Für Griechen und Römer dagegen war das viel schwerer. Auch für einfache Rechenarten wie Malnehmen und Teilen brauchten sie einen Rechenschieber, eine Art Zählgerät.
Den Arabern ging sehr schnell auf, dass sich mit den indischen Zahlen sehr viel leichter rechnen ließ als mit römischen oder griechischen. Der erste arabische Wissenschaftler, der begriff, wie wichtig das für die Wissenschaft war, war Al-Khwarizmi aus dem Iran. Er arbeitete in Bagdad im Haus der Weisheit, und er schrieb unter anderem Bücher darüber, wie sich mithilfe der Mathematik eine Erbschaft unter den Hinterbliebenen verteilen ließ. Er schrieb auch ein wichtiges Mathematikbuch namens Al-Gebr (das bedeutet: „Verbindung getrennter Teile“). Seither wird der Zweig der Mathematik, der sich mit Zahlen befasst (alles, was nicht Geometrie ist), als Algebra bezeichnet.
Auch Kaufleute machten sich die neuen Zahlen zu Nutze und halfen, dieses Wissen in der ganzen arabischen Welt zu verbreiten. Mit dem indischen Zahlensystem konnten die Kaufleute viel leichter kopfrechnen. Schnell rechnen zu können ist für Kaufleute in diesem Teil der Erde noch immer wichtig. Denn während wir Gegenstände kaufen, die mit Preisschildern versehen sind, diskutiert in vielen Ländern noch immer der Käufer mit dem Verkäufer über den Preis der Ware.
Obwohl es unserem Gehirn Probleme macht, große Zahlen zu erfassen, hat die indische Erfindung uns doch immerhin ein Gefühl für Zahlen gegeben. Automatisch wissen wir, welche Zahl größer ist, 1000 oder 228. Die Länge der Zahl verrät alles. Wie viel schwieriger war das für die Römer: Die Zahl CCXXVIII (228) ist kleiner als die Zahl M (1000), sieht aber viel größer aus.
Im 12. Jahrhundert begannen die Araber, mit europäischen Kaufleuten Handel zu treiben. In Europa wurden damals noch die römischen Zahlen benutzt. Die Europäer merkten wahrscheinlich schnell, wie viel besser die Araber rechnen konnten, aber sie durften die neue Technik nicht erlernen. Im christlichen Europa galten die Araber nämlich als Gehilfen des Teufels, deren Kundschaft angeblich aus der Hölle stammte. Erst im 16. Jahrhundert wurden die indischen Zahlen fast überall in Europa eingeführt.
Andere Erfindungen ließen sich nicht so leicht übergehen. Im 13. Jahrhundert lernten die Araber eine fantastische neue Erfindung aus China kennen: ein schwarzes, scharf riechendes Pulver.
Europäer und Araber führten immer neue Kriege gegeneinander, und auf dem Schlachtfeld lernten die Europäer die neue Erfindung kennen. Wenn Schießpulver angezündet wird, kommt es zu einer heftigen Explosion. Das lässt sich waffentechnisch nutzen. Wenn zum Beispiel Schießpulver in ein am einen Ende geschlossenes Rohr gepresst wird, dann jagt das Rohr in hohem Tempo durch die Luft, sobald wir das Pulver anzünden. Solche Raketen waren in China seit dem 10. Jahrhundert bekannt.
Wenn eine geringere Pulvermenge in einem an einem Ende geschlossenen Metallrohr untergebracht wird und wir eine Kugel darauflegen, dann saust die Kugel aus dem Rohr, sobald wir das Pulver anzünden. Die Kugeln aus solchen Kanonen waren viel gefährlicher als die Steine, die mit den von den Griechen verwendeten Katapulten geschleudert werden konnten.
Schießpulver war also für die Entwicklung neuer Waffen von ungeheurer Bedeutung, und es hat im Lauf der Zeit zahllosen Menschen das Leben gekostet. Deshalb ist es eine wirklich betrübliche Feststellung, dass der Erfinder des Schießpulvers vermutlich eine Medizin entwickeln wollte, die helfen sollte, das Leben der Menschen zu verlängern.
Wir wissen nicht, wer das Pulver erfunden hat, vermutlich war es ein chinesischer Alchimist. Als Alchimisten wurden Menschen bezeichnet, die alle möglichen Stoffe miteinander vermischten. Metalle wurden geschmolzen, Steine zerschlagen und in Wasser aufgelöst, Pflanzen und Bäume wurden zu Pulver verbrannt. Es gab fast überall auf der Welt Alchimisten, die tüchtigsten aber fanden sich in Arabien und China.
