Lena drehte sich zu Maggie um und gab ihr einen spontanen Kuss auf die Stirn.
«Gott sei Dank, du siehst viel besser aus als gestern. Außerdem scheinst du auf dem besten Wege, wieder ganz die Alte zu sein.»
«Ich fühle mich auch schon viel besser.» Maggie lächelte leicht verlegen, wobei ihr dunkler Zahn, den sie sonst immer hartnäckig hinter ihren vollen Lippen verbarg, für einen Moment zum Vorschein kam. «Und wenn es so weitergeht, werde ich dir spätestens morgen wieder zu Diensten sein können, versprochen!»
«Ach, Maggie.» Lena atmete hörbar auf. «Deine Anwesenheit reicht vollkommen aus. Hauptsache, ich bin nicht alleine in dieser seltsamen Welt.»
Als das magere Dienstmädchen mit zwei vollen Eimern im Türrahmen erschien, sprang Lena aus dem Bett und nahm ihr die Kübel ab, um das Wasser eigenhändig in den Zuber zu gießen. Larcy machte große Augen und eine abwehrende Geste.
«Missus muss das nicht tun», protestierte sie.
Doch Lena winkte ab. In den Häusern ihres Vaters in London und Hamburg hatten sie stets männliche Diener im Hause gehabt, die eine solche Aufgabe übernahmen. Aber Larcy war nicht mal die Hälfte von solch einem Kerl.
In der Zwischenzeit servierte Estrelle, die wohl erfahren hatte, dass die neuen Hausbewohnerinnen erwacht waren, ihnen unaufgefordert ein üppiges Frühstück ans Bett.
«Ich bringe Ihnen Früchtebrot, in Scheiben geschnitten und in Butter gebacken», erklärte Estrelle. «Dazu gebratenen Speck und Rührei.»
«Was ist mit dem Doktor?», fragte sie und stellte das Tablett auf das Beistelltischchen neben Maggie ans Bett. «Der Bote ist zurückgekehrt und meinte, dass Dr. Lafayette vor heute Nachmittag nicht hier sein kann.»
«Ich glaube, er wird gar nicht mehr so dringend benötigt», antwortete Lena mit Blick auf ihre schon viel gesünder aussehende Freundin.
Das Schlimmste musste überstanden sein. Maggies Appetit spiegelte sich bereits in ihren gierigen Blicken auf die zahlreichen Köstlichkeiten, die sich vor ihrer Nase auftürmten. Mehr oder weniger unentschlossen griff sie zu einer silbernen Gabel und seufzte verzückt. In einer bunten Porzellanschüssel waren in Würfel geschnittene Mangos und Papayas angerichtet. Eine Kristall-Karaffe lockte mit frisch gepresstem Orangensaft, und eine große Kanne frisch aufgebrühter Insel-Kaffee verströmte einen unnachahmlichen Duft.
«Das weckt die Lebensgeister», freute sich Maggie und stürzte sich auf das Essen. «Nimm du erst mal dein Bad», riet sie Lena mit einem verschmitzten Lächeln. «mal sehen, was danach noch für dich übrig ist.»
Nachdem Larcy zwei weitere Eimer Wasser in die Wanne gekippt hatte, zog Lena hinter dem chinesischen Paravent das Unterkleid aus und stieg mit einem lang gezogenen «Ah» ins warme Wasser. Larcy schien sie verwöhnen zu wollen, denn sie überbrachte ihr noch eine duftende Jasminseife und einen Berg weicher Handtücher.
«Danke, Larcy, du kannst dann jetzt gehen», sagte sie freundlich, als das Mädchen sie mit großen Brombeeraugen erwartungsvoll anstarrte.
Wahrscheinlich hatte sie noch nie eine nackte weiße Frau gesehen, dachte Lena und glitt bis zu den Schultern ins warme Wasser.
«Wenn Missus mich brauchen, dann läuten», erinnerte Larcy, drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
«Der Kaffee ist wunderbar», schwärmte Maggie, die im Bett mit dem Geschirr klapperte. «Meine Mutter sagte immer, wenn der Appetit wieder kommt, ist man über den Berg.»
Lena seufzte zufrieden und begann, sich mit Schwamm und Seife genussvoll Arme und Dekolleté einzuschäumen. Kurzerhand beschloss sie, auch ohne Unterstützung einer Dienerin ihr Haar zu waschen. Hier unter der Sonne Jamaikas, bei den konstant hohen Temperaturen, würde es außerdem viel rascher trocknen als in Europa.
