Jetzt ging es los, das, was ich im Gefühl gehabt hatte. Schon seit Ingalill mich in ihre Pläne eingeweiht hatte, ahnte ich, dass in den nächsten Tagen mehr als genug auf mich zukommen würde, deshalb war sie so genau gewesen, als sie mich mit ihren Arbeitsaufgaben vertraut gemacht hatte.
Ich bezweifelte nicht, dass sie und der Junge krank waren, das war es nicht. Aber sie verließ sich auf mich, sie spürte, dass sie die Sache locker angehen konnte, ich würde mich eher verrenken, als die Arbeit zu vernachlässigen, das wusste sie, darauf konnte sie absolut vertrauen.
Der enge Gang, in dem wir uns versammelten, war schwarz vor Menschen, als der Zeiger auf der Sechs stand. Es war viel zu tun am Tag vor Konferenzbeginn, und ich erklärte, dass Ingalill krank war und ich ihre Vertretung übernommen hatte.
Kein Einziger hob auch nur die Augenbrauen. Ich hatte es mir ja schon gedacht, dass sie mich als ihren Boss akzeptieren würden.
Vor dem Frühstück mussten die öffentlichen Räumlichkeiten geschafft werden, da es noch zu früh war, sich in die Zimmer hinaufzubegeben. Mit Tempo und Schwung teilte ich die Putzbereiche ein und tat so, als würde ich keine verstimmten oder beleidigten Mienen sehen. Die Männer hatten beispielsweise bis zu diesem Tag noch nie eine Herrentoilette geputzt. Meine erste Maßnahme als Chefin der Reinigungscrew war daher, das zu ändern. Ich kann nicht, protestierte Muhammad. Was, du kannst nicht?, rief ich verwundert zurück, und dabei hast du doch denselben Lohn wie wir alle.
Etliche andere hatten ihre festen Arbeitsaufgaben, aber da nahm ich auf eigene Faust ein paar Umdisponierungen vor. Zwei unserer Herren sollten zum Beispiel schon heute von mir persönlich eine Weiterbildung im Putzen erhalten. In den folgenden Tagen wurden kompetente Leute gebraucht, und ich hatte es satt, dass die Kerle immer mit der weniger peniblen Apartmentreinigung betraut wurden. Kompetenzverbesserung, dachte ich und übergab Muhammad die Putzliste für die fünfte Etage, der blickte verwundert um sich, war das nicht irgendwie falsch? Ich komme dann hoch und schaue mir die Sache an, versprach ich lächelnd. Dann blickte ich mich nach dem nächsten Opfer um und bekam den Balkanflüchtling zu Gesicht, von dem Ingalill erzählt hatte, er habe sich an der Schulter verletzt, wie hieß er nun gleich? Er selbst hatte sich offenbar einen Morgen im Wintergarten vorgestellt, denn er war bereits dabei, den großen Staubsauger aus der Kammer zu ziehen, doch das wurde abgewehrt. Nicht mit dieser Schulter, ermahnte ich ihn. Auf meine Frage antwortete er lakonisch, er könne es sich nicht leisten, krank zu machen. Na dann würde er also Muhammads Kompagnon werden, und er hieß jetzt wie? Nenad. Vorname oder Familienname? Vorname, antwortete er kleinlaut. Okay. Mir selbst teilte ich die vierte Etage zusammen mit Dunja zu. Sie war sorgfältig und flink, und das bedeutete, ich würde es schaffen, auch nach dem fünften Stock zu sehen.
Der unberechenbare Schleppkahn, den die Putzkolonne in diesem Hotel darstellte, setzte sich langsam in Bewegung, schwerfällig und nicht leicht zu lenken.
Seid heute ganz besonders gründlich, bat ich, dann wird es morgen nicht so hart. Bestimmt aber wird es das trotzdem, rief ich ihnen aufmunternd zu. Ihr müsst euch nicht einbilden, es würde mit mir besser werden, falls Ingalill weiter krank bleibt – es wird noch schlimmer! Blasses Lächeln zur Antwort, ihnen gefiel mein derber Humor, wie gut.
Ich kniete auf einer Treppe, als die höchste Chefin angerauscht kam, obwohl es erst sieben war. Sie hatte es eilig, blieb aber trotzdem stehen und wechselte ein paar Worte mit mir. Ihr kam es darauf an, dass am nächsten Tag alles so gut wie möglich lief, und sie war ein wenig bekümmert, als sie hörte, dass Ingalill krank war, doch versicherte ich, alles sei unter Kontrolle. Ich würde mit Ingalill tagsüber am Telefon konferieren und mich darum kümmern, dass Blumenarrangements, vip -Geschenke und alles Übrige an Ort und Stelle kamen, die Direktorin konnte ganz beruhigt sein.
