Edward knöpfte resigniert seine Hose zu und schüttelte den Kopf. «Dein Vater würde es auch nicht gutheißen, wenn er wüsste, wie groß in Wahrheit dein Verlangen nach mir ist. Oder glaubst du, mir wäre entgangen, wie sehr du mich begehrst?» Er sah sie herausfordernd an. «Ich bin auch nur ein Mann. Und ich habe Monate darauf gewartet, dich endlich in meinem Bett zu haben.»
«Dann wird es dir sicher nichts ausmachen, wenn wir noch bis zur Hochzeitsnacht warten», bemerkte sie deutlich verschnupft und ordnete ihr Kleid.
Edward schnaubte verdrossen und sah sie verständnislos an.
«Bist du denn gar nicht froh, mich zu sehen – nach all der langen Zeit, die wir getrennt waren?»
«Natürlich freue ich mich, dich zu sehen. Ich habe die ganze Überfahrt an nichts anderes gedacht.»
Lena traute sich nicht, seinen lodernden Blick zu erwidern. Zumal er sich anschickte, aufzustehen und ihr zu folgen. Denn noch immer lag eine ungebändigte Lüsternheit darin.
«Willst du mich denn gar nicht fragen, wie die Schiffsreise war?» Sie hatte Mühe, den bissigen Unterton in ihrer Stimme zu unterdrücken.
«Wie war die Schiffsreise?», fragte er lahm vom anderen Ende des Zimmers. Wobei er ein paar Schritte auf sie zuging.
Nervös verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. «Nun, du wärst stolz auf mich, wie gut ich die Strapazen verkraftet habe. Die Überfahrt hat mir beinahe nichts ausgemacht, obwohl wir in mehrere Stürme geraten sind.»
Sie ging um das Bett herum, um noch ein wenig mehr Abstand zwischen sie zu bringen.
«Maggie war dagegen während der Reise überhaupt nicht gut», plapperte sie weiter. «Ich hatte entsetzliche Angst um sie, weil ich fürchtete, sie könnte sterben, bevor wir Redfield Hall erreichen.»
«So schnell stirbt man nicht», sagte er mit einem überheblichen Lächeln.
«Das war der Lieblingsspruch meiner Großmutter», konterte sie, «und eines Tages fiel sie um und war tot.»
Lena ärgerte sich über Edwards Sorglosigkeit. Dieser nachlässige Charakterzug war ihr in London gar nicht an ihm aufgefallen.
«Wir können nur froh sein, dass Maggie sich bereits auf dem Wege der Besserung befindet und sogar etwas gefrühstückt hat.»
«Ach», stieß er hervor und machte eine wegwerfende Handbewegung. «Dann scheint es ja so schlimm nicht zu sein.»
«Ich hätte mich gefreut, wenn du uns am Hafen abgeholt hättest!», brach es aus ihr hervor, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Ob es Tränen der Wut oder Tränen der Trauer waren, vermochte Lena nicht zu sagen. Nur dass Edward ihr mit einem Mal so entsetzlich gefühlskalt erschien.
«Es tut mir leid», lenkte er überraschend sanft ein und machte noch einmal den Versuch, ihr näher zu kommen.
Doch Lena wich unwillkürlich zurück.
«Ich hatte dringende Geschäfte zu erledigen.» Er zuckte mit den Schultern. «Wir wussten nicht genau, wann das Schiff einlaufen würde, deshalb habe ich Trevor an meiner Stelle geschickt. Er ist mein bester Mann, auf ihn kann ich mich blind verlassen.»
«Aber nicht er will mein Ehemann werden, sondern du», erwiderte sie trotzig. «Außerdem hat er sich vor der Abfahrt nach Redfield Hall betrunken. In meinen Augen ist er ein Scheusal ohne Manieren.»
«Ist es nicht ein ausgesprochenes Glück für dich», neckte er sie und lachte, «dass ich es bin, der um deine Hand angehalten hat und nicht er?»
Lena warf Edward einen zornigen Blick zu.
«Wer weiß, vielleicht überlege ich es mir ja noch», giftete sie. «Da reise ich fünftausend Meilen übers Meer, und mein zukünftiger Ehemann schickt seinen betrunkenen Vertreter, um mich am Hafen abzuholen. Wenn sich das in London und Hamburg rumspricht, wird sich die Meinung, dass du eine glänzende Partie bist, rasch ändern.»
Plötzlich wurde Edward ernst.
«Ich bin eine sehr gute Partie!», bekräftigte er mit erhobener Stimme. Deutlich sanfter fügte er hinzu: «Es war nicht meine Absicht, dich zu erzürnen. Ich werde es wiedergutmachen, ich verspreche es dir. Gleich heute Mittag beim Lunch fange ich damit an.» Feierlich hob er die Hand, als ob er einen Eid leisten wollte. «Und sobald mein Vater aus Spanish Town zurückgekehrt ist, werden wir die Hochzeit vorbereiten.»
