»Ja. Hier ist Euer Essen.«
Sadhur war mit einer gesprungenen Holzschale zurückgekehrt. Er bückte sich, um sie Sonja zu geben. Vergebens versuchte sie, sie festzuhalten. Da nahm Omeron die Schale und rührte mit einem großen Holzlöffel um.
»Haferschleimsuppe mit ein bisschen Fleisch, nahrhaft, wenn auch nichts Besonderes. Aber wir konnten nicht viel von Thesrad mitnehmen. Unsere kargen Vorräte bessern wir mit Wild – was immer wir fangen können – auf.« Er bot Sonja einen Löffelvoll an. Sie kostete und schluckte.
»Ich … ich möchte lieber selbst essen.« Mit zitternden Händen griff sie nach der Schale.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr sie halten könnt?« Omeron lächelte.
Sie stellte sich die Schale auf den Schoß und tauchte den Löffel ein. Jedes Mal, wenn sie ihn zum Mund hob, verschüttete sie die Hälfte.
»Wollt Ihr uns sagen, wer Ihr seid?« fragte Omeron.
»Man nennt mich die Rote Sonja.« Nach den ersten paar Mundvoll fühlte sie sich bereits etwas kräftiger. »Ich bin Hyrkanierin.«
»Kriegerin?«
»Söldnerin, seit ich zur Frau reifte.«
»Ich verstehe. Sucht Ihr Anstellung?«
Sonja zuckte mit den Schultern. »Ich habe noch etwas Gold, es sei denn …« Sie legte den Löffel ab und griff nach ihrem Gürtel. Ihr Beutel hing noch daran.
Omeron lächelte verständnisvoll. »Niemand hat Euch bestohlen. Aber auch in der Beziehung hattet Ihr Glück; leicht hätten Euch Räuber in den Bergen entdecken können.«
Sie wandte sich wieder der Suppe zu. Doch einen Augenblick später wurde ihr übel, und ihr Kopf drohte zu zerspringen. Die Schale auf ihrem Schoß kippte um, und die Suppe schwappte auf den Boden.
»Sadhur!«
»Tarim und Erlik!« fluchte Sonja kraftlos. »Lasst mich noch einen Augenblick ausruhen, dann geht es schon wieder. Ich bin …«
»Ihr seid immer noch zu schwach, Rote Sonja. Kämpft nicht dagegen an, dadurch wird es bloß schlimmer. Nach einer durchgeschlafenen Nacht werdet Ihr Euch kräftiger fühlen.«
»Aber, ich …«
»Verdammt! Bleibt liegen und strengt Euch nicht an!«
Hilfloser Ärger stieg bei Omerons Ton in ihr auf. Er benahm sich fast wie ein Vater, der sein krankes Kind zu Bett bringt. Aber sie konnte sich diesen Ton nicht verbieten. Sie spürte, wie Omeron und Sadhur sie hochhoben und näher zu einem Feuer trugen. Sie lag schlaff ausgestreckt, fühlte die Wärme der Flammen im Gesicht und am Körper und hörte Fetzen der gedämpften Gespräche im Lager.
Jemand warf eine Decke über sie und schob sie ihr unter die Beine, Hüften, Schultern und den Hals. Danach hob man ihren Kopf auf eine zusammengerollte Decke oder einen Umhang, der als Kissen diente.
Als sie in fiebrigen Schlaf fiel, träumte sie von einem brennenden Bauernhaus, und Omeron wurde zu ihrem Vater, der sie beschützte, als er und sie als junge Frau aus dieser Feuersbrunst flohen. Danach schlief sie traumlos weiter.
Omeron und Sadhur setzten sich ans Feuer neben die kleine Gruppe von Offizieren, die mit ihnen entkommen waren.
»Was meint Ihr?« fragte einer seinen Herrn.
»Eine Söldnerin.« Omeron blickte auf die Schlafende. »Vielleicht lässt sie sich anwerben.«
»Um gegen Du-jum zu kämpfen? Können wir ihr denn genug bezahlen, dass sie bereit ist, durch Zauberei zu sterben?«
»Vielleicht wäre das nicht ihre erste Begegnung mit Zauberei.« Omerons Blick blieb nachdenklich – abschätzend, bewundