1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Pawlowitsch blickte auf, sein von wilden Leidenschaften durchwühltes Gesicht wurde augenblicklich leichenblass, Entsetzen spiegelte sich in seinen Augen: Der Affe hatte sich losgerissen, das Tier war frei …
Mit einem einzigen Sprung stürzte sich das Ungeheuer über ihn. Ein Aufschrei, und die Bestie riss ihn vom Körper des Jungen weg. Scharfe Krallenfinger gruben sich tief ins Fleisch, ein Rachen gespickt mit furchtbaren gelblichen Zähnen gähnte ihm weitgeöffnet entgegen. Wohl suchte er sich mit Händen und Füßen zu wehren, doch was half es! Die Seele Alexei Pawlowitschs wanderte hinüber in das Reich der Teufelsgeister, die schon lange auf ihn gewartet hatten.
Jack raffte sich mit Akuts Unterstützung langsam in die Höhe. Zwei volle Stunden mühte sich der Affe, nach den Weisungen seines jungen Freundes dessen Handfesseln zu lösen. Endlich war der Affe hinter das Geheimnis des Knotens gekommen: Jack war wieder frei. Er entfernte zunächst den Strick, der noch um den Leib des Affen geschlungen war; dann öffnete er eines seiner Pakete und brachte daraus verschiedene Kleidungsstücke hervor. Er hatte alles großartig ausgedacht und vorbereitet. Der Affe wurde natürlich gar nicht erst groß gefragt; er tat auch alles, was ihm geheißen wurde. Dann schlichen sie sich beide aus dem Hause davon. Und mochte ihnen auch hier und da unterwegs jemand begegnen: Niemand merkte, dass der einer der beiden Passanten ein Affe war.
Die Ermordung des greisen Russen Michael Sabrov, der keinerlei Freunde und Verwandte hinterließ, durch seinen großen dressierten Affen war eine Sensation, die ein paar Tage in allen Zeitungen lebhaft erörtert wurde.
Lord Greystoke las natürlich auch von der Sache, und während er besondere Vorkehrungen dafür traf, dass sein Name keinesfalls irgendwie in unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Affäre gebracht wurde, hielt er sich ständig bei der Polizei über das Ergebnis der Nachforschungen nach dem Verbleib des Menschenaffen auf dem laufenden.
Allgemein bekannt war, dass er sich bei der ganzen Angelegenheit in erster Linie nur für das rätselhafte Verschwinden des Mörders interessierte, wenigstens so lange, bis er einige Tage nach der Tragödie erfuhr, dass sein Sohn Jack nicht nach Dover zur Schule zurückgekehrt sei, wohin man ihn doch mit jenem Nachmittagszuge sicher unterwegs geglaubt hatte. Aber selbst dann konnte sich der Vater das Verschwinden seines Sohnes nicht so erklären, dass er irgendwie mit den mehr oder weniger wahrscheinlichen Gerüchten über das Wo und Wohin des Affen auf einer Linie lag. Nach einem Monat hatten indessen sorgfältige Nachforschungen das Dunkel schon mehr gelichtet: Es stand fest, dass der Junge den Zug noch vor der Abfahrt von der Londoner Station verlassen hatte. Man hatte schließlich auch den Droschkenkutscher herausbekommen, der ihn nach der Wohnung des alten Russen gefahren, und so kam der Affen-Tarzan denn auch zu der Überzeugung, dass Akut irgendwie etwas mit dem Verschwinden Jacks zu tun haben musste.
*
Am Tage nach dem Tode Alexei Pawlowitschs hatte sich ein Junge in Begleitung seiner kränklichen Großmutter eingeschifft. Die alte Dame war dicht verschleiert und musste, da sie durch allerlei Altersbeschwerden und Krankheiten zu sehr geschwächt war, in einem Krankenfahrstuhl an Bord des Schiffes gebracht werden.
Der Junge schob den Fahrstuhl selbst und duldete keinerlei Unterstützung. Mit eigenen Händen war er ihr auch beim Verlassen des Fahrstuhls behilflich und geleitete sie fürsorglich in die gemeinsame Kabine. Dies war übrigens das einzige Mal, dass Personal und Passagiere des Dampfers die alte Dame zu sehen bekamen, ehe sich beide wieder ausschifften; denn der Junge ließ es sich auch nicht nehmen, alle Arbeiten, die an sich dem Kabinensteward zufielen, selbst zu erledigen, da, wie er angab, seine Großmutter unter schweren nervösen Anfällen litt, die sich in Gegenwart Fremder nur verschlimmerten und für sie verhängnisvoll werden könnten.
Was der Junge in seiner Kabine trieb, wusste niemand an Bord. War er nicht dort, führte er sich jedenfalls wie jeder andere gesunde und normale englische Junge auf. Er knüpfte Bekanntschaften mit den übrigen Passagieren an, war bald bei den Offizieren des Dampfers sehr beliebt und schloss mit mehreren einfachen Matrosen Freundschaft. Er war bisweilen freigiebig, trug ein natürliches, offenes Wesen zur Schau und hatte im Übrigen noch jenen feinen Hauch einer gewissen Würde und Selbstbeherrschung an sich, der ihm die Achtung und Zuneigung seiner vielen neuen Bekannten sicherte.
Unter den Passagieren befand sich auch ein Amerikaner namens Condon, ein bekannter Falschspieler und Hochstapler, der von mindestens einem halben Dutzend größerer amerikanischer Städte steckbrieflich verfolgt wurde. Er hatte den Knaben anfangs wenig beachtet, doch änderte sich dies, als er ihn eines Tages zufällig beobachtete, wie er ein Bündel Banknoten zählte. Von diesem Augenblick an suchte er öfters mit dem jungen Briten zusammenzukommen. Er brachte leicht heraus, dass der Junge allein mit seiner kranken Großmutter reiste, und dass sein Ziel ein kleiner Hafen an der Westküste war; ferner, dass er Billings hieß, und dass die beiden in der kleinen Kolonie, nach der sie reisten, keine Freunde und Bekannten hatten. Als Condon dann noch nach dem eigentlichen Zweck der Reise fragte, schwieg sich der junge Engländer völlig aus und ließ auch nicht weiter in sich dringen. Condon seinerseits war klug genug, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben; er hatte auch schließlich alles erfahren, was er zunächst wissen wollte.
Eines Tages ging der Dampfer am Fuße eines bewaldeten Vorgebirges vor Anker. Wie ein hässlicher Schandfleck auf dem schönen verlockenden Antlitz der Natur wirkten die zwanzig oder mehr Häuser mit ihren Wellblechdächern und schrien es den Ankommenden gleichsam entgegen, dass die Zivilisation mit ihren Errungenschaften dort ihr grelles Banner aufgerichtet hatte. Etwas abseits lagen die strohbedeckten Hütten der Eingeborenen, malerisch in ihrer Einfachheit und geboren aus der Urgewalt der Wildnis, wunderbar in ihrer Harmonie mit dem Tropenurwald im Hintergrund, und in grellem Gegensatz zu den abstoßend-hässlichen Bauwerken der weißen Kolonisten! Der Junge beugte sich über die Reling. Seine Blicke schweiften weit hinweg über die kleine Ansiedlung, dieses nur von Menschenhand hervorgestampfte Machwerk, weit hinaus in den Dschungel, den Gott gebaut. Ein eigenartiges Gefühl beschlich ihn in diesem Augenblick, ein leichter Schauer rann ihm den Rücken hinab … und dann sah er – ganz ohne dass er es gewollt hätte – auf einmal die liebenden Augen seiner Mutter vor sich … und das strenge Antlitz seines Vaters, das aber trotz einer gewissen männlichen Härte und Geschlossenheit keine geringere Liebe widerspiegelte. Er fühlte, wie er selbst mit einem Male schwankend und unschlüssig wurde …
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