Richard Henry Savage
Roman
Autorisierte Uebersetzung aus dem Englischen
von
Natalie Rümelin.
Saga
Richard Henry Savage: Meine offizielle Frau. © 1896 Richard Henry Savage. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2015 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2015. All rights reserved.
ISBN: 9788711462935
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Die offizielle Verheiratung.
Wir fröstelten alle in der kalten Winternacht, während die knirschenden Räder durch die Ebenen Ostpreussens so eilig dahinrollten, dass Bauernhöfe, Dörfer, Wälder und Bäche, Moräste und Flüsse in wildem Tanz an uns vorüberzufliegen schienen. Unser Eilzug näherte sich dem unwirtlichen alten Königsberg.
In ihre Decken eingewickelt, drückten sich die vielsprachigen Reisenden mollig in die roten Polster der kleinen Wagenabteilungen und schlummerten, rauchten, brummten oder schwatzten unbefangen, wie es gerade die jeweilige Stimmung mit sich brachte. Von meinen Reisegefährten hatte ich nur wenige gesehen, da die Querteilung der kleinen deutschen Eisenbahnwagen die Entdeckungsreisen im Zug, wie sie der Reisende in Amerika gewöhnt ist, unmöglich machen.
Für die Abfahrt des Schnellzugs von Berlin nach Petersburg ist die ungewöhnliche Zeit „zwölf Uhr nachts“ bestimmt, worin sich die vornehme Verachtung kundgibt, womit die büreaukratische Eisenbahnverwaltung auf das Behagen des reisenden Publikums herabsieht.
In der letzten halben Stunde vor der Abreise hatte ich eben noch Zeit gehabt, meine Verwandten in der russischen Hauptstadt telegraphisch von meiner Abreise aus Berlin zu benachrichtigen und mir eine durchgehende Fahrkarte via Eydtkuhnen nach dem neuen Paris am Newastrande zu lösen. Uebrigens war eine Nacht in einem üppig ausgestatteten Wagen erster Klasse keine grosse Strapaze für einen alten Veteranen.
Meine Rüstung für den Einfall in Russland bestand aus einem guten Reiseteppich, einem Paket der wenigst greulichen im Handel vorkommenden Tabakfabrikate, ein paar Bänden Tauchnitz und, als Würze dazu, einigen französischen Romanen. Einen wohlgefüllten „Seelentrost“ verwahrte ich in der Tasche meines warmen Ulsters. Es war Mitte Oktober und die mageren, steinigen Felder lagen kalt und erstorben im Mondscheine da. In meinem Coupé befanden sich ausser mir noch zwei hübsche, stramme russische Offiziere mit weissen, juwelengeschmückten Händen, die auf der Heimreise von Paris begriffen waren, wo die Russen so gern ihren Urlaub verbringen.
Nachdem ich es mir auf meinem weichen, breiten Sitze möglichst bequem gemacht hatte, schlummerte ich bald ein, während meine militärischen Gefährten mir gegenüber sich Cigaretten drehten, über allerlei Einkäufe und Pariser Weiber plauderten und sich über vaterländische Angelegenheiten mit jener kühnen Freiheit äusserten, die der reisende Russe auswärts so gerne zur Schau trägt und die ihm zu Hause unter dem eisernen Szepter des „weissen Zaren“ ein ganz unerreichbarer Luxus ist.
Als der Morgen dämmerte, fuhren wir durch die Festungswerke der alten preussischen Krönungsstadt Königsberg, der letzten Hauptstadt des Militärstaates Preussen, nach der russischen Grenze hin.
Nach dem Frühstück vertieften sich meine kriegerischen Reisegenossen in die Freuden des „Baccarat“ und des Cigarettenrauchens. Aus ihrer Unterhaltung entnahm ich bald, dass ich den Hauptmann Gregory Schewitsch und den Lieutenant Alexis Michaelowitsch von der allervornehmsten Waffe, von der kaiserlich russischen Garde, vor mir hatte.
