Thomas Mann
Tonio Kröger
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Swantje Ehlers
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Thomas Mann: Tonio Kröger und Mario und der Zauberer . Ein tragisches Reiseerlebnis . Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 2016 [u. ö.].
Lektüreschlüssel XL | Nr. 15511
2019 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2019
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961525-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015511-0
www.reclam.de
Die Novelle Tonio Kröger gehört zum Frühwerk von Thomas Mann und erschien nach der Novellensammlung Der kleine Herr Friedemann (1898) und dem Roman Die Buddenbrooks (1901) im Jahr 1903 zuerst in der Neuen Deutschen Rundschau und im gleichen Jahr in der Novellensammlung Tristan .
Es geht in der Novelle um den Weg einer SelbstfindungWeg der Selbstfindung des Titelhelden Tonio Kröger, einem sensiblen, künstlerisch veranlagten Patriziersohn aus einer norddeutschen Hansestadt, der von Selbstzweifeln gequält wird und nach seiner künstlerischen und sozialen Identität sucht. Von Beginn an fühlt er sich von seinen Schulkameraden und Lehrern ausgeschlossen. Seine Zuneigung gilt Hans Hansen und Ingeborg Holm, doch bleibt sie unerwidert. Mit Anfang 30 geht er in den Süden und entwickelt sich zu einem namhaften Schriftsteller, leidet aber unter seiner Außenseiterrolle und seiner Gespaltenheit zwischen Kunst und Leben, bürgerlicher und künstlerischer Existenz. Im Gespräch mit seiner Künstlerfreundin Lisaweta reflektiert er sein Kunstverständnis und das Spannungsverhältnis von Künstler und Bürger. Am Ende bekennt er sich zu seiner Liebe zum gewöhnlichen Leben. Auf einer Reise in den Norden macht er Station in seiner Vaterstadt, geht den alten Spuren der Kindheit und seinen Erinnerungen nach und spürt die Entfremdung von der Heimat. Auf einem Tanzabend im dänischen Badeort Aalsgaard erinnert ihn ein dänisches Paar an seine Jugendlieben Hans und Inge, was heftige Gefühle in ihm auslöst. Die Konsequenzen dieser Wiederkehr von Hans und Inge zeigen sich in einem abschließenden Brief an Lisaweta, in dem er sich zur Liebe zu den normalen Bürgern bekennt und die Kunst auf das Humane und Lebensnahe verpflichtet. Sich selbst bestimmt er in seiner Identität als jemand, der zwischen zwei Welten steht.
Formal ist die Novelle nach den Strukturierung durch Gegensätze und LeitmotiveGegensätzen Künstler – Bürger, Kunst – Leben und Norden – Süden und durch Wiederholung von Leitmotiven strukturiert. Die Gegensatzpaare stehen in Beziehung zu einem philosophischen und kunsttheoretischen Hintergrund um 1900. Durch vielfache Bezüge auf andere literarische Texte u. a. von Theodor Storm, Friedrich Schiller, William Shakespeare und Hans Christian Andersen entsteht eine Intertextualität, die dazu dient, den Helden in seinem Wesen und seiner Konflikt- und Gefühlslage zu charakterisieren.
Der Held Tonio Kröger ist der Sohn des Konsuls Kröger und seiner schönen aus dem Süden stammenden Mutter. Von Natur aus ist er sensibel und künstlerisch veranlagt. Die Familie lebt in einer nördlichen Stadt an der Ostsee und gehört zu den ersten Familien der Stadt. Tonios Vater besitzt einen Getreidehandel, der sich seit Generationen im Besitz der Familie befindet. Viele Hinweise im Text deuten darauf hin, dass es sich bei der Stadt um Lübeck handelt, auch wenn der Name selbst nicht auftaucht, z. B. die Nähe zur Ostsee, die »Wallanlagen« (S. 16), »das untersetzte Tor« (S. 17), der »Hafen« (S. 17), der »gotische Brunnen« am Markt (S. 17).
