Noch ehe Goodloe und seine Schützlinge am nächsten Morgen das Land erreichten, waren bereits eine Menge Zimmerleute auf dem Deck des Eisvogels beschäftigt.
„Die Macht der Kirche ist groß“, sagte May, als er am Abend zu den Damen ins Zimmer trat. „Hier sind chiffrierte Depeschen, die ein alter, ehrwürdiger, zur Diözese gehöriger Sekretär übersetzt hat. Wainright teilt uns darin mit, daß er und seine Gefährten glücklich Guaymas erreicht haben, und daß Pesquiera von der bevorstehenden Ankunft seiner Befreier benachrichtigt ist. Wenn Sie, meine Damen, heute schon zum Aufbruch bereit sind und sich frisch genug fühlen, dann können wir noch heute nacht zurück an Bord. Der Wind ist günstig und wenn Sie erwachen, werden wir Kap Lucas hundert Meilen näher sein.“
„Wir sind bereit“, antwortete die neue Frau Woodford, „und können uns für Mexiko rüsten.“
Eine Stunde später schaukelten die Wellen die beiden Damen in festen, traumlosen Schlaf. Als Mrs. Delmar am nächsten Morgen das Deck betrat, sah sie sich erstaunt und verwundert um, alles war verändert. War denn das überhaupt dasselbe Schiff, auf dem sie vorher gewesen?
May, der sich an dem Erstaunen der Damen weidete, wies die um Aufklärung bittende Anita an den Exoffizier Basil Goodloe, der doch jedenfalls erste Autorität für sie sei. Dieser schlug die Hacken zusammen und antwortete:
„Meine Damen, wir segeln jetzt mit dem „Schoner Constance“.“
Die schöne Lustjacht hatte sich in der Tat in ein Lotsenschiff verwandelt, vier Walfischboote hingen sicher vertäut in der Hütte, die immer schmaler werdenden Topsegel waren ganz verschwunden. Triumphierend zeigte May nun auch noch den sich vorbeugenden Damen den dunkelgrünen Rumpf.
„Das Schiff ist wirklich nicht wiederzuerkennen“, pflichtete Mrs. Delmar bei.
„Oh, ich bin auch stolz auf meine Leistung als Schiffszimmermann. Sehen Sie, ein glattes einfaches „Constance“ ersetzt den vergoldeten „Eisvogel“, und ein richtiges kleines Deckhaus mitten auf dem Schiff vervollständigt die Umwandlung. Während Sie gestern an den Wein und Obstspalieren des Missionshauses mit den Nonnen lustwandelten, besorgte ich mir am Zoll neue Papiere, die auf meinen Namen als Eigentümer lauten und einen Erlaubnisschein zum Fischen und Handeln auf dieser Kreuzfahrt. Bitte, verbergen Sie nur der Mannschaft gegenüber jedes Zeichen von Verwunderung.“
Fünf Tage später meldete der Mann auf dem Ausguck: „Pajaro-Inseln in Sicht! Achtung!“
Bei dem gefürchteten Kap San Lucas vorbei, trotz Tropenstürmen und heftigen Gewittern erreichte die „Constance“ ungefährdet den Hafen. Es legte sich jetzt doch ein beklemmendes Angstgefühl auf die Freunde, als Diego das Schiff in den versteckten Hafen lotste. Klugheit und Vorsicht mußten jetzt allen Teilnehmern dieser gefährlichen Expedition zur zweiten Natur werden.
Als das Boot schaukelnd um den letzten Felsen bog, begrüßte bereits der schwarze Rumpf des „Ranger“, den Wainright befehligte, unter den drei Spitzen von Trinidad mit weithin strahlenden Lichtern die Freunde.
„Denken Sie daran, daß wir alle unser Leben, unsere Liebe, unsere Zukunft aufs Spiel setzen“, flüsterte Goodloe, als er die zitternde Anita dicht an sich preßte und küßte.
Ganz dicht vor ihnen wehte die Fahne ihres Landes auf dem nahen Kreuzer, und vom Land scholl laut und vernehmlich die rauhe Stimme der mexikanischen Schildwache, der Söldner des grausamen Marquez. Der neue Gouverneur hatte die Plaza de las Armas schon mit unschuldigem Blut getauft.
Die Ankerkette rasselte, die Segel wurden eingezogen und die Damen, die noch einen letzten Blick auf die alte Festung, die Hafendämme und die niedrige ausgedehnte Stadt geworfen hatten, begaben sich in ihre Kabine. Auf dem Deck beantwortete Kapitän May die Fragen der Hafenpolizei. In kurzer Zeit waren die Papiere durchgesehen und alle Formalitäten erledigt.
„Morgen früh können wir landen“, sagte May, den die Gefahr und Verantwortlichkeit sehr ernst gestimmt hatte.
In diesem Augenblick meldete Obed Lake mit verschmitzten Gesicht:
„Ein Boot von dem Kriegsschiff da drüben legt bei uns an, Herr!“
Gleich darauf begrüßte der Kommandant des Ranger, Harry Wainright, lächelnd die Damen, die ihre Freude kaum zu äußern wagten:
„Alles in Ordnung. Fred Bligh und der muntere alte Professor haben ein bequemes Nestchen für Sie vorbereitet; ich werde meine Barkasse senden und Sie recht offiziell landen lassen, ist Ihnen acht Uhr gefällig? Ihr Gepäck lassen Sie, bitte, in eines Ihrer Walfischboote schaffen. Das Frühstück können wir alle zusammen in meiner Kajüte einnehmen. Bligh und Hackmüller werden auch kommen. Wir können dann auch ungestört beraten. Denken Sie nur immer daran, daß wir jetzt in Mexiko sind und die Wände bisweilen Ohren haben. Ich muß leider zurück, wage aber nicht, Sie schon heute mit hinüberzunehmen, da dies leicht zu vertraut und befreundet aussehen könnte, denn die Mexikaner wittern überall Verrat.“
Salutierend sprang der junge Kapitän in sein Boot und rief noch beim Abfahren:
„Gib acht, Phil, daß die Anker gut halten, es kommen hier oft unerwartete Stürme.“
„Diego soll kommen, rufen Sie ihn, Lake!“ befahl May, als er den Himmel mit besorgten Blicken musterte.
Diego ist mit dem Polizeiboot ans Ufer gefahren“, antwortete dieser verlegen und brummig.
„Was! ohne meine Erlaubnis! Er soll sich sofort nach seiner Rückkehr bei mir melden.“ Streng und unerbittlich fügte er dann hinzu: „Wer noch einmal ohne Urlaub das Schiff verläßt, darf das Deck nicht wieder betreten, merken Sie sich das bitte für die Zukunft.“
„Seine Frau erwartete ihn am Ufer“, sagte Lake, nach vorn gehend, ziemlich laut, und dann, hinter des Kapitäns Rückens die Faust ballend, setzte er leise hinzu:
„Ich muß den geheimen Zweck dieser Kreuzfahrt doch noch herausbekommen.“
Die auch ihm geltende Warnung hatte den noch unschlüssigen Verräter zum festen Entschluß gebracht.
Unterdessen stattete der Lotse Diego im Büro der Hafenpolizei Bericht ab.
„Ich kann nicht dahinterkommen, was sie eigentlich vorhaben“, sagte er. „Sie sind weder Schmuggler, noch Verschwörer, noch Goldsucher und trotzdem steckt irgendein amerikanischer Streich dahinter. Alle Amerikaner sind Betrüger“, fuhr der Schurke, seinen Branntwein trinkend, fort.
„Schon gut, mein alter Kamerad!“ entgegnete der Hafenkapitän. „Es war recht von dir, daß du mich aufmerksam gemacht hast, jetzt geh aber schnell an Bord zurück und sage, du hättest nur dein Weib sprechen und die Hafeninstruktionen einsehen wollen. Wir werden das verdächtige Schiff scharf bewachen. Ist es leicht zu kapern und kennst du die Perlenfischerei, eh?! Wir können vielleicht ein Privatgeschäft machen!“
„Das wäre famos!“ rief Diego, seinen Sombrero aufsetzend. „Das Boot fliegt wie der Westwind, es überholt sogar jedes Dampfschiff unter vollem Dampf.“
„Ich werde Mannschaft nehmen und die Yankees in Eisen schließen lassen, vorher will ich aber gleich morgen den Gouverneur Marquez aufsuchen. Adios, mi amigo!“
Der doppelzüngige Schurke Diego wußte genug; Reue heuchelnd, bot er bei seiner Rückkehr aufs Schiff seine Hilfe bei der Wahl eines sicheren Anlegeplatzes an und schläferte dadurch des Kapitäns Argwohn ein.
Am nächsten Morgen erwachten die Schläfer in der Kajüte der Constance von dem Donner der Kanonen auf dem Ranger und den Hornsignalen, welche die Blaujacken aus ihren Hängematten trieben.
Dort lag sie, die schmutzige alte Stadt, rings von Bergen eingeschlossen. Weit nach Norden ragten die Gipfel der Cabra und nach Süden schloß Kap Haro die Ausläufer der Cochnes Bucht ab.
Hinter jenem Felsen lag das wilde Land der Yaquis und die geheimnisvolle Mine; irgendwo in den amphitheatralisch aufsteigenden Bergen mußte der goldene Schatz der beiden Toten liegen. Die Damen, erschreckt von den unzähligen, plötzlich auftauchenden Kanus, die mit Früchten und Muscheln beladen waren, blieben unter dem Schutze der Zofe, des Stewards und des gewandten Ah Sam, des chinesischen Kochs.
Читать дальше