David C. Smith
Richard L. Tierney
Der Prinz der Hölle
Das Umschlagbild schuf Boris Vallejo
Die Karte zeichnete Erhard Ringer
Hoch in den südlichen Bergen, wo der Herbst auf schneidendem Wind mit dem Rascheln dürrer Blätter daherbraust, reitet eine große rothaarige Fremde mit einem Schwert an der Hüfte und einem Dolch im Stiefel. Straßenstaub klebt auf ihrer Stirn, und ihr leuchtendes Haar ist schweißgetränkt, denn Fieber schüttelt sie.
Sie weiß, dass dieses Bergfieber als solches selten tödlich ist, aber es schwächt und verhindert klares Denken. Zu kraftlos, etwas zu essen zu suchen, könnte sie verhungern, und zu krank, sich einen Unterschlupf zu bauen, könnte sie in dem eisigen Wind erfrieren oder einem Raubtier zum Opfer fallen. Es ist bereits ihre vierte Nacht auf dieser Bergstraße.
Die Sterne am blauschwarzen Himmel drehen sich in einem unwirklichen Muster, ziehen sich zusammen und öffnen sich wie Blüten. Sie lauscht ihrem schweren Atem und schwankt im Sattel, während ihr Pferd dahin trottet. Sie muss ein Fleckchen finden, das ihr Sicherheit bietet: eine kleine Höhle oder Mulde vielleicht, etwas, wo Felsen oder Laubwerk sie schützen. Sie wendet ihre ganze Kraft auf, um nicht aus dem Sattel zu rutschen und sich im Nichts zu verlieren … Da sieht sie …
Das Morgengrauen im Dunst? Nein! Lichter, ferne Lichter, die in der Dunkelheit am Fuß des Berges schimmern. Eine Stadt! Irgendwie muss sie sie erreichen.
Doch eine Stunde vor dem echten Morgengrauen fällt sie aus dem Sattel und weiß, dass ihr die Kraft fehlt, wieder hochzuklettern. So kriecht sie zu einem Gebüsch am Straßenrand. Gegen einen Baum gelehnt, fest in ihren wollenen Umhang gehüllt, ergibt sie sich dem überwältigenden Schlaf. Alpträume quälen sie.
Wer bist du, o Wesen – weder Mann noch Frau? Du glühst aus dir heraus; dein Licht schmerzt meine Augen. Setz die Maske wieder auf!
Nie wollte ich deinen Fluch – du hättest mich verbluten lassen sollen! Das Schwert, das du mir gabst, ist schwerer als ein Berg! Soll ich diese Bürde ablegen? Und tue ich es, wer bin ich dann? Ich bin niemand. Niemand! Die Rote Sonja nennen sie mich – rotes Haar, weiße Haut, schwarzes Herz. Ich bin eine Frau, doch verflucht, nie zu lieben. Verflucht. Ich bin verflucht … Und immer einsam …
»Lebt sie noch?« fragte eine tiefe Stimme.
»Ja, sie lebt noch, Lord Omeron. Sie phantasiert. Die Worte kann ich nicht verstehen. Wahrscheinlich eine Hyrkanierin. Sie hat hohes Fieber, fürchte ich – wie lange schon, kann ich nicht sagen. Ihr Pulsschlag ist kräftig – das ist ein gutes Zeichen.«
»Das dort drüben im Gras muss ihr Pferd sein. Edles Tier. Nehmt sie mit, ihr zwei. Vorsichtig! Reibt sie mit kaltem Wasser ab, das wird ihr Fieber senken. Und versucht ihr etwas einzuflößen.«
»Sie trägt eine seltsame Rüstung, Lord – nichts passt zusammen. Muss wohl eine Söldnerin sein. Zamorianische Stiefel, kothisches Kettenhemd, hyrkanisches Schwert; einen Helm hat sie nicht.«
»Egal, nehmt sie mit.«
»Lord, Ihr glaubt doch nicht, sie gehört zu …«
»Diesem Ungeheuer Du-jum mit seinen Schwarzen? Wohl kaum, Sadhur, wohl kaum. Sieh sie dir an! Sie ist eine Reisende, obwohl vermutlich eine Söldnerin, wie du schon sagtest. Wenn sie wieder gesund ist, können wir sie gut gebrauchen. Kümmert euch um sie.«
»Eine hübsche Frau.«
»Ja, ja. Und geschickt mit der Klinge, glaube ich. Schaut euch die Schwielenmuster an ihrer Rechten an! Ich wette, sie führt ihr Schwert oft! Hebt sie vorsichtig auf! Wir lassen jemanden das Pferd holen, sobald wir das Lager erreichen! Und wir stellen Doppelwache auf, denn die Nacht ist nicht mehr fern.«
»Du-jum wird heute Nacht bestimmt nichts mehr unternehmen, nicht solange es in der Stadt noch was zu plündern gibt.«
»Er wird alles versuchen, was er nur kann, Sadhur, um uns aufzuspüren und niederzumetzeln. Das darfst du mir glauben! Wir müssen dafür sorgen, dass die Frau bald wieder auf die Beine kommt. Wir brauchen jedes Schwert, das wir anwerben können!«
Kurz nach Sonnenuntergang weckten Sonja Stimmen, die sich über Tod, Gräueltaten und Eroberung unterhielten.