1. Kapitel:Die Geschichte setzt ein, als Tonio Kröger 14 Jahre alt ist und an einem Wintertag nach der Schule auf seinen Schulkameraden Tonio und Hans HansenHans Hansen wartet, um mit ihm zusammen nach Hause zu gehen. Er ist enttäuscht, dass Hans ihre Verabredung für diesen gemeinsamen Heimweg offensichtlich vergessen hat, wie dessen Rückfrage »Wieso?« auf Tonios Frage »Kommst du endlich, Hans?« (S. 7) zu erkennen gibt. Hans überspielt jedoch Tonios Enttäuschung freundschaftlich. Während Tonio von Schillers Don Carlos und dem einsamen König Philipp erzählt, interessiert sich Hans eher für Sport und Pferdebücher. Tonio fühlt sich zu Hans Hansen aufgrund seiner äußeren Attraktivität und Stärke hingezogen, doch beruht diese Anziehung nur begrenzt auf Gegenseitigkeit. Hans schätzt Tonio, doch geniert er sich auch seinetwegen vor anderen Schulkameraden. Seine Distanz bringt er zum Ausdruck, indem er Tonio, als ein anderer Schulkamerad hinzukommt, beim Nachnamen nennt statt beim vertraulichen Vornamen, den er offen als »verrückt« (S. 14) ablehnt. Der Schulkamerad, Erwin Jimmerthal, unterbricht zum Bedauern von Tonio ihr Gespräch. Da Hans und Erwin ihre Gemeinsamkeiten durchs Unterhaken und ihr Gespräch über den Reitsport demonstrieren, fühlt Tonio sich ausgeschlossen. Ohnehin hat er sich, weil er Gedichte schreibt, bei Lehrern wie Mitschülern in eine Außenseiterrolle gebracht. Hans ist in seiner Lebensstärke und in seinen Interessen ein Gegentyp zu Tonio und dessen feinsinniger und träumerischer Art. Tonios Liebe zu Hans bleibt unerwidert.
2. Kapitel:Mit 16 Jahren verliebt sich Tonio auf einer der Tanzstunden, die regelmäßig stattfinden, in die blonde, blauäugigeTonio und Ingeborg Holm Ingeborg Holm, die ihn jedoch nicht beachtet. Der Ballettmeister François Knaak kommt extra aus Hamburg angereist, um die jungen Leute im Tanzen und im Anstand zu unterrichten. Während einer Quadrille, einem Gesellschaftstanz, kommt Tonio Ingeborg sehr nahe, ist verwirrt und gerät versehentlich in die Gruppe der Damen. Der Tanzlehrer verspottet ihn wegen dieses Fehlers, und er wird ausgelacht. Daraufhin zieht Tonio sich gekränkt und traurig in eine Fensternische zurück. Ein anderes Mädchen, Magdalena Vermehren, wirbt um Tonios Aufmerksamkeit. Jedoch lehnt er sie ab, weil sie sich schwächlich zeigt und beim Tanzen oft hinfällt. Auch dieses Kapitel endet mit der unerwiderten Liebe des Helden und der Erkenntnis von Fremdheit zwischen ihm und den anderen. Literarische Bezugstexte für seine Empfindungen sind Immensee und das Gedicht Hyazinthen von Theodor Storm.
Abb. 1: Während der Tanzstunde verliebt und blamiert sich Tonio: Szenenbild aus der Verfilmung Tonio Kröger von Rolf Thiele (1964). – © ddp images
3. Kapitel:Kurz nach dem Tod der Großmutter stirbt auch Tonios Vater. Die Firma wird aufgelöst und das große Familienhaus verkauft. Seine Mutter heiratet einen südländischen Musiker und geht mit ihm fort. Tonio verlässt die Tonio verlässt die HeimatstadtHeimatstadt und alles was ihm lieb war (Garten, Walnussbaum, Springbrunnen, das Meer) und lebt nun im »Süden« (S. 26). Er führt ein ausschweifendes Leben, das er selbst infrage stellt und ablehnt. Zugleich entwickelt er sich durch strenge Arbeitsdisziplin zu einem Schriftsteller, dessen Werke Anerkennung beim Publikum finden.
4. Kapitel:In München hat sich Tonio mit der russischen Malerin Lisaweta Iwanowna angefreundet.
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