Da auch der Oberst sehr aufgeräumt war, verbrachten wir unsre Zeit ganz lustig miteinander, bis die Lichter von Kowno in Sicht kamen und wir in den Bahnhof einfuhren, wo der Russe ausrief: „Ich muss mich nun von Ihnen trennen, aber Sie haben Zeit, eine Erfrischung einzunehmen — Sie müssen mit mir Thee trinken. Ich nehme keine Absage an, mein lieber Oberst Lenox! Sie und Ihre Frau Gemahlin müssen heute abend meine Gäste sein!“
„Gewiss, sehr gern,“ rief die gnädige Frau und stützte sich leicht auf seinen Arm, während ich hinter ihnen drein ging und bemerkte, dass Frau Dick Gaines’ reizende Gestalt allgemein bewundert wurde, denn ihre Schönheit besass jenen wunderbaren Zauber, der das Auge der Menge auf sich zieht, und als wir in den hellerleuchteten, vollen Speisesaal traten, folgten gar manche Blicke der reizvollen Dame und betrachteten mich, ihren galanten Gatten, mit Neid.
Einen Augenblick später thronte meine Grenzkönigin an einem üppig besetzten Tisch, und nach dem sehr guten Abendessen trank unser Wirt in dem in Russland stets bereiten gelbgesiegelten Cliquot auf das Wohl der gnädigen Frau und sagte: „Ich kann mich nicht für immer von Ihnen trennen! Ein ‚Auf Wiedersehen‘ werde ich zu ertragen suchen, aber ein ‚Lebewohl‘ ginge über meine Kräfte!“
Nun stand ich schon wieder einem neuen Dilemma gegenüber; ohne unhöflich zu sein, konnte ich ihm meine Petersburger Adresse nicht verschweigen; wenn er aber kam und mich besuchte und ohne die Anziehungskraft traf, die ihn zu diesem Besuch veranlasst hatte, wie sollte ich ihm dann das Verschwinden meiner angeblichen Gattin, der bewunderungswürdigen Frau Gaines, erklären?
Aber die rasch bereite Harmlosigkeit meiner Begleiterin kam mir zu Hilfe. Lächelnd blickte sie in Petroffs fragendes Gesicht und bemerkte: „Wir werden uns ungemein freuen, Sie im Hotel de l’Europe zu sehen. Vergessen Sie ja unsern Namen nicht: Oberst Arthur Lenox und Frau — schreiben Sie ihn, bitte, in Ihr Taschenbuch, denn sonst haben Sie uns gewiss schon im nächsten Augenblick vergessen.“
Die Augen des Tartaren sagten ihr mehr als deutlich, er werde ihrer stets gedenken.
„Sie vergessen, gnädige Frau,“ seufzte der süssliche Krieger, als er aufstand, „das ist ganz unmöglich! Sie kennen das russische Herz noch nicht!“
„Ich das russische Herz nicht kennen!“ fuhr Helene auf, und in ihrem Auge loderte ein Zorn, den ich mir nicht erklären konnte. Noch grösser aber war mein Staunen, als sie diese Aufwallung rasch unterdrückte und mit ihrer naiven, kindlichen Stimme lispelte: „In St. Petersburg lehren Sie mich dann das russische Herz kennen, nicht wahr? Wir hoffen, dort Ihre heutige Gastfreundschaft erwidern zu können.“
„In Bälde werde ich Ihnen dort meine Aufwartung machen,“ sagte der Oberst, als er seinen kostbaren Mantel über den Arm warf, seinen Säbel fasste und mit feierlicher Anmut der gnädigen Frau die Hand küsste.
In diesem Augenblick wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Ich bot der bezaubernden Frau meinen Arm, und mit klirrenden Sporen und rasselndem Säbel geleitete uns Petroff an den Zug. Ein eiliges Lebewohl, und wir waren schon in Bewegung, als uns der verliebte Russe noch nachrief: „Ich werde das Hotel de l’Europe ganz gewiss nicht vergessen.“
„Hotel de l’Europe — ich wohne aber bei meinem Verwandten Constantin Weletsky, am Englischen Quai Nummer 5, meine hübsche, kleine Verführerin,“ lachte ich und kniff Helene scherzend in den Arm — ich war so vergnügt, dass wir endlich den alten Oberst los und allein bei einander waren!
„Sie sind mit der vornehmen Familie Weletsky verwandt?“ fragte meine Gefährtin nachdenklich, ohne das Kneifen irgendwie zu beachten.