In Gedanken ging Lena ihre Garderobe durch und überlegte, was sich davon für eine erste Begegnung mit Edward eignen würde. Estrelle hatte die Reisekisten noch gestern Abend geöffnet und angeboten, einige Kleider aufzubügeln. Als ob sie Lenas Gedanken lesen könnte, kam sie überraschend herein und hängte drei zur Auswahl an den Schrank, um gleich darauf wieder mit zwei von Maggies Kleidern zu verschwinden.
Ohne das Wissen ihres Vaters hatte Lena sich ein paar tief ausgeschnittene Sommerkleider in pastelligen Farben anfertigen lassen, deren Anblick Edward sicher begeistern würde. Auch bei der Miederwäsche hatte ihre Londoner Schneiderin zu einer leichteren Variante mit neckischer Spitze geraten. Genau das Richtige für ein tropisches Paradies.
Verträumt fuhr Lena mit dem Schwamm über ihre Brüste und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn Edward sie mit seinen sanften Händen massierte, so wie er es damals heimlich bei Almack’s im Keller getan hatte.
«Kann ich gleich dein Wasser benutzen?», fragte Maggie und lugte hinter dem Paravent hervor.
«Selbstverständlich», antwortete Lena und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
In solchen Momenten wusste sie, warum sie Maggie an ihrer Seite haben wollte. Sie war so herrlich unkompliziert, eine echte Kameradin. Rasch stieg Lena aus der Wanne und trocknete sich mit schnellen Bewegungen ab. Dann schlüpfte sie in ihren seidenen Morgenmantel, den Estrelle ihr ebenfalls bereitgelegt hatte, und wollte gerade etwas von dem übrig gebliebenen Frühstück genießen, als draußen vor dem Haus ein Tumult ausbrach.
«Was ist da los?», fragte Maggie, die bereits im Wasser saß.
«Keine Ahnung.» Lena trat durch die Doppeltür in ihr eigenes Zimmer und spähte durch das Fenster in den Hof. Das Pferdegetrappel nahm zu, und jetzt waren noch mehr Stimmen zu hören. Als sie glaubte, Edwards melodischen Bariton zu erkennen, stieg ihre Nervosität.
Tatsächlich entdeckte sie ihren zukünftigen Ehemann in einem Pulk von schwarzen und weißen Männern, die teils zu Fuß, teils zu Pferd auf den freien Platz vor dem Herrenhaus strömten. Lena fühlte sich an die englischen Fuchsjagden erinnert, an denen sie zusammen mit ihrem Vater auf Einladung der Countess of Lieven teilgenommen hatte. Mit dem Unterschied, dass die Hunde dort unten angeleint waren und die Reiter keinerlei Jagdkleidung trugen.
Edward saß auf einem wunderschönen Rotfuchs und war unzweifelhaft der Anführer dieser merkwürdigen Gesellschaft. Er trug einen breitkrempigen Hut und – trotz der Hitze – lederne Handschuhe. In seiner dunklen Lederhose, dem braunen Baumwolljackett und den kniehohen Reitstiefeln kam er Lena noch stattlicher vor, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Augenblicklich machte ihr Herz einen Sprung. Doch die Freude verebbte sogleich wieder, als sie unweit entfernt drei Männer in Ketten auf einem Leiterwagen bemerkte, der von zwei Mauleseln gezogen wurde. Die Gefangenen, junge Neger, deren Muskeln von Blut und Schweiß bedeckt in der Sonne glänzten, waren allem Anschein nach ausgepeitscht worden. Jedenfalls zeugten ihre aufgeplatzten Fleischwunden auf dem Rücken von einer rüden Behandlung.
Lena verengte den Blick, um in der gleißenden Sonne besser sehen zu können, und entdeckte Trevor Hanson, der, auf einem Pferd sitzend, eine Peitsche in der Hand, mit lautem Knallen den Karren umrundete. Dahinter hatte sich eine Gruppe schwarzer Männer und Frauen in einfacher Kleidung versammelt. Offenbar handelte es sich um Sklaven, die auf Redfield Hall ihre Arbeit versahen. Stumm verfolgten sie die bedrückende Szenerie.
Hanson setzte unvermittelt zu einer flammenden Rede an, die offenbar an die Neger gerichtet war und sie allem Anschein nach einschüchtern sollte.
«Nun, was ist?», drängelte Maggie aus dem Hintergrund.
«Wenn ich das wüsste», flüsterte Lena beinahe lautlos und schob die Gardine ein Stück beiseite, wobei sie peinlich darauf bedacht war, dass sie von dort unten niemand sehen konnte.
Als Edward plötzlich eine Pistole zückte und in die Luft schoss, zuckte sie erschrocken zurück. Ihr Herzschlag galoppierte davon, und es dauerte eine Weile, bis sie den Mut fand, noch einmal nach unten zu schauen.
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