Außenwohngruppen und Wohngruppen
Die ersten Außenwohngruppen entstanden zu Beginn der 1970er-Jahre. Sie waren eine Antwort auf die Kritik an der Heimerziehung, die unselbstständige junge Menschen produziere (Kiehn 1990, S. 31 ff.). Im Zuge der allgemeinen Dezentralisierung wurden Gruppen aus dem Heim in andere Gebäude, beispielsweise in Einfamilienhäuser oder in größere Etagenwohnungen, ausgelagert. Damit konnte erreicht werden, dass der negative Heimcharakter mit den entsprechenden Etikettierungen erheblich reduziert wurde oder auch ganz verschwand, denn Außenwohngruppen sind in das normale Wohnumfeld integriert. Durchschnittlich fünf bis acht junge Menschen bilden eine solche Gruppe. Sie werden von pädagogischen Mitarbeiter*innen betreut, die ähnlich wie im Heim im Schichtdienst arbeiten, oder von einer Erziehungsperson bzw. einem Paar, welches innerhalb der Außenwohngruppe lebt und von zusätzlichen Fachkräften, die dort ebenfalls arbeiten aber außerhalb leben. Ursprünglich waren Außenwohngruppen vor allem Jugendlichen vorbehalten, die schon längere Zeit im Heim lebten und sich nun zunehmend verselbstständigen sollten. Demgemäß stellt die Selbstversorgung ein wichtiges Prinzip in Außenwohngruppen dar. Im Laufe der Zeit wurden allerdings zunehmend Kinder in Außenwohngruppen aufgenommen, auch solche, die bislang nicht in einem Heim gelebt hatten. Es handelte sich dabei vorwiegend um Kinder, die voraussichtlich bis zu ihrer Selbstständigkeit auf öffentliche Erziehung angewiesen waren. Die Serviceleistungen eines Heimes können von der Außenwohngruppe in Anspruch genommen werden, so beispielsweise die therapeutischen Dienstleistungen, aber auch Aushilfen in Urlaubsoder in Krankheitsfällen. Die Verbindung zum Stammheim ist jedoch nicht nur positiv zu beurteilen, sie kann auch negativ wahrgenommen werden, wenn etwa eine zu große Abhängigkeit entsteht und die hierarchische Struktur des Heimes sich auch auf die Außenwohngruppe niederschlägt.
Demgegenüber sind Wohngruppen oder Wohngemeinschaften vollkommen selbstständige Institutionen der stationären Jugendhilfe, die in den vergangenen Jahren zunehmend entstanden sind. Um etwaige Nachteile zu kompensieren, weil beispielsweise keine Serviceleistungen einer großen Einrichtung in Anspruch genommen werden können, haben sich oftmals Wohngruppen zu einem Verbund zusammengeschlossen. Sie nutzen zudem deutlich mehr Angebote des öffentlichen Nahraums, wie z. B. Jugendzentren, therapeutische Einrichtungen o. ä.
Das Betreute Wohnen umfasst die früheren Jugendhilfeformen Sozialpädagogisch betreutes Wohnen und Mobile Betreuung.
Das Betreute Wohnen kann als Betreuungsangebot für Jugendliche und junge Volljährige verwirklicht werden:
(1) Für solche Jugendlichen und junge Volljährige, die bislang in einem Heim oder in einer Wohngruppe der Jugendhilfe lebten und dort bereits ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit unter Beweis stellen konnten. Diese jungen Menschen können sich nun in einer eigenen Wohnung, in der sie alleine oder mit anderen zusammenleben, weiter verselbstständigen. Sie werden bei diesem Prozess, vor allem in Fragen der Ausbildung und Lebensführung, durch sozialpädagogische Fachkräfte beraten und unterstützt.
(2) Für solche Jugendlichen und junge Volljährige, die in der Heimerziehung nicht zurechtkommen, weil sie nicht in der Gruppengemeinschaft leben wollen oder können und weil sie diese Form der Unterbringung total ablehnen. Für solche Menschen in zumeist sehr schwierigen Lebenssituationen bietet das Betreute Wohnen eine Alternative zur geschlossenen Unterbringung, welche pädagogisch fragwürdig und in der Regel ineffizient ist. Es stellt außerdem eine Alternative zur völligen pädagogischen Resignation und Hilflosigkeit dar, bei der man den jungen Menschen einfach der Straße und dem Schicksal überließe.
Waren es zu Beginn einer stationären Erziehungshilfe im Jahr 1991 noch 437 junge Menschen, die in einer eigenen Wohnung betreut wurden (1,8 % aller begonnenen stationären Erziehungshilfen) stieg diese Zahl auf 2.282 im Jahr 2017 an (4,4 % aller begonnenen stationären Erziehungshilfen) (Statistisches Bundesamt 1997/2018b).
„Erziehungsstellen erweitern den sozialen Kosmos der Erziehenden um ein Kind, das auch die Schnittstelle zu einer anderen Familie darstellt – sie sind dessen soziale Familie“ (Sternberger 2002, S. 206) .
