Klar, antwortete ich stoisch, obwohl ich ein heftiges Flattern im Zwerchfell verspürte. Kein Problem, Ingalill. Ruf an, wenn du Entzugserscheinungen hast. Was mich angeht, ist die Lage völlig unter Kontrolle.
Unter gebührenden Dankbarkeitsbezeugungen beendete sie das Gespräch, und ich legte auf, nahm das Tablett und setzte mich zwischen zwei Reinigungskräfte von den Apartments. In der Wäschekammer fehlen Handtücher, sagte der eine. Am Putzwagen ist ein Rad abgegangen, sagte der andere. Was ihr nicht sagt, erwiderte ich.
Als sie einträchtig den Mund aufmachten, um mich zu beschimpfen oder dergleichen, tauchte die Antwort auf alle meine Gebete auf. Darf ich mich hier hinsetzen?
Es war Björn. Die beiden Putzkräfte kamen aus dem Konzept, als er sich direkt uns gegenüber hinter den Tisch klemmte. Ich habe einen meiner alten Offiziere auf dem Flur getroffen, begann er.
Okay, lieber Erinnerungen aus der Rekrutenzeit als quengelige Putzleute. Wie interessant, Björn, einer deiner alten Offiziere?
Genau, erwiderte er. Er kam mir direkt entgegen, es bestand kein Zweifel. Er hätte mich wiedererkennen müssen, aber er verzog keine Miene. Bergius ist sein Name.
Du bist unsichtbar, Björn, antwortete ich, das sind wir hier alle.
Er hat mich in ein Eisloch geschubst, fuhr er fort. Mit Knarre und allem, damals beim Abschlussmanöver, wirklich ein verdammter Grobian. Wintersoldat – er kann mich mal. Stockholmer waren sie, die ganze Bande, vom Winter hatten sie keine Ahnung. Sobald es kalt wird, kriege ich in dem Fuß immer noch Schmerzen, alles wegen diesem Manöver.
Bergius, das ist bestimmt der Mann, der für die Sicherheit bei der Konferenz verantwortlich ist. Ich finde, er wirkt nett, ich habe nämlich bei ihm sauber gemacht.
Nett! Björn verzog das Gesicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn er seine weitere Karriere beim Staatsschutz gemacht hat, denn er kommt ja von den Feldjägern.
Die Putzleute standen auf. Ich schaue nachher bei euch vorbei, sagte ich, fangt in der Zwischenzeit schon an. Sie verschwanden. Stattdessen nahmen Dunja und Hedy Platz. Die schöne Dunja aus Tensta und die freundliche Hedy aus Tschetschenien.
Björn wirkte befangen, vielleicht wollte er ja trotz allem nicht über Militärerinnerungen reden. Er warf einen scheuen Blick auf Dunja. Natürlich, sie war schön, sehr schön, diese intensiven dunklen Augen. Björn fixierte die Heringshappen auf seinem Teller. Magst du Saibling, Siv, fragte er.
Ja, gab ich zur Antwort. Ich wollte gehen, es gab so viel zu tun, und ich war mit dem Essen fertig. Saibling ist ein Gebirgsfisch, erklärte ich. Ich weiß, erwiderte Dunja, er schmeckt gut. Saibling?, wiederholte Hedy fragend.
Ich muss leider weitermachen, erklärte ich und stand auf.
Kannst du ihn denn zubereiten?, fragte er.
Was antwortet man wohl darauf? Natürlich konnte ich so ein bisschen Fisch zubereiten. Das kann doch wohl jeder, erwiderte ich und sah Dunja an. Sie blickte verwundert zurück.
Ich habe jetzt Ingalills Job zu machen, erklärte ich, außer meinem eigenen. Sie ist krank.
Ich habe mit dem vierten Stock angefangen, sagte Dunja, ist das okay?
Ich nickte, noch ungewohnt in meiner neuen Rolle. Du Ärmste, sagte Hedy. Wie willst du das alles schaffen, fragte Björn, dann geht das ja wohl bis spätabends?
Kannst du mir nicht helfen, Dunja?, fragte ich.
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Nix, keine Chance. Gerade an diesen Abenden gedenke ich freizumachen und nur zu relaxen, es wird tagsüber stressig genug.
Wie wahr. Unsereiner kam wohl erst im Grab zum Relaxen. Aber ich hatte keinen Grund, Dunja Vorwürfe zu machen, sie brauchte sicher ihre Ruhe.
