so heiß war, wie sie es gerade noch ertragen konnte – ihr wohlerprobtes Heilmittel gegen Schicksalsschläge aller Art. Ein Küchenglas mit Tante Maisens Portwein stand auf dem Wannenrand. Margaret nahm einen Schluck und verzog das Gesicht: »Pfui, ist der süß!« Dann stellte sie das Glas zurück und dachte: Meyer ist ein pathetischer Mensch – was er sich jetzt ausgedacht hat, ist mehr als verrückt. Und ich werde mich dabei zum Kasper machen.
Dann dachte sie: Aber immerhin ist es ein Job.
Sie streckte ihr Bein und entspannte den Wadenmuskel. Er hatte gesagt, daß der Auftrag sie nicht überfordern würde; die Rolle der Ankleidefrau Elly, der treuen, alten Begleiterin der Primadonna, war in erster Linie eine komische Rolle, nur einige wenige Sätze und ein Tanzauftritt mit dem gesamten Ensemble. Zu Beginn des ersten Akts sollte sie auf der Bühne stehen, im zweiten und dritten Akt hatte sie nur einige kurze Auftritte, und am Ende des Stücks kam das große Finale mit dem gesamten Ensemble – und zwar mit Steptanz, oje!
Sie hörte auf, ihr Bein zu schütteln und starrte nachdenklich darauf. Sie fragte sich, ob Meyer nicht noch mehr Karten in der Hinterhand hatte. Daß das Ensemble ihn fortwünschte, mochte ja noch angehen, aber daß er dafür Margaret beauftragt hatte? Das mußte noch andere Gründe haben als die Angst vor der Aufdeckung falscher Rechnungsbücher.
Die Frau? Die blonde, schlanke Siv? Vielleicht bändelte sie mit dem Repetitor an, und Meyer wollte Genaueres darüber wissen? Oder gehörte auch sie zur Verschwörung – sonst hätte er doch sie darum bitten können, für ihn zu spionieren?
Das Ganze wirkte ziemlich ... sie suchte nach dem passenden Wort und fand es schließlich: theatralisch. Lug und Trug, bei dem nichts so war, wie es auf den ersten Blick aussah.
Margaret Moss in ›Crazy ’Bout My Baby‹ eingeschlossen.
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