Erziehungsstellen nehmen einen Platz zwischen Heimerziehung und Pflegefamilie ein. In Erziehungsstellen, die im Rahmen der Heimerziehung nach §34 KJHG auch als Sozialpädagogische Lebensgemeinschaften bezeichnet werden, können in der Regel ein bis zwei (bisweilen auch drei) Kinder oder Jugendliche aufgenommen werden. Es handelt sich dabei um solche, die spezielle pädagogische Bedürfnisse und Entwicklungsdefizite aufweisen, welchen im Rahmen der üblichen Heimerziehung nicht ausreichend differenziert begegnet werden kann. Andererseits oder zugleich können es auch Kinder oder Jugendliche sein, die aufgrund ihres Verhaltens zu einer großen Belastung für die Heimgruppe werden und dadurch in eine Außenseiter- und Negativposition geraten würden. Erziehungsstellen sind in unterschiedlichen Organisationsformen vorhanden. In einigen Erziehungsstellen sind für diese Arbeit langfristig freigestellte pädagogische Mitarbeiter*innen eines Heimes tätig, deren Gehalt – in Abhängigkeit von der Kinderzahl – vom Heimträger weiterbezahlt wird. In anderen Erziehungsstellen wird beispielsweise auf der Grundlage von Kooperations- oder Honorarverträgen gearbeitet.
Erziehungsstellen unterscheiden sich von der Pflegefamilie durch ihre geforderte spezifische Professionalität. Die jungen Menschen in Erziehungsstellen weisen in der Regel besonders gravierende Defizite, Entwicklungsrückstände, traumatische Erfahrungen und Verhaltensstörungen vor dem Hintergrund schwierigster Verhältnisse in ihren Herkunftsfamilien auf. Sie sind daher auf eine „grundlegende psychische und soziale Stabilisierung“ angewiesen, die ihnen Erziehungsstellen langfristig bieten können (Moch/Hamberger 2003, S. 106). Auch bei Pflegefamilien gibt es inzwischen Konzepte, in denen mindestens ein Pflegeelternteil eine fachliche Ausbildung hat und die Familie intensiv professionell begleitet wird. Auch hier werden in der Regel eher Kinder untergebracht, die aufgrund ihrer Geschichte Verhalten zeigen, das Familien an ihre Grenzen bringen kann (s. auch Nowacki & Remiorz 2018, S. 14, 148).
Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung
Heimerziehung ist schon seit längerer Zeit nicht mehr auf die traditionellen Institutionen Heim und Wohngruppe begrenzt, denn es zeigte sich immer wieder, dass bestimmte Jugendliche durch alle Raster fallen und innerhalb dieser Institutionen nicht gefördert werden können. Es handelt sich um junge Menschen, die aufgrund ihrer Sozialisation und Biografie mit sich selbst und der personalen und sachlichen Umwelt nicht zurechtkommen, die wegen ihrer Verhaltensweisen immer wieder anecken, die oftmals gescheitert sind und keine persönlichen Perspektiven besitzen. Es ist möglich, die Intensive sozialpädagogische Einzelfallhilfe im Rahmen der eigenen Wohnung eines jungen Menschen anzubieten, in besonderen Fällen auch innerhalb der eigenen Familie. Die individuelle sozialpädagogische Vorgehensweise sollte bei dieser schwierigen Aufgabenstellung vor allem durch sensibles Einfühlungsvermögen, Toleranz und eine gleichzeitige klare Haltung geprägt sein. Gewissermaßen eine Vorläuferrolle der Intensiven sozialpädagogischen Einzelfallhilfe nimmt die Erlebnispädagogik ein. Seit Ende der 1970er-Jahre entwickelten sich unterschiedliche Projekte für junge Menschen in sehr schwierigen Lebenslagen, die sich auch als Alternative zur geschlossenen Heimerziehung verstanden. Längere Gebirgshüttenaufenthalte unter einfachsten Bedingungen, mehrmonatige Segelfahrten oder Saharadurchquerungen sind Schlaglichter der Erlebnispädagogik. Diese versucht durch intensive Naturerlebnisse, durch die Betonung der jugendlichen Aktivität, durch natürliche Grenzerfahrungen, durch gruppendynamische Prozesse und intensive Einzelgespräche zu helfen, vielleicht erstmals eine eigene Identität zu entwickeln, sich in der Welt trotz aller Zwänge und Pflichten besser zurechtzufinden und vor allem persönliche Perspektiven aufzubauen. Allerdings sind Auslandsmaßnahmen im Zuge der Intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung seit der Novellierung des KJHG vom 1. Oktober 2005 nur noch unter bestimmten Bedingungen zu realisieren. Damit reagierte der Gesetzgeber auf die oft vorgebrachte Kritik gegenüber solchen Auslandsreisen und Auslandsaufenthalten. § 27 Absatz 2 wurde ergänzt:
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