Tim Gräsing
Aus der Hölle ans Licht
Zehn wilde Jahre mit dem BVB
VERLAG DIE WERKSTATT
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Copyright © 2015 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.deAlle Rechte vorbehalten. Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt ISBN 978-3-7307-0188-1
Schlägt man Bücher auf, stößt man in der Regel auf Vorworte. Ganz vorne, direkt hinter dem Inhaltsverzeichnis. In der Buchmitte hätte es auch irgendwie nichts verloren. Manchmal findet der eifrige Leser statt dieses ominösen Vorwortes auch einen Prolog zu Beginn der Buchstabensammlung. Und weil ich mich im vorliegenden Fall weder für das eine noch für das andere entscheiden konnte und/oder wollte, belaste ich den Leser einfach mit Vorwort und Prolog. Doppelt hält besser, und sowieso sollte ein Buch über Fußball seinen eigenen Regeln folgen. Mit „Entscheidend is auf’m Platz” bringt es Adi Preißler (für immer Deutscher Meister) treffend auf den Punkt – womit dann auch das gern genutzte Zitat gleich am Buchanfang aufgebraucht wäre.
Adi Preißler. Fußball. Borussia Dortmund. Diese Dreifaltigkeit bringt uns zu des Pudels Kern und damit zum Inhalt dieses Buches.
Ich bin Fan von Borussia Dortmund. Klar. Sonst würde ich dieses Buch wahrscheinlich nicht schreiben. In den mittlerweile fast zwei Jahrzehnten, in denen ich das rege Treiben des Ballspielvereins intensiv verfolge, wurde mir immer stärker und stärker bewusst, welchen enormen Stellenwert der BVB während dieser Zeit in meinem Leben eingenommen hat. Der Fixpunkt, die treibende Kraft. Der schwarzgelbe Fußball ist für mich schon längst so bedeutsam geworden, dass er enorme zeitliche und vor allem emotionale Ressourcen meines Daseins verzehrt. Er ist zu einem Sinnstifter geworden. Etwas, das andere Menschen zu ihren Lebzeiten suchen, aber unglücklicherweise nicht finden können. Eine Art Lebenstrieb, der sich in so etwas Banalem wie Fußball vielleicht erst richtig entfalten kann. Deshalb macht es mir auch so wahnsinnig viel Spaß, Schwarz-Gelb zu schreiben. Ich schreibe in diesem Buch runter, was ich in den letzten Jahren mit meiner Borussia so alles erleben durfte. Und wie diese Erlebnisse mein Leben beeinflusst und teilweise auch gelenkt haben. Dabei beanspruche ich zu keiner Zeit das Monopol des optimalen schwarz-gelben Fans. Ganz im Gegenteil: Es gibt Unzählige von euch, die zu viel mehr Spielen gefahren sind als ich, die viel größere Lasten auf sich genommen haben, um ihrer Liebe nahe sein zu können. Genau das inspiriert mich zu diesem Buch. Die große schwarz-gelbe Familie hat in diesen so unglaublichen zehn Jahren dermaßen viel gemeinsam erlebt, dass jedes wichtige Ereignis individuell einzigartige Erinnerungen wachrufen wird. Das Buch soll daher als Anreiz gesehen werden, die schönen und traurigen, die ärgerlichen und überraschenden Momente noch einmal zu durchschreiten.
Vor Kurzem fand ich im Umzugsstress in einem fast schon vergessenen Karton in den Tiefen des Kellers ein Buch. So eine Art Notizbuch. Ich konnte mich nur sehr dunkel daran erinnern. Doch als ich es aufschlug und meine Handschrift aus längst vergessenen Zeiten erkannte, musste ich schmunzeln. Es handelte sich um den Ableger eines Tagebuches, in dem jedoch ausschließlich Eintragungen zum BVB zu finden waren. Einer der ersten Einträge war auf den 12. Juli 1998 datiert. Mit schlanken neun Jahren hatte ich das erste Mal über Borussia Dortmund geschrieben. Ein Satz hatte es mir besonders angetan. In kindlicher Handschrift stand dort geschrieben (Rechtschreibfehler werden ausgeblendet): „Bestimmt war Fußball so früh in meinem Leben noch nicht das Wichtigste. Noch nicht! Aber vielleicht wusste ich 1994 schon, wie wichtig der BVB bald für mich ist. Sehr, sehr wichtig nämlich.”
