Der Tag war kaum angebrochen und doch warf die Sonne schon leuchtende, glühende Strahlen, die den wolkigen Nebel, der über Santa Barbara lag, schon bald zerriß.
Leicht, wie ein Vogel, schoß die Yacht dahin, kaum sichtbare Furchen in dem sich kräuselnden Wasser ziehend.
„Ganz gewiß, ich habe recht!“ May deutete auf die beinahe gleichzeitig in Sicht kommenden Felsen Santa Cruz, San Miguel guel und Santa Rosa. „Sobald das Deck gewaschen ist, lasse ich alle Segel hiffen und probiere dann, was das Log zeigt. Dies wäre ein herrliches Terrain für eine Seeregatta.“
Während er hierauf dem Bootsmann Obed Lake Befehle erteilte, ließ sich Goodloe einige Eimer Seewasser über den rasch entblößten, muskulösen, durch Wetter und Wind gestählten Oberkörper gießen.
„Du bist ein Schlauberger“, lachte May als sie sich dann gemütlich den Schiffszwieback knabbernd beim Kaffee gegenübersaßen. „Bei der Prozedur kann jede Blaujacke deinen Beruf erkennen, weitere Tätowierung hast du gar nicht nötig.“
„Weiter will ich doch auch nichts. Ich möchte nur wissen, wo Kapitän Warner uns eine so sonderbare Mannschaft aufgestöbert hat. Famose Kerle, gerade brauchbar für verwegene, tollkühne Streiche. Sieh sie dir nun einmal der Reihe nach an. Obed Lakes Gesicht ist überhaupt nicht zu ergründen, Jörgensen sieht wie ein echter Vikinger aus und daß Diego, der Perlenfischer, ein verkappter Seeräuber ist, darauf möchte ich doch schwören. Der Bursche hat eine richtige Galgenphysiognomie, man darf ihm nicht trauen. Es ist eine verdächtige Bande, der wir uns anvertraut haben.“
„Nun, ich werde auf der Hut sein und sie beobachten, außerdem hat Wainright mir noch zwei tüchtige, unbedingt zuverlässige Jungens versprochen, deren Dienst im Golf abläuft. Außerdem sind ja auch Fred Bligh und der Professor dort. – Laß das Frühstück für die Damen um Punkt 8 Uhr servieren“ – rief er dem Steward zu. „Jetzt kommt eine gute Brise auf, da kann der Eisvogel fliegen.“
Phil May sah in der Seemannstracht ordentlich verjüngt aus. Wind und Wetter hatten sein hübsches Gesicht bereits tüchtig gebräunt. Goodloe, der rauchend in einem Schaukelstuhl ausgestreckt lag, machte diese Beobachtung stillschweigend. Laut sagte er:
„Hältst du eigentlich direkt auf St. Lucas zu?“
„Ich muß erst in San Diego einlaufen“, antwortete der Kapitän; „denn eine Woche in Mountery setzt alle Reporter in Bewegung. Die Fahrt des Eisvogels gibt genügend Stoff. Ich hoffe stark, daß Fred Bligh und Hackmüller eine direkte Verbindung mit Pesquiera erreichen werden. Hackmüller behauptet, daß er, wenn Marquez ihm freien Zutritt zu den Yaquis gewährt, er uns alle reich machen könne. Bligh ist ein findiger Kopf, er wird Marquez schon fangen. Der „Ranger“ soll den Schauplatz bilden, auf dem Marquez mit seiner Passion für offizielle Schaustellungen geködert werden soll. Beim Himmel, wenn nicht alles schief geht, müssen wir reüssieren. Vielleicht finde auch ich noch ein Vermögen in den Bergen von Sonora“, schloß May ganz erhitzt.
„Willst du denn später nicht Mrs. Lees Geschäftsführer bleiben?“ fragte Goodloe.
„Nein; das ist nur eine täglich erneute Qual für mich. Wenn ich mich ihr nicht ebenbürtig nähern kann, will ich sie lieber überhaupt meiden. Doch still – die Damen kommen.“
„Nun, finden Sie das Schaukeln noch ebenso schön, wie bisher“, fragte Goodloe etwas ironisch, indem er sich verbeugte und der errötenden Anita den Arm reichte.
„Oh, mir kommt alles wie ein herrlicher Traum vor. Ich war noch nie so glücklich“, erwiderte diese, dicht an Goodloe gelehnt die wunderbare Szenerie anschauend.
Am Ufer zwischen den Felsen lagen beinah ebenso malerisch wie Sorrent und Amalfi die weithin leuchtenden weißen Gebäude von Santa Barbara. Die Yacht glitt unter starkem Winde pfeilschnell dahin. Aus Anitas Augen strahlte Entzükken über den unvergleichlich schönen Anblick. Ihr liebliches Gesichtchen färbte sich dunkler, als May, der sie beobachtete, unwillkürlich ausrief: „Sie sind das Ideal einer Seemannsbraut.“
Goodloe errötete. War es das Einverständnis oder die unausgesprochene volle Seligkeit, die ihn dasselbe denken ließ? Er hatte nicht Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment schlug die Schiffsuhr laut und tönend, und der Steward meldete feierlichst, daß das Frühstück serviert sei.
