Stefan Zweig
Schachnovelle
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Martin Neubauer
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Stefan Zweig: Schachnovelle . Hrsg. von Florian Gräfe. Stuttgart: Reclam, 2016. (Reclam XL. Text und Kontext, 19151.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18933.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15490
2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2019
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961449-6
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015490-8
www.reclam.de
1941 schrieb Stefan Zweig seine Schachnovelle , 1942 wurde sie veröffentlicht. Die Pläne dazu reichen freilich länger zurück. In einem Brief, wahrscheinlich vom Sommer 1938, berichtet Stefan Zweig seinem Schriftstellerkollegen Joseph Roth, dass er Material zu einer »Art symbolischer Novelle«1 gesammelt und daran schon zu arbeiten begonnen habe. Wie dieses Symbol beschaffen sein soll, verrät schon der Titel Titel des Werks, auf das sich diese Briefstelle aller Wahrscheinlichkeit nach bezieht: Es geht um das Schachspiel. Im zweiten Teil des Titels versteckt sich die Gattungsbezeichnung: »Novelle«, ein Wort romanischen Ursprungs, bezeichnet eine Neuigkeit, weist auf den Umstand hin, dass von etwas Besonderem, etwas Ausgefallenem die Rede sein soll.
Schachnovelle : In seiner Zusammensetzung aus zwei Nomen haftet dem Titel etwas Beispielhaftes an. In der Tat handelt es sich nicht um eine Novelle zum Thema Schach, sondern – wie auch die internationale Wirkungsgeschichte gezeigt hat – um die Novelle, um das Schach-Kultbuch Kultbuch für die Freunde des königlichen Spiels. Und dies, obwohl das Schachspiel darin nicht nur gefeiert, die ihm innewohnende Logik nicht nur bewundert wird – vielmehr wird auch seine ›dunkle‹, dämonische Seite darin zur Sprache gebracht. Oder ist gerade diese Sichtweise, die die Ambivalenz, die Widersprüchlichkeiten des Schachspiels akzentuiert, vielleicht der eigentliche Grund für die lang anhaltende Popularität der Erzählung?
Schach, das intellektuellste aller Spiele, bewahrt in Zweigs Erzählung einen Menschen vor dem psychischen Zusammenbruch – und zerstört im weiteren Verlauf der Novelle dessen Geist. Es bewirkt Ambivalenz des Schachspiels sowohl Rettung als auch Verderben. Wie so etwas Außergewöhnliches, ja Sinnwidriges geschehen kann, wird anhand einer psychologischen Fallstudie gezeigt, in deren Mittelpunkt ein Mensch steht, der die Schrecken der Isolationsfolter erdulden muss, den ein Buch über das Schachspiel vor der geistigen Austrocknung bewahrt, von dem aber in der Folge das Spiel als fixe Idee Besitz ergreift. Diesem Menschen wird ein Charakter als Kontrahent gegenübergestellt, wie er gegensätzlicher nicht sein kann – einzig die Besessenheit, mit der jeder auf seine Weise das Schachspiel ausübt, verbindet die beiden.
Man braucht vom Schachspiel nicht unbedingt eine Ahnung zu haben, aber um sich ganz in die Schachnovelle hineindenken zu können, sollte man die Umstände der Werksentstehung Umstände kennen, unter denen sie entstanden ist – denn sie ist nicht nur eine psychologische Erzählung, sondern auch ein Spiegel ihrer Zeit. Im März 1938 war Hitlers Wehrmacht in Österreich einmarschiert und hatte somit erstmals die Grenzen eines souveränen Staates überschritten. Viele Österreicher begrüßten die Tatsache, dass ihr Land ein Teil des Deutschen Reichs wurde; für viele Österreicher bedeutete dies jedoch Bespitzelung, Verfolgung, Folter und gewaltsamen Tod. Stefan Zweig, jüdischer Herkunft, war zu diesem Zeitpunkt bereits ins Ausland übersiedelt. Für ihn war klar, dass er mit Hitlers Einmarsch seine Heimat endgültig verloren hatte. In diesem Bewusstsein verfasste er die Schachnovelle , verarbeitete darin die Erfahrungen von Verlust und Einsamkeit, von Bedrohung und Niederlage, indem er einen aussichtslosen Kampf mit einem übermächtigen Gegner schilderte.