Am Ausgang stieß ich wieder auf die Russinnen. Ich hatte im Gespür, dass irgendwelche Demokratie oder Mitbestimmung nicht funktionieren würde, also packte ich den Stier bei den Hörnern und zeigte, wer hier das Sagen hatte. Also, da ihr selbst das Thema aufgegriffen habt, fing ich an. Ihr beide werdet euch morgen Früh als Erstes um den Wintergarten kümmern, dann kommt die Männersauna und die Frauensauna dran, und vergesst nicht die Solarien, das ist euch ja erst letztens passiert. Sollen wir nicht auch noch die Treppen und alle Toiletten übernehmen, erwiderte Jelena sarkastisch. Gern, antwortete ich, wenn ihr glaubt, ihr schafft das, bitte sehr.
Sie gingen ohne ein Wort. Was für eine großartige Chefin ich doch war, zwei Feinde, nein vier, im Handumdrehen. Bei diesem Tempo würde ich eine ganze Armee zu meiner eigenen Verteidigung brauchen, noch ehe der Tag zu Ende war.
Voller Selbstmitleid schlüpfte ich in den Umkleideraum. Dort war es menschenleer. Und unaufgeräumt. Jetzt war keine Zeit dafür. Die gab es eigentlich nie. Unter den Spinden drängten sich Schuhe im Verein mit ausgetrunkenen Plastikflaschen und großen Staubflusen, die Wäschekörbe quollen über, und fast überall an den Haken hielten fiktive Serviererinnen und Büffetkräfte Modenschau.
Und auf einem für mich ganz besonderen Bügel rief ein sehr schönes Kleid nach seiner richtigen Hausmutter. Oder Hausdame.
Wir hatten dieselbe Größe. Es saß einfach perfekt. Spieglein, Spieglein, was sagst du mir, wer ist die Hausdame im Schlosse hier. Das musste extra designt worden sein, es war aus strapazierfähigem Material und erinnerte an die Volkstracht und auch wieder nicht, an ein Abendkleid und auch wieder nicht. Der Rock reichte bis zur halben Wade, und das Oberteil war ein wenig nach unten verlängert. Ich sah gut darin aus. Es musste so gewollt sein, dass ich es eines Tages für immer trug. Bis dahin musste ich mich damit begnügen, es auszuleihen, wenn ich etwas repräsentativer wirken musste und nicht wie jetzt nur das Toilettenschrubben der beiden Putzkräfte begutachten sollte.
Ich schaute mich um, auch jetzt war noch keiner hier. Ich ließ den Rock vorsichtig schwingen und summte. Ich würde mit dieser Konferenz klarkommen, ganz allein.
Ingalill hielt immer, was sie versprach.
Es wurde ziemlich viel getrunken. Andererseits hatten die Leute ja Urlaub, es war also überhaupt nicht verwunderlich. Zum Putzen gehörte das Klirren von Flaschen und das Klappern von Büchsen. Wenn etwas verschüttet worden war, nahm einem der Alkoholgeruch zuweilen den Atem, aber Alkohol desinfiziert, in diesem Zusammenhang gab es schlimmere Dinge. Ich war selbst keine Abstinenzlerin und verurteilte niemanden.
Ein Gemisch aus Red Bull und Wodka war bei der Jugend noch immer ein beliebtes Getränk, obwohl die Kombination als lebensgefährlich galt. Die jungen Leute tranken auch viel hochprozentiges Bier. Die mittleren und älteren Jahrgänge bevorzugten meist Wein, Kognak und Sekt. Manchmal hatte etwas Romantisches stattgefunden, rote Rosen, Moët & Chandon und ein geöffnetes Schmucketui mit glänzendem Geschenkband drumherum. Dann war ich milde gestimmt und wischte mit besonderer Sorgfalt Staub.
Ein bewohntes Hotelzimmer zu betreten war wie ein Vertrauensbeweis. Ich fand, ich bekam eine Beziehung zu den Gästen, die dort nächtigten. Vielleicht empfand der Gast es ebenso? Ja, ganz bestimmt, ich erinnerte mich schließlich, wie es gewesen war, als Jan und ich in südlicheren Breiten Urlaub machten, natürlich bekam man eine Beziehung zu seinem Zimmermädchen. Für mich war sie überhaupt nicht unsichtbar, sondern sogar ziemlich wichtig, fürs Wohlgefühl.
Konferenzteilnehmer waren dennoch die besten, keinerlei Umstände. Nur ein ungemachtes Bett, weiter nichts. Sie benutzten die Gläser nicht, kochten keinen Kaffee, machten keinen Dreck. Sie schliefen nur, duschten und fuhren los, obendrein früh am Morgen. Perfekt.
Ich arbeitete auf der zweithöchsten Ebene, will sagen dem vierten Stock. Über mir, in der obersten vip- Etage, kämpften Muhammad – wenn er wenigstens einen netteren Namen gehabt hätte – und Nenad. Nenad mit der Schulter, ich hatte gesehen, dass sie ihm wehtat.
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