In dem ihrer Nation eigenen guten Französisch plauderten sie über allerlei landläufige Gegenstände, während das wechselnde Spielglück vollends über alles nicht in Paris verbliebene Taschengeld verfügte. Ihre Unterhaltung, der ich, anscheinend in mein Buch vertieft, meine Aufmerksamkeit zuwandte, war von grösstem Interesse für einen ausgedienten amerikanischen Offizier, der ihr romantisches Vaterland zum erstenmal besuchen wollte, und während ich die langweiligen Blätter umdrehte, war ich ganz Ohr. Unter anderm erörterten sie auch die kürzlich erfolgte Ernennung eines wahren Ungeheuers von einem boshaften, schlauen Beamten zum Chef der russischen Geheimpolizei.
Dieser Herr erfreute sich, obgleich er nicht slavischer, sondern deutscher Abstammung war, einer selbst für ein despotisches Land unerhörten Macht; von seinem geheimen Lugaus in Petersburg traf die unsichtbare Hand dieses Machiavelli überall hin und sein hoher Rang, seine ausgedehnten Machtbefugnisse und sein hochwichtiges Amt verschafften ihm allezeit freien Zutritt bei dem neuen Zaren, dessen erhabener Name ihm als Donnerkeil diente.
„Gregory,“ sagte Alexis, „ich habe gehört, die Nihilisten seien gegenwärtig wieder sehr thätig und arbeiten aus Leibeskräften daran, ihre durch Loris Melikoff zerstörte Post- und Telegraphenverbindung wieder herzustellen.“
„Das stimmt,“ erwiderte Gregory, indem er seine Karten mit dem geldgierigen Instinkt eines schlauen Slaven betrachtete, „diese armen Teufel können nicht über unsre Grenzen, ohne die höchste Gefahr zu laufen, lebenslänglich nach Sibirien geschickt oder zu noch Schlimmerem verurteilt zu werden. Der neue Polizeipräsident ist so klug wie Bismarck und so schlau wie Vidocq.“
Nachdenklich drehte sich Gregory seine Cigarette und sagte: „Sie müssen jetzt verzweifelte Versuche machen, auf irgend eine noch nie dagewesene Weise herüberzukommen, denn wenn es ihnen nicht gelingt, sich über neue Signale und eine andre Geheimschrift zu verständigen, so müssen sie ihre Verschwörungen für immer aufgeben. Uebrigens haben sie eine Unmasse Geld und verfügen über einige sehr gewandte Unterhändler.“
„Das ist wahr,“ erwiderte der andre und hob ab, „mein Onkel, der Gesandte, sagte mir, einige unsrer Telegraphenbeamten gehören auch zu ihrer Verbindung und leisten ihnen ganz unschätzbare Dienste.“
„Nun, sie mögen so durchtrieben sein, wie sie wollen, der neue Polizeichef ist doch noch ein wenig schlauer und wird sie schliesslich in eine Sackgasse treiben.“
„Vorausgesetzt, dass sie ihn nicht vorher ermorden,“ sagte Alexis und händigte seinem siegreichen Kameraden eine handvoll zerknitterte Noten ein — mit einem unterdrückten Fluch über sein Pech.
Gregory lachte, während er die Rubel wohlgefällig betrachtete und einsackte: „Die Nihilisten werden kaum glücklicher sein, als du, alter Bursche! Erinnerst du dich noch des hübschen Salons der Fürstin Trubetskoi in Paris?“
Alexis lächelte und streichelte in Erinnerung an seine kürzlichen Eroberungen liebevoll seinen blonden Bart.
„Nun,“ fuhr der Hauptmann fort, „manch dickes blaues Paket von Noten der Bank von Frankreich sind von der ‚Haute Direction‘ in diese weissen, juwelenblitzenden Hände geglitten, denn die Fürstin liefert Abschriften der nihilistischen Pläne, — ja, man hat mir sogar erzählt, sie habe Dinge in Erfahrung gebracht, die in Bälde die Verhaftung der —“
Misstrauisch sah er nach mir hin und flüsterte seinem Gefährten einige mir unverständliche Worte ins Ohr.
„Bei Sankt Wladimir,“ rief Alexis, „das ist ja das Frauenzimmer, dessen seit dem Tod unsres lieben, alten Kaisers die ganze Polizei vergeblich habhaft zu werden suchte? Na, die ist ein netter Bissen für den Henker, wenn man sie erst hat! Sie soll, wie man sagt, von engelhafter Schönheit sein.“
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