Die Alchimisten waren keine wirklichen Naturforscher, wie es die alten Griechen gewesen waren. Sie wollten zwar die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stoffen in der Natur kennen lernen, aber es interessierte sie nicht weiter, warum diese Stoffe sich so sehr unterschieden. Die meisten Alchimisten wollten Reichtum erwerben. Sie hielten es für möglich, aus anderen Metallen Gold herzustellen. Diese Vorstellung hatten sie vermutlich von den Sumerern (vgl. S. 16) übernommen, die rund drei Jahrtausende v. Chr. durch das Vermischen der Metalle Kupfer und Zinn das neue Metall Bronze hergestellt hatten.
Da der Entdecker eines Verfahrens zur Herstellung von Gold der reichste Mensch der Welt werden würde, verbrachten manche Alchimisten ihr ganzes Leben mit dem Vermischen von Stoffen. Sie kamen niemals zu der Erkenntnis, dass es unmöglich ist, Gold durch das Einschmelzen und Vermischen von anderen Metallen herzustellen. Trotzdem war ihre Arbeit nicht ganz vergebens.
Die Alchimisten erfanden nämlich das Labor, einen Raum, der nur zum Forschen eingerichtet ist, und sie erfanden auch viele Instrumente, die in einem Labor verwendet werden. Glaskolben, Schmelzöfen und genaue Waagen wurden zuerst von Alchimisten benutzt. Außerdem entdeckten sie einige wichtige chemische Stoffe. Im 8. Jahrhundert n. Chr. versuchte der arabische Alchimist Jair ibn Hayyan, ein Lebenselixier herzustellen, eine Art Medizin, die gegen alle Krankheiten gleichzeitig wirksam sein sollte, ein sogenanntes Allheilmittel. Das gelang ihm nicht. Stattdessen entdeckte er die Essigsäure, den Grundbestandteil des Essigs.
Essigsäure ist ein ätzender, stinkender Stoff, der heutzutage in der Industrie viel verwendet wird. Alchimisten stellten auch den nützlichen Stoff Salmiak her, der unter anderem in Waschpulvern enthalten ist, und Alkohol, der nicht immer so nützlich ist.
Die chinesischen Alchimisten waren mehr am Lebensexilier interessiert als am Gold. Aber da auch sie nicht begriffen, was beim Vermischen von Stoffen passierte, war das genauso wenig von Erfolg gekrönt. Ihre Elixiere enthielten oft Giftstoffe wie Quecksilber und Arsen, und deshalb starben bisweilen Kranke, denen sie ihre „Lebensmedizin“ verabreicht hatten. Auch mehreren Kaisern von China wurde dieses Schicksal zuteil.
Aber auf dieselbe unvorsichtige Weise erfanden sie auch das Schießpulver. Irgendwann im 9. Jahrhundert vermischte ein chinesischer Alchimist aus Zufall Holzkohle, Schwefel und einen Stoff namens Salpeter und zündete die Mischung an. Wir wissen nicht, ob er das überlebt hat. Ein Buch aus dem Jahr 850 berichtet jedoch, dass Alchimisten sich Hände und Bart versengten, wenn sie mit dieser Mischung experimentierten, und dass schon mehrere Laboratorien abgebrannt waren.
Vermutlich stellten die Alchimisten fest, dass Schießpulver einen dichten Behälter sprengt, wenn es angezündet wird. In China war Feuerwerk sehr beliebt, und deshalb wurde Schießpulver in Papierrollen gefüllt, die mit großem Krach explodierten, wenn das Pulver angezündet wurde. Solche „Chinaböller“ sind noch immer überall auf der Welt beliebt, wenn es etwas zu feiern gibt. Die ersten Raketen wurden ebenfalls auf Festen zum Spaß abgeschossen, aber bald ging den Chinesen auf, dass das Pulver auch für Waffen verwendet werden kann. Bei einer großen Schlacht im Jahr 994 wurden erstmals Raketen benutzt. Bald darauf wurden in Fabriken hunderte von Kriegsraketen hergestellt.
Im 11. Jahrhundert verbreitete sich auch außerhalb von China das Wissen, wie Schießpulver hergestellt wird. Kaufleute brachten es ins arabische Reich und nach Europa. Der Kaiser von China erkannte sehr bald, wie gefährlich Schießpulver in den Händen der Feinde sein konnte. Deshalb verbot er im Jahr 1067 privaten Kaufleuten, die Bestandteile des Schießpulvers zu verkaufen. Aber der Kaiser kam zu spät. Schließlich war das Rezept zur Pulverherstellung wichtig, nicht die einzelnen Zutaten.
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