Lena entspannte sich zunehmend, weil ihm anscheinend doch etwas an ihr lag. Plötzlich konnte sie sogar wieder lächeln. Edward ergriff seine Chance und kam langsam auf sie zu, um sie – diesmal um einiges vorsichtiger – in den Arm zu nehmen. «Vertraust du mir?», fragte er leise.
«Ja», hauchte sie und ließ es geschehen, dass er sie zärtlich küsste.
«Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich dir.»
Edward machte ein feierliches Gesicht.
Als er ging, blieb Lena in der unbestimmten Hoffnung zurück, dass er die Wahrheit sagte.
August 1831 // Jamaika // Sklaventreiber
Es verging fast eine Woche, bis Edward sein Versprechen, den Hochzeitstermin festzulegen, endlich einlöste. Er hatte per Boten mit seinem noch immer abwesenden Vater korrespondiert, und die beiden hatten sich schließlich auf einen baldigen Hochzeitstermin festgelegt, der ihr aber noch immer nicht konkret genannt wurde.
Mit einem romantischen Abendessen zu zweit auf der Terrasse des Herrenhauses kam er Lenas Unmut zuvor.
Überraschend zog Edward noch vor dem Dinner ein schwarzes Kästchen aus seiner Jackentasche und überreichte es ihr mit feierlicher Miene.
«Ich möchte mich bei dir entschuldigen», erklärte er. «Für alles, was seit deiner Ankunft zwischen uns schiefgelaufen ist.»
Sprachlos nahm Lena das Geschenk entgegen und klappte es auf.
Zum Vorschein kam ein kostbares, mit Diamanten besetztes Goldarmband, das ihr glatt den Atem verschlug. Edward nahm es ihr wortlos ab und legte es um ihr schlankes Handgelenk. Es saß perfekt.
«Seit deiner Ankunft hatte ich noch keine Gelegenheit, dir zu sagen, wie dankbar ich bin, dass du das alles auf dich genommen hast, um zu mir zu kommen und meine Frau zu werden», erklärte er selig lächelnd wie ein Engel.
«Danke», wisperte sie fassungslos, nicht fähig, den Blick von seinem wunderbaren Geschenk abzuwenden.
Ihre Drohung, notfalls nach Europa abzureisen, wenn er sein Verhalten nicht änderte, verpuffte wie der Rauch seiner Pfeife, die er sich nach dem Essen angezündet hatte. In knapp zwei Wochen würde Lena nicht nur seinen ehrenwerten Namen, sondern auch sein Bett mit ihm teilen, wie Edward mit einem süffisanten Lächeln hinzufügte, das sie angesichts dieser gelungenen Überraschung nicht weiter hinterfragen wollte.
Schon am nächsten Tag beauftragte Edward seinen Verwalter, einen dicklichen Endvierziger mit dem seltsamen Namen Archibald Bluebird, und dessen ältlichen Sekretär Peter Hogsmith mit der geschäftsmäßigen Planung der Feierlichkeiten. Schließlich mussten Dutzende von Einladungskarten geschrieben, der Priester bestellt und der Einkauf von Lebensmittelvorräten und Getränken erledigt werden. Hinzu kamen Dekoration und Musik.
«Edward zeigt sich mir gegenüber nur von seiner allerbesten Seite», versicherte Lena ihrer Gesellschafterin, die nach wie vor an der Charakterstärke des Bräutigams zweifelte.
Inzwischen ging es auch Maggie wieder so gut, dass sie sich sogar das Reiten zutraute. Nach dem Mittagessen wollte Edward ihnen endlich die Zuckerproduktionsstätten im Süden der Plantage zeigen, wo aus frischen Zuckerrohrstangen granulierter Zucker gewonnen wurde. Maggie, die froh war, endlich etwas mehr von ihrer neuen Umgebung kennenzulernen, stand bereits bei den Pferden.
Es war ein sonniger, aber etwas windiger Tag, und Lenas Freundin steckte sich vorsichtshalber den Hut mit weiteren Nadeln auf ihrem schwarzen Haar fest, bevor es losgehen sollte. In ihrem sandfarbenen, schweren Reitkleid, das Lena ihr noch vor der Abreise hatte anfertigen lassen, sah sie selbst aus wie eine Gutsherrin. Dieser Titel stand eigentlich Lena zu, die ganz in Dunkelrot gekleidet eine ebenso gute Figur auf ihrer fuchsbraunen Vollblutstute machte. Edward hatte ihr das edle Tier im Zuge seiner Versöhnungskampagne nachträglich zur Verlobung geschenkt. Eine wunderbare Geste, die sie tief beeindruckt hatte und ihre Zweifel an ihm endgültig verstummen ließ.
Читать дальше