Als Antwort erhielt ich ein dankbares Lächeln, und dann eilte sie weiter zu ihrem Büro, der Parfümduft hing noch eine Weile in der Luft. Das Prestige stand auf dem Spiel, selbstverständlich, sie hatte dem Hotel erst ein Jahr lang vorgestanden, und auf ihrer Ebene war es offenbar notwendig, besser als nur gut zu sein, wenn man Frau war. Doch das war nicht mein Problem. Als Reinigungskraft war ich vertrauenswürdig, und zwar weitaus mehr als ein Mann.
Du bist eine miese Putzchefin. Verbindlichsten Dank, wer kam da mit einer solch entzückenden Meinung? Klar doch, Dunja, die mich arme Wehrlose in den Hintern trat, als ich so dahockte und die Gummieinfassungen scheuerte.
Wie kannst du diesen Nenad mit der vip -Etage betrauen, bist du nicht ganz dicht?
Ich stand auf, die Knie taten mir weh. Entschuldige, sagte ich, stammt ihr beide nicht aus demselben Land, wenn es sich hier um irgendeinen politischen Scheiß handelt, dann zieh mich da bitte nicht rein. Nenad hat noch einiges zu lernen, und ich gedachte mich der Sache anzunehmen. Hältst du das für falsch, meine beste Dunja?
Absolut, erklärte sie aufgebracht. Du müsstest nur sehen ... Ich habe es gesehen, unterbrach ich sie. All die Fingerabdrücke auf Türfüllungen und Rahmen, die ihnen entgangen sind, ja. Das Geschmiere auf der Toilettenbrille. Die vergessenen Strümpfe vom letzten Gast unterm Bett. Und die Dusche voller Haare. Ich weiß das alles, aber gerade deshalb hat er den Intensivkurs nötig, den er heute bekommen soll. Wir werden mehr Leute als nur euch Mädels brauchen, die richtig gut putzen können. Ich versuche lediglich, eine eventuelle Katastrophe in den kommenden Tagen zu vermeiden.
Du bist die Katastrophe, schnaubte sie verärgert, aber kniff mich gleichzeitig in die Nase. Wir stammen zwar aus demselben Land, doch Nenad ist nicht der, für den er sich ausgibt.
Keine Politik! Ich hob warnend den Finger, und Dunja senkte den Kopf und ging weiter zur Piano-Bar. Bewundere den Fußboden vor den Toiletten, rief ich ihr nach, das habe ich geschafft – ich meine geschabt – mit meinen eigenen Händen!
Das Putz-Gen war nicht weiblicher Natur, dafür hatte ich den Beweis. Eine Mexikanerin, aufgewachsen mit Steinfußböden, hatte in einem anderen Hotel sämtliche Parkettböden saubergeschwemmt. Tag für Tag hatte sie ihr Ritual immer verzweifelter ausgeführt, weil sie zu recht fand, dass der Fußboden immer schlimmer aussah. Erst als es zu spät war, entdeckte man, was da passierte. Niemand hatte ihr erklärt, wie verschiedene Arten von Böden behandelt wurden. Dass unsere Professionalität einfach so wenig wert war, obwohl es doch so viel kosten konnte, wenn wir einen Fehler machten.
Sollte ich den Job bekommen, ja dann ... Tägliche Überprüfung und gegebenenfalls Behandlung der Möbel war weniger aufreibend, als wenn die Flecken erst festsaßen und vielleicht der ganze Stoffbezug gewechselt werden musste. Überhaupt war die Reinigung entscheidend dafür, wie lange die Dinge hielten, sowohl feste als auch bewegliche, davon aber wurde nie gesprochen.
Unter einem Vorwand begab ich mich zu jener Herrentoilette, die ich Muhammad zugeteilt hatte. Stolz führte er mich herum, und ich musste kapitulieren, es sah gut aus, sogar die Seife war nachgefüllt, die Papierhandtücher lagen richtig rum, und es roch sauber. Prima, sagte ich, hast du so was schon früher gemacht, in Afghanistan? Zur Antwort verdrehte er nur die Augen, und ich lachte. Also nicht. Bist du demnach ein weiterer Doktor der Journalistik oder der Medizin, bist du in deiner Heimat als Hochschullehrer ausgebildet, als Physiker oder Filmregisseur?
Er wich mir aus und gab keine Antwort. Was hatte er? Warum waren es übrigens nur Männer, die hierherkamen, soviel ich wusste, waren Frauen doch weitaus gefährdeter? Aber seine Frau war ja tot, jetzt erinnerte ich mich. Heute darfst du die Suite des Oberkommandierenden putzen, sagte ich, um ihn zu überraschen. Des schwedischen Oberkommandierenden?, fragte er ungläubig. Viele hohe Militärs kommen hierher, sagte ich und nickte bestätigend, es ist eine wichtige Konferenz. Hast du Kinder? fragte ich dann neugierig. Wenn man nicht fragt, bekommt man nichts zu wissen, dachte ich zugleich beschämt.
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