Dann telegraphierte ich auch an die Weletsky in Petersburg: „Ankunft morgen abend, sieben Uhr.“
Völlig ruhig in meinem Gemüte, steckte ich mir eine Cigarre an, schlenderte in den Speisesaal zurück und geleitete meine untergeschobene Ehehälfte sorgsam und liebevoll nach dem Zug, wo schon der galante russische Würdenträger auf sie wartete und Sorge trug, dass sie entsprechend empfangen und ihr der beste Raum in einem der breiten, geräumigen Wagen angewiesen wurde.
Mit einer wahren Flitterwochenbeflissenheit hüllte ich ihre reizende Gestalt in warme Decken und rief lustig: „Was würde Dick Gaines dazu sagen?“
Darauf brach sie in ein unbezähmbares, kindliches Gelächter aus, was mir riesig gefiel, denn welcher Veteran freut sich nicht, wenn seine Spässe Anklang finden?
Von unsrem Gelächter angelockt, trat der Oberst, nachdem er zuvor höflich angepocht hatte, in unser Coupé, als sich der Zug eben in Bewegung setzte.
Ueber die Schulter meiner hübschen Gefährtin hinweg sah ich zum Fenster hinaus, aber der erste Anblick, den mir Russland gewährte, war keineswegs verlockend. Durch die russische Hälfte der Grenzstadt hinaus, rollten wir auf dem von dem ungeduldigen Finger des grossen Autokraten Nikolaus bezeichneten Weg dahin. Nach und nach veränderte sich der Charakter der Landschaft; russische Verwahrlosung trat an Stelle der deutschen Wohlhabenheit; niedere, wellenförmige Hügel, trübselige Birkenwälder, einsame Seen, frostige Tümpel, vereinzelte schilfbewachsene Sümpfe gaben zusammen ein düsteres Bild. Alle paar Minuten kamen wir an kleinen Dörfern vorbei, die aus etlichen zwanzig unsaubern Blockhütten bestanden, und in deren Nähe armselig aussehendes Vieh auf den erfrorenen Feldern hin und her lief. Ungeschlachte Bauern in schmutzigen Schaffellen und Wasserstiefeln stierten uns nach, während wir immer weiter und weiter sausten. Der Oberst und Helene plauderten munter, und ich wendete meine Blicke von dem wenig ansprechenden Bild draussen ab und liess sie auf der Zauberin im Wagen ruhen, denn ich fand meine vorgebliche Gattin hübscher als je.
Sie hatte ihre Schuba abgeworfen, und nun sah man, dass ihre biegsame, anmutige Gestalt doch die eines reiferen Weibes war, und dass man sie — wäre nicht die kindliche Unschuld ihrer Züge gewesen — auf mindestens fünfundzwanzig Jahre hätte schätzen müssen. Obgleich sie lebhaft sprach, war sie doch wie ermüdet auf ihren üppigen Sitz zurückgesunken, fast als fühle sie sich von irgend welchem Zwang oder einer Gemütserregung befreit, was ich der Angst zuschrieb, die sie ausgestanden hatte, ehe sie sicher über die Grenze war.
Unterdessen kam der Oberst wieder auf unsern Aufenthalt in St. Petersburg zu sprechen.
„Amerikaner Ihres Standes stehen an der Newa hoch in Gunst; ich denke, Ihnen, Herr Lenox, wird es in unsrer Hauptstadt gefallen und der gnädigen Frau noch viel mehr.“
„Wirklich,“ gab Helene zurück, „und warum das?“
„Weil wir gar viele schmucke Offiziere in unsrer Hauptstadt haben,“ erwiderte der Oberst mit liebenswürdigem Grinsen, „und weil Bälle, Gesellschaften, Schlittenfahrten nach den Inseln, fortwährende Huldigungen von klirrenden Sporen, funkelnden Epauletten und grossen Schnurrbärten jeder Frau ein Paradies bedeuten. Ich habe die Koffer der gnädigen Frau gesehen und weiss deshalb, dass sie in voller Kriegsrüstung naht.“
Diese Bemerkung über das Gepäck machte mich auf eine neue Schwierigkeit aufmerksam, denn es fiel mir ein, dass ich nur einen gemeinschaftlichen Gepäckschein für uns beide hatte, und dass alle Koffer der Dame nach St. Petersburg eingeschrieben waren. Blieb sie nun in Wilna zurück, so eröffnete sich mir eine liebliche Perspektive auf neue Lügen und Gesetzesübertretungen.
Der Oberst plauderte weiter und zeigte seine Neugierde, unsre Petersburger Adresse zu erfahren, ganz offen, indem er die Hoffnung aussprach, uns dort wieder zu treffen.