„Die Liebe kann warten, das Frühstück aber nicht“, lachte Anita, die Mutter mit sich fortziehend, welche sich gerade nach einigen Details der Fahrt erkundigte.
„Zwei Tage müssen wir in San Diego bleiben“, sagte May, „trotzdem hoffe ich schon in acht Tagen Pajaros, Ihre alte Heimat, anlaufen zu können. Wird Marquez Sie auch bei einer eventuellen Begegnung nicht erkennen?“
„Keinesfalls. Denn als ich nach Guaymas kam, war er in Spanien. Außerdem bin ich schon wieder sechzehn Jahr von Mexiko, in dessen Innern wir übrigens die letzten Jahre gelebt hatten, fort.“
„Lassen Sie sich den Aufenthalt in San Diego nicht gereuen“, sagte May. „Es dauert auch mindestens vierzehn Tage, bis der Brief des Erzbischofs, der Pesquiera auf unser Kommen vorbereitet, diesen erreicht. Inzwischen können wir uns dort genügend orientieren und Wainright, dessen Wachtdienst erst im nächsten Monat beginnt, kommt ja auch dorthin. Haben Sie Geduld, verehrte Frau, und vertrauen Sie unserem Stern.“
Als die Damen sich erhoben, kommandierte May die ganze Mannschaft auf Deck, er selbst ging, den Sextanten in der Hand, nach dem Hinterdeck. Der Wind wurde stärker: „Dort ist Marra Bock, die hundert Meilen müssen wir so rasch wie möglich nehmen, setzt alle Segel!“
Obed Lakes Leute enterten auf, und fünf Minuten später lag der Eisvogel unter einer Wolke von weißen Leinen. Das Bugspriet bog sich unter der Kraft der Vorsegel, und der Ballonklüwer schwellte sich majestätisch vor der Brise.
„Fünfzehn Knoten! Wahrhaftig, der Eisvogel ist der König aller Segler“, platzte May mitten in das Gespräch des Freundes mit Anita hinein.
Goodloe blickte auf das Log und seine Uhr. „Hab’ noch nie eine solche Leistung gesehen, wir wollen ihn den „Fliegenden Eisvogel“ nennen.
Im Laufe des Tages bemerkten die Freunde, daß die Yacht von den passierenden Dampfern wie ein Phantom angestarrt wurde. Drei Tage später brachten die Zeitungen in San Franzisko spaltenlange, direkt ans Wunderbare grenzende Erzählungen. Man wollte einen Segler von geisterhafter, nie dagewesener Schnelligkeit gesehen haben, sagenhafte Schönheit wurde ihm nachgerühmt. Es mußte eine Kopie des „Fliegenden Holländers“ des Geisterschiffes sein! – – –
Bei eintretender Dunkelheit gingen Anita und Goodloe auf Deck spazieren. Die Rennsegel waren eingezogen, man war dicht bei den Sandbänken von San Diego, auf dessen Strand ja noch heute bisweilen die Fußspuren von Fray Junipera Serra sichtbar sein sollen.
In der Kajüte plauderte Mrs. Delmar mit May. Der Steuermann, der sich wie ein Schatten am Steuer hin und herbewegte, sang leise ein Seemannslied, während das Schiff die ruhige Flut durchschnitt. Am Bug saß der blauäugige Jörgensen und brummte, seine Stummelpfeife rauchend:
„Wenn Obed nur wollte, dann könnte man dem Wachtkreuzer ein Schnippchen schlagen, das Schiff ist wahrhaftig wie extra gemacht für einen Opiumschmuggel.“
Dann lehnte er sich zurück und ließ seine Gedanken heimwärts schweifen, nach den baltischen Küsten, wo sein blondes Weib auf ihn wartete. Doch tauchte der erste Gedanke immer wieder in ihm auf, so daß er schließlich einschlafend von einem gelungenen Coup träumte.
Beim Gutenachtsagen bat May die Damen, ihre Vorbereitungen für einen zweitägigen Landaufenthalt zu treffen.
„San Diego ist die letzte sichere Post- und Telegraphenstation, wir werden dort Briefe vorfinden. Goodloe wird Sie begleiten, der Bischof wird Ihnen gern ein Asyl im Kloster gewähren. Während Ihrer Abwesenheit erhält der Eisvogel ein neues Gefieder; verraten Sie nur, bitte, bei Ihrer Rückkunft keine Verwunderung darüber, und denken Sie nur immer und unter allen Umständen daran, daß Sie Frau und Fräulein Woodford sind.“
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