Also lebte sie noch!
Sie bemühte sich vergebens, sich aufzusetzen. Ihre Muskeln gehorchten nicht. Während sie allmählich wacher wurde und zu sich fand, spürte sie jeden einzelnen ihrer Knochen, die ihr fürchterlich schwer vorkamen.
Schritte näherten sich. Sie öffnete die Augen bewusster und erschauderte, als sie einen riesenhaften, gerüsteten Mann mit dunklem Bart stirnrunzelnd auf sie herabblicken sah. Ihr erster Gedanke war, nach dem Schwert zu greifen und hochzuspringen. Es gelang ihr jedoch nicht einmal sich aufzurichten. Husten schüttelte sie.
»Bist du wach, Weib?« grollte der kräftige Mann. Seine dunklen Augen musterten sie eingehend, dann wandte er das Gesicht ab. »Sie ist wach, mein Lord.«
Ein weiteres Stiefelpaar näherte sich, ein zweites Gesicht schob sich in ihr Blickfeld, ein Gesicht mit heller Haut, Schnurrbart, gutaussehend unter dem Metallschirm eines eingebeulten Kampfhelms, ja, gutaussehend, trotz der Runen, die Leid und Müdigkeit hinterlassen hatten.
Er sprach sie höflicher an als der Schwarzbärtige. »Seid Ihr wach?«
Sonja schüttelte den Kopf, damit die Schleier vor den Augen verschwänden, und atmete tief ein, als ließe sich Fieber so leicht vertreiben wie ein Kater.
»Da …«
Starke Hände legten sich um ihre Oberarme, um ihr beim Aufsetzen zu helfen. Kraftlos ließ sie es geschehen und schüttelte erneut den Kopf. Die Welt verschwamm vor ihren Augen. Es war eine Welt der Dämmerung, von Lagerfeuern und Fackelschein. Blinzelnd sah sie Scharen von Bewaffneten, hinter ihnen Pferde und offenbar Vorräte, dann weitere Männer und wieder Dämmerung.
»Wo … .?«
»Überanstrengt Euch nicht.« Der gutaussehende Mann, drehte sich um und winkte. »Sadhur?«
Der riesenhafte Schwarzbärtige nickte und streckte seinen Wasserbeutel aus. Der andere nahm ihn, öffnete ihn und hielt ihn an Sonjas aufgesprungene Lippen.
»Wasser. Trinkt ganz langsam und nur wenig. Ihr habt viel Schweiß verloren und müsst vorsichtig sein.«
Aber sie trank das kalte Wasser in hastigen Schlucken, bis der Mann ihr den Beutel wegnahm. Danach halfen die beiden ihr, sich sitzend mit dem Rücken an einen Baumstamm zu lehnen.
»Wo … bin ich?«
»Im Vorgebirge, etwas östlich von Thesrad.«
»Thes … rad?«
»Nein, nicht in Thesrad, sondern in den Bergen dahinter. Die Stadt liegt im Tal. Ich bin Omeron, und Thesrad ist mein Stadtstaat.«
»Was ist passiert? Wie bin ich...?«
»Macht Euch keine Sorgen. Meint Ihr, Ihr könnt ein bisschen etwas essen? Ja? Sadhur, bitte.«
Während. der riesenhafte Krieger davonstapfte, fuhr Omeron fort: »Ihr habt Euch das Bergfieber geholt, aber das Schlimmste ist bereits überstanden. Doch Ihr hattet Glück, dass Ihr so weit gekommen seid. Wärt Ihr in den Bergen vom Pferd gerutscht, hättet Ihr inzwischen vermutlich den Tod gefunden.«
Sonja versuchte sich zu entsinnen. Mehr oder weniger deutlich begann sie sich an Sterne, Vögel und mondhelle Bäume zu erinnern, die sich plötzlich alle um sie gedreht zu haben schienen. Sie blickte Omeron an, bemühte sich, soviel wie möglich aufzunehmen. Er hatte tiefblaue Augen, klar und fest. Ihr gefielen sie, und nun hatte sie das Gefühl, ihnen und damit ihm trauen zu können.
»Wie habt Ihr mich gefunden?«
»Wir sind Vertriebene.« Bitterkeit sprach aus seiner Stimme. »Eine Woche lang kämpften wir für Thesrad, dann mussten wir der Übermacht weichen und suchten Zuflucht in den Bergen.«
»Thesrad – Euer Stadtstaat?«
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