„Gewiss, durch Heirat.“
„Das wird uns vielleicht nützlich ...“ sagte Frau Gaines ungestüm, brach aber plötzlich ab und rief: „Wie nett, dass wir nun den alten, greulichen Russen los und allein sind!“ Sie äusserte dies in einem so befriedigten Ton, dass ich den Augenblick segnete, wo ich mit ihr zusammengetroffen war, und ihr zuflüsterte: „War’s nicht ein Glück, dass Dick vorausgereist ist und Sie ohne Pass zurückgelassen hat?“
„Bst! Der Schaffner kommt, um Licht anzuzünden,“ gab sie zurück und legte mir warnend einen Finger auf die Lippen, worauf wir schweigend zum Fenster hinaussahen, bis der Schaffner unser Gelass erleuchtet hatte.
Wir befanden uns jetzt in voller Bewegung und mussten innerhalb weniger Stunden nach Wilna kommen, wo Dick Gaines uns erwartete; beinahe that es mir leid, dass sich Dick nicht in St. Petersburg befand, denn in dem milden Schein der Lampe, der gerade auf sie fiel, erschien mir meine Gefährtin schöner als je. Während aus den andern Wagenabteilungen lautes Schwatzen und Lachen zu uns herüberklang, wurde ich düster und still, allein Helene wendete sich zu mir und sagte: „Seit ich Sie kennen gelernt habe, habe ich ein lebhaftes Interesse für Sie gefasst, mein gütiger Beschützer. Erzählen Sie mir von Ihnen und Ihrer Familie, dann kann ich es Dick berichten, den es lebhaft interessieren wird.“
„Bah,“ entgegnete ich, „Ihre Geschichte würde viel interessanter sein.“
„Wohl möglich,“ sagte sie mit einem leichten Seufzer, „aber erst die Ihre, dann die meine — wir haben ja Zeit genug. Also bitte!“
Dies wurde mit dem Schmollen eines verwöhnten Kindes geäussert, worauf ich mich fügte und ihr meine Geschichte seit der Trennung von ihrem Dick in kurzen Zügen entwarf. Offenbar fühlte sie lebhaftes Interesse für meine Familienangelegenheiten, ich setzte ihr daher meine Beziehungen zu den Weletsky auseinander und gab ihren ernsten Fragen gar manche Einzelheit meines häuslichen Lebens preis. Vielleicht war es im Interesse meiner Pflicht gegen meinen alten Kameraden am besten, wir beschäftigten uns in dieser Weise — die Zeit ging doch herum!
„Und nun,“ sagte ich, als ich mit der geheimen Geschichte der Familie Lenox zu Ende war, „bitte ich um die Chronik des Hauses Gaines!“
Zu meiner grossen Verwunderung erwiderte sie, dass sie eigentlich nicht viel davon wisse — „Dick und ich sind schon so lange fort in Europa,“ murmelte sie.
„Aber Sie müssen doch etwas von Mamie, seiner Schwester, wissen,“ sagte ich.
„Ach ja, Mamie,“ erwiderte sie. „Mamie ist verheiratet — Gott weiss wie lange schon, und lebt in — in Mexiko.“
„Wie heisst denn ihr Mann?“ fragte ich weiter.
„Smith — glaube ich,“ erwiderte sie rasch. „Sie können sich gar nicht denken, wie oft Dick von Ihnen zu sprechen pflegte,“ rief sie, von dem Gegenstand unsres Gespräches abspringend. „Mein lieber, alter Arthur, sagte er oft und streichelte dabei seinen schwarzen Schnurrbart.“
„Seinen schwarzen Schnurrbart!“ stammelte ich. „Aber früher war Richard ja blond!“
„Freilich,“ entgegnete sie verblüfft, fuhr aber dann eilig fort: „aber er ist in der letzten Zeit grau geworden und färbt sich die Haare.“ Im nächsten Augenblick sagte sie lachend: „Ihr Haar ist noch so dunkel, dass Sie vorderhand Dicks Beispiel nicht zu folgen brauchen! Sie haben wundervolle Haare“ — und dabei tätschelte sie mich auf den Kopf wie ein mutwilliges Kind.
Diese unschuldige Schmeichelei bezauberte mich vollends ganz.
„Welch glücklicher Kerl ist doch Dick, dass er Sie bekommen hat! Wie haben Sie denn geheissen, ehe Sie ihm die Erde zum Himmel machten?“
„Aus dieser etwas übertriebenen Umschreibung glaube ich zu entnehmen, dass Sie sagen wollten, ehe ich ihn geheiratet habe?“ fragte sie und lachte hellauf dazu.
„Gewiss — Ihren Mädchennamen!“
„Da! Nun sind wir in Wilna,“ sagte sie, denn die Lichter dieser Stadt tauchten eben aus der Dunkelheit vor uns auf. „Dick wird im Augenblick hier sein.“
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