Die Schachnovelle ist Zweigs letzte Erzählung, gleichsam sein episches Zweigs episches Vermächtnis Vermächtnis, das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Wahrscheinlich hätte es den Schriftsteller gewundert, wenn er den Erfolg der Novelle miterlebt hätte – er hielt sie für zu elitär, für zu anspruchsvoll. Diese Skepsis war unangebracht, denn im Laufe der Jahre hat das Buch eine weltumspannende Leserschaft gewonnen: die Grenzen überschreitend, wie sich der Kosmopolit und international angesehene Autor Zweig gefühlt hat, so weltumspannend aber auch wie das Schachspiel selbst.
An Deck eines Ausgangssituation Dampfers, der seine Passagiere von New York nach Südamerika bringen soll, unterhält sich der Ich-Erzähler gerade mit einem Bekannten, als der Schachweltmeister Mirko Czentovic an Bord des Schiffes geht, um eine Turnierreise anzutreten, und dabei für beträchtlichen Presserummel sorgt.
Czentovic hat eine erstaunliche Czentovics Karriere Karriere hinter sich: Als Waisenkind, das aus einfachsten Verhältnissen stammt, ist er in einem abgelegenen Balkandorf von einem Pfarrer erzogen worden, der an dem Jungen auch dessen außergewöhnliche Schachbegabung entdeckt hat. Innerhalb kürzester Zeit gelingt Czentovic der steile Aufstieg zu einer internationalen Schachgröße; bereits mit zwanzig ist er Weltmeister. Der Erfolg und das schnelle Geld haben ihn selbstgefällig und habgierig gemacht, dabei ist seine Fähigkeit völlig einseitig: Im Grunde genommen ist er ein stumpfsinniger, unkultivierter Provinzler geblieben, ungebildet, kaum fähig, sich mündlich – und schon gar nicht schriftlich – zu artikulieren.
Dieser widersprüchliche Charakter erweckt das psychologische Interesse des Erzählers, doch wird er von seinem Freund gewarnt: Czentovic meide die Gesellschaft. Und tatsächlich: In den ersten Tagen der Reise bietet sich zum Ärger des Erzählers keine Gelegenheit, mit dem Weltmeister ins Gespräch zu kommen. Um sein Der Plan des Ich-Erzählers Ziel schließlich doch zu erreichen, wirft der Erzähler einen Köder aus: Im Rauchsalon des Schiffes beginnt er mit seiner Frau Schach zu spielen und lockt damit eine Handvoll Schaulustiger an, von denen einer, ein reicher schottischer Tiefbauingenieur namens McConnor, bald sein neuer Gegner wird. McConnors Ehrgeiz verträgt keine Niederlage; immer wieder sucht er Revanche, und so reiht sich schließlich Partie an Partie.
Am dritten Tag würdigt Czentovic die beiden Amateure kurz eines Blickes. Als McConnors Herausforderung McConnor erfährt, dass sich ein Schachweltmeister an Bord befindet, ist er ganz versessen darauf, gegen ihn eine Partie auszutragen. Czentovic erklärt sich nur dazu bereit, wenn der Schotte ihm einen hohen Dollarbetrag dafür zahlt.
Tags darauf tritt der Weltmeister gegen eine Gruppe Interessierter an. Das erste Spiel gewinnt er mühelos, legt dabei aber arrogante Gleichgültigkeit an den Tag. Gegen Geld lässt er sich auf eine Revanchepartie ein. Auch dieses Spiel hat Czentovic souverän in der Hand, stellt seinen Gegnern eine verlockende Falle – bis ein Unbekannter den Amateuren plötzlich zu Hilfe kommt und durch seine überzeugende Analyse der Figurenstellung und sein energisches Eingreifen dem – nunmehr nicht mehr so gleichgültig agierenden – Schachmeister ein Eine Niederlage und ein Remis Remis abringt. Czentovic bietet eine dritte Partie an. McConnor will, dass der unbekannte Retter allein antritt, doch der lehnt verwirrt ab und zieht sich mit den Worten zurück, er habe schon seit 25 Jahren vor keinem Schachbrett mehr gesessen.
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