Als seine Fragen immer deutlicher wurden, bewunderte ich den echt weiblichen Takt, mit dem meine Pseudogattin seiner Neugierde eine höfliche Ermüdung entgegensetzte. Ihre Versuche, dann und wann ein anmutiges Gähnen zu unterdrücken, waren so unzweideutig, dass unser Gast mit sehr viel Lebensart bemerkte: „Nun will ich aber gehen und sehen, ob ich nicht jemand zu einer Partie Piquet auftreiben kann, — die gnädige Frau bedarf der Ruhe.“
Sobald die Thür hinter ihm geschlossen war, wendete ich mich zu Helene, um ihr die neue Verwicklung wegen des Gepäckes mitzuteilen, aber zu meinem Staunen sah ich, dass sie sofort eingeschlafen war.
Ach wie lieblich und selbstvergessen lag sie da! Ihr anmutvolles Haupt, von einem blauen Kissen gestützt, war etwas nach hintenüber gesunken und ermöglichte einen Blick auf den herrlichen Hals, der in dem durch das Fenster hereinfallenden Sonnenschein wie Elfenbein glänzte. Ihre roten Lippen waren leicht geöffnet und zeigten zwei Reihen weisser Perlen, während der kleine Fuss, der unter den Falten ihres Rockes vorguckte, dem verführerischen Bild einen gewissen pikanten Reiz verlieh.
Während ich so in den Anblick der schlafenden Schönheit versunken dasass, beneidete ich Dick Gaines mehr als je.
Solch vollkommene Ruhe durfte nicht gestört werden; ich sah, dass das arme Kind nach all den Aufregungen der letzten zwei Stunden dringend der Ruhe benötigte, und zog sorglich den Vorhang zu, um ihr Antlitz vor den Sonnenstrahlen zu schützen; dann wandte ich mich ab und versuchte mir mit Hilfe eines Romans dies Bild aus dem Sinn zu schlagen. Aber so französisch und so gepfeffert er auch war, vermochte er mich doch nicht zu fesseln, und immer wieder wunderte mein Blick zu der schlafenden Schönheit hinüber, zu diesem Weib, das ich seinem Gatten zuführte — zu dem Weib meines alten Stubenkameraden. Nein, ich durfte ihrer Lieblichkeit nicht mehr gedenken! Ich versuchte sie aus meiner Einbildungskraft zu verscheuchen, indem ich nicht mehr zu ihr hinübersah, ja sogar, indem ich meines fernen Weibes in Paris gedachte, aber immer wieder wanderten meine Blicke zu der Schönen zurück.
Nach einer Weile wurde durch eine unbewusste Bewegung ihre Haltung noch entzückender als zuvor; ihre Schönheit erschien noch träumerischer und berückender, und mit der Glut eines Jünglings drückte der Veteran einen Kuss auf die weisse Stirn vor ihm, und die Schöne fuhr empor.
Ich lachte und rief: „Was würde Dick Gaines dazu sagen?“
„Dass Sie das wohl verdient haben,“ sagte sie und stimmte in mein Lachen ein, „weil Sie so trefflich für seine Frau gesorgt haben. Wahrhaftig, ich habe Sie so lieb, wie wenn Sie mein — Bruder wären.“
Als aber ihr Auge dem meinigen begegnete, wendete sie sich in reizender Verlegenheit ab.
In diesem Augenblick klopfte der russische Oberst an die Thür.
„Sie sind so lustig,“ sagte er, als er eintrat, denn unser Gelächter hatte sein Ohr erreicht, „bitte, lassen Sie mich an Ihrer Heiterkeit teilnehmen.“ Und damit fing er wieder an, Frau Gaines mit einer Galanterie zu huldigen, die mein Blut in Wallung brachte.
„Es ist Dick Gaines gegenüber meine Pflicht,“ dachte ich in einer Anwandlung von tugendhafter Entrüstung, „seine Frau vor der senilen Huldigung dieses russischen Don Juans zu schützen!“ Die Verachtung, die ein verliebter junger Fünfundvierziger bei solchen Gelegenheiten für einen aufmerksamen alten Sechziger hegt, ist nämlich geradezu schrecklich.
Um meinen Nebenbuhler aus dem Feld zu schlagen, begann ich nun furchtbar mit Frau Gaines zu kokettieren an und erwies ihr tausendundeine eheliche Aufmerksamkeit mit weit mehr als dem Feuer eines Ehemannes. Ich bestand darauf, ihre niedlichen Füsschen seien kalt, und wickelte sie in meine Reisedecke; auch wollte ich durchaus nicht zugeben, dass sie bequem sitze, und schob ihre Kissen mit der Andacht eines seit zehn Minuten verheirateten Mannes zurecht, und bei jeder dieser Aufmerksamkeiten rief ich: „Was würde Dick Gaines dazu sagen?“ so dass das liebe, unschuldige Geschöpf zur grössten Verwunderung des Oberst immer wieder in schallendes Gelächter ausbrach.
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