Das schrieb ich als Neunjähriger über mein fünfjähriges Ich und die Tendenz, den BVB als Fixpunkt meines Lebens zu betrachten. Der Weg, der dann folgte, ist dementsprechend also nur konsequent. Ende der Anekdote.
Ich würde einfach mal frei von der (Spieltagsbier getränkten) Leber weg Folgendes behaupten: Jeder, der es mit dem Ballspielverein hält, kommt nicht umhin, in den unterschiedlichsten Situationen und zu den unterschiedlichsten Zeiten an dieses eine Datum zu denken. 14. März 2005. Und jeder erinnert sich an den traurig-freudigen Höhepunkt einer Dramaturgie, die uns über Stunden, Tage, Wochen und Jahre hinweg begleitet hat und wohl auch immer begleiten wird. Logisch, wir alle waren jünger – und einige Ältere unter uns auch damals schon alt –, aber wir alle mussten durch diese Talsohle schreiten.
„Aus der Hölle ans Licht”, dieser Titel meines Buches klingt im ersten Moment ziemlich episch und könnte sicherlich auch die Predigt einer sonntäglichen Messe einleiten. Wie kann er denn nur etwas so Essenzielles wie die Hölle in den Raum werfen, wo es doch nur um eine Banalität wie den Fußball geht? Mag sein, aber nochmals: Das hier ist ein Buch, dessen gesamter Inhalt sich aus den Variablen Fußball und Borussia Dortmund zusammensetzt. Ergo kann es hier nichts Wichtigeres geben als den BVB. Und wenn eben jenem, von so vielen Menschen geliebten Ballspielverein das Wasser bis über Mund und Nase steht und nur ein dünner, sehr kurzer Strohhalm das Atmen ermöglicht, dann ist das für uns Fans die Hölle auf Erden. Dieses Drama hat uns alle genauso geprägt wie die Sternstunden zuvor. Durch diese Erfahrungen noch enger an den Verein geschweißt, konnten wir alle die Jahre nach dieser schwersten aller bisherigen Krisen mit einer unglaublichen Intensität durchleben. Die folgenden Seiten gehen diesen steinig-kurvigen Weg der vergangenen zehn Jahre noch einmal. 2005 bis 2015. Die Entwicklung von der Untergangsstimmung hin ins Fußballparadies in fünf Akten, ohne dass der Vorhang auch nur einmal fällt. Und schon jetzt und mittendrin und am Ende sowieso die einzig wahre Erkenntnis, die ohnehin schon jeder kennt:
„Aber eins, aber eins, das bleibt bestehen: Borussia Dortmund wird nie untergehen.”
So eine Art Vorwort nach dem Vorwort – oder: Der Prolog
Es gibt so Tage, die vergisst man nicht. Wenn Menschen behaupten, sie würden derartige Tage niemals vergessen, klingt das oft abgedroschen. Aber im Endeffekt ist es dann meist tatsächlich so. Manches vergisst man wirklich nicht. Der erste Kuss, die ersten Fußballschuhe, die eigene Hochzeit, Derbysiege, die Geburt der eigenen Kinder, der erste Stadionbesuch, berufliche Beförderungen und so weiter und so fort. Und wenn der eigene Verein nur einen Wimpernschlag vom Abgrund entfernt ist und man sich selbst so hilflos fühlt wie Vogelkacke auf dem Autodach, dann wird einen diese Erinnerung bis weit über den eigenen Tod hinaus begleiten. Glaube ich jedenfalls.
Diesen einen Tag, es war der 14. März 2005, habe ich noch so klar und deutlich vor Augen wie den Tag, an dem ich eine Schultüte nach Hause trug, die meine Körpergröße um das Eineinhalbfache überstieg – ach Quatsch, an den Tag mit der Schultüte kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern.
Im Vorfeld war viel berichtet worden, in allen Zeitungen stand etwas über meinen geliebten Ballspielverein, TV-Sender strahlten Sondersendungen aus, und auch im Radio diskutierten sie rund um die Uhr über dieses eine Thema. Zu dieser Zeit war ich ein typischer Zehntklässler – eine merkwürdige Frisur, mehr als nur drei große Pickel an gut sichtbaren Stellen im Gesicht und nachpubertäre Stimmungsschwankungen wie einst Mario Basler auf Pressekonferenzen.
Читать дальше