„Vielleicht! Doch wer weiß! Ich kann dir freilich nicht alles erzählen, aber das Wichtigste sollst du erfahren, dann wirst du schon selbst einsehen, daß ich in großer Verlegenheit bin.“
Basil Goodloe war eine echte Seemannsgestalt. Der offene Blick, das dichte braune Haar und die stattliche, männlich schöne Figur machten ihn gemeinsam mit feinen gewinnenden entgegenkommenden Manieren zum Liebling der Kameraden. Hervorragende Begabung für den Beruf und unermüdliche Pflichttreue brachten ihm verhältnismäßig jung ein Kommando als „Stabsoffizier“ unter Boanerges, einem der schneidigsten Admirale. Dieser, ein alter Grobian, war über sein Urlaubsgesuch für ein ganzes Jahr so ungehalten, daß er ihm einfach ins Gesicht sagte: „Goodloe, seien Sie doch nicht solch ein Dummkopf! Bleiben Sie an Bord. Unsere Jungens kommen im Zivilleben alle auf den Hund.“ Trotzdem kam weder der alte Seebär noch irgendeiner der Kameraden hinter Goodloes Geheimnis. Man zerbrach sich vergeblich den Kopf, weshalb dieser wohl die so bevorzugte Stellung plötzlich aufgab und ohne jeden ersichtlichen Grund nach Paris übersiedelte.
Das ersehnte Eintreffen des Patents gab ihm einen plausiblen Vorwand fürs erste nach Maryland, seiner Heimat, wo er jahrelang nicht gewesen war, zu gehen.
„Glaube mir, Harry“, fuhr Goodloe nach einer ganzen Weile fort, „ich ginge sehr gern mit dir, schon um dir alle die herrlichen Plätze an der Ostküste, an der sich’s so herrlich träumen läßt, zu zeigen. Ihre unentweihte hundertjährige Gastfreundschaft zählt zu meinen schönsten Erinnerungen – doch – ich muß hierbleiben.“
„Und die Geliebte bewachen“, spöttelte Wainright.
„So ist’s, du Quälgeist!“ entgegnete Goodloe. Hierauf fuhr er fort: „Du weißt, daß ich der Letzte meiner Familie bin, und mein Lebtag mehr Zeit auf die Beachtung des Kompasses und des ewigen Firmamentes verwendet habe, als auf das Studium jener trügerischen oft wandelbaren Sterne, die man „Frauenaugen“ nennt. Ich habe eigentlich bis jetzt niemals an „mein Schicksal“ gedacht, bis es sich eines Tages von selbst meldete. Ich sah mich entweder als Klubmensch, Gourmand oder Witzeerzähler enden oder so eine richtige „Dienstmaschine“ werden, wie der alte Holmes, Dellington und Preston, jene leuchtenden Vorbilder im Dienst; ganz plötzlich habe ich nun bemerkt, daß es auch „Frauen“ gibt.“
„Aha, immer dieselbe Melodie“, sagte der erfahrene Freund, sich eine neue Zigarre anzündend, „und natürlich ist’s immer die Frau, die eine, einzige. Aber weißt du, das ist ein etwas unsicherer Barometer, der steigt und fällt ohne Grund.“
„Scher dich zum Henker, mit deinem Barometer“, rief Goodloe, „die Sache ist ernsthaft; ich kann überhaupt nur weiter kommen, wenn ich hierbleibe.“
„So, so, nun kann ich mir deine Absichten ungefähr zusammenreimen“, lachte Wainright. „Du pflanzest dich selbst als Posten, als Sicherheitswache auf und wehe dem, der den Jordan überschreitet und auf dasselbe Ziel lossteuert.“
„Genau so will ich’s machen“, fiel ihm Goodloe ins Wort. „Außerdem ... sie hat eine Mutter und die muß man doch auch mit in Erwägung ziehen.“
„Aber sehr“, rief Wainright, unwillkürlich eine Grimasse schneidend, aus, „künftige Schwiegermutter, sehr wichtige Partei, na – und der Vater?“
„Ist tot!“
„Das ist sehr vernünftig von ihm, notabene wenn er seiner Tochter genügend Besitz und was man so braucht hinterlassen hat.“
„Mehr als genug, das ist ja gerade eine von meinen Sorgen. Große Ländereien, und die Damen wissen nicht einmal unter welchem Breitengrade sie liegen, um das auszukundschaften muß ich schließlich doch noch den Dienst quittieren.“
„Zum Henker auch! Gottlob, daß mein Vater mich mit solchen wilden Sachen verschont hat, d. h. ich glaube beinah, du tätest am besten, wenn du dir einen Arzt kommen ließest und ein Brausepulver oder irgend solch Beruhigungsmittel nähmst. Wie willst du denn die Güter finden, wenn die Damen nicht einmal wissen, wo sie liegen?“
„Das ist’s ja gerade, was mich verstimmt“, rief Goodloe. „Womöglich ist alles umsonst, ohne jeden Nutzen.“
„Nun, da will ich dir einen vernünftigen Vorschlag machen. Du kommst ganz einfach heute abend mit mir und kabelst an die zuständige Behörde um Annullierung deines Urlaubs. Wenn du dich rasch entschließest, können wir den Amerikaner noch zusammen besteigen. Ich gebe dir natürlich das Kommando zurück und wenn du als mein Vorgesetzter die Sache arrangierst, kann ich ja unter dir bleiben. Beim Neptun, du bist zu gut, um dich einer Idee willen, um ein Nichts zu opfern. Eine Heirat muß eine gesunde Basis haben, unter allen Umständen eine solidere, als eine einfache Liebe“, sagte sehr entschieden der vielbewunderte Offizier der Mittelmeerflotte.
„Was nennst du eigentlich eine solide Basis?“
„Geld, Gut, Wertpapier, wirklich existierender Grundbesitz, keine Luftschlösser“, lachte Wainright.
„Na weißt du, Minen in Mexiko sind eigentlich keine Luftschlösser.“
„Da magst du wohl recht haben, trotzdem für mich ein Rittergut im Mond ungefähr den gleichen Wert hat wie eine Mine in Mexiko. Ich kann die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß du wieder zur Vernunft kommst und deine Karriere keiner flüchtigen Laune zum Opfer bringst.“
„Die Sache ist ja verwickelt genug und es mag ja sonderbar klingen, daß weder ich noch Anita Delmar irgendwelche Aufklärungen darüber geben können.“
„Also Anita Delmar! Dann hat ja der Engel wenigstens einen Namen. Ist sie Amerikanerin?“
„Nein, ihr Vater war ein Franzose, Gelehrter und Mineningenieur, und ihre Mutter eine bekannte Schönheit aus Louisville. Der Vater, der vor mehreren Jahren starb, ließ seine ganze Hinterlassenschaft drüben unter der Verwaltung eines sehr hochgestellten, angesehenen Partners. Die Damen leben schon lange in Paris.“
„Im ganzen genommen scheinst du wirklich herzlich wenig über sie zu wissen“, meinte Wainright etwas sarkastisch.
„Jedenfalls immer noch mehr, als sie von mir! Du taxierst den Wert der Uniform doch zu hoch. Mein Patent, einige alte Schwerter und Landkarten bilden mit meinen Visitenkarten zusammen meinen einzigen nachweisbaren Besitz. Ich dagegen kenne ihren Bankier, ihr Heim und ihre Stellung in der politischen Welt. Aber es handelt sich doch nicht nur um ein Landgut, sondern um Anita selbst, um meine ganze Zukunft. Ich quittiere den Dienst überhaupt nur, um ganz frei zu sein und um die Damen eventuell beschützen zu können, was ich doch vom Inland aus kaum kann. Hör zu. Vor ungefähr drei Monaten kreuzte ich an einem sehr stürmischen Nachmittag auf der Höhe von Villefranche. Wir hatten steifen Westnordwest und der Wind trieb ein sehr ungeschicktes Segelboot gegen meinen Dampfer an. Die Franzosen verstehen alle nichts vom Segeln, mit Ausnahme der Kanalschiffer; das Boot war auch viel zu schwer beladen. Ich hatte scharf auf mein eigenes Schiff aufzupassen. Plötzlich rief mein Kadett: „Himmel, sie werden überrannt. Zwei Frauen sind an Bord“. Während er noch sprach, hörten wir einen gellenden Hilferuf. Das Schiff war schon halb mit Wasser angefüllt und sank rasch. Der kleine Seymour, der am Steuer saß, drehte bei und wir warfen die Segel. Ich packte das untersinkende Mädchen und unser alter Quartiermeister Bawen die zweite Dame. Im nächsten Moment zogen auch unsere Mannschaften die lamentierenden Franzosen, die sich an den Mast geklammert hatten, heraus; ein armer Teufel ertrank, er war unter das Segel geraten. Ich deckte meinen Mantel über das zitternde Mädchen und ohne weiteren Unfall erreichten wir das Land. Da die Geschichte vom Ufer aus sichtbar gewesen war, hatte sich eine große Menschenmasse angesammelt. Natürlich war ich der Held des Tages. Am nächsten Mittag erkundigte ich mich nach der Villa der Damen und fand diese bereits auf mich wartend. Ich verdanke dieser ganz einfachen Seemannspflicht das Rettungskreuz und den lebhaftesten Dank von Mrs. Pauline Delmar, der Mutter des süßen Geschöpfes, das ich heiraten will, d. h. wenn mir Fortuna lächelt. Der Bruder des verstorbenen Ingenieurs, Kapitän Delmar, der mich auch aufsuchte, um mir seinerseits zu danken, erzählte mir einiges über seinen Bruder. Delmar starb in Mexiko, nachdem er seine Bergbaukenntnisse drüben glänzend verwertet hatte. Der Gouverneur von Sonora, Pesquiera, partizipierte bei seinen Unternehmungen und sicherte ihn durch seine Stellung während der französischen Überfälle. Dann kamen die dortigen Unruhen, Pesquiera übernahm 1865 die Verwaltung, nachdem bereits die Revolution ausgebrochen war und starb schließlich 1877, zwei Jahre nach Achille Delmar; daher kommt es auch, daß Mrs. Pauline Delmar gar keine Details über ihre eigenen Angelegenheiten kennt. Augenblicklich verfügt sie freilich noch über ein beinahe fürstliches Einkommen, aber es sind wiederum Unruhen in Mexiko ausgebrochen, und General Matea Pesquiera, der Sohn des verstorbenen Gouverneurs, ist den Damen völlig fremd. Ihr Vermögen mag gefährdet, wenn nicht schon gar verloren sein, denn der jetzige Gouverneur von Sonora, Josè Marquez, ist ein persönlicher Feind Pesquieras, und ist es doch unter diesen Umständen nur ganz natürlich, daß die Witwe hinüberfahren und versuchen will, zu retten, was noch zu retten ist. Trotzdem raten ihr all ihre hiesigen Freunde von der Reise ab, weil niemand sie den scheußlichen, lebensgefährlichen Zuständen in Guaymas ausgesetzt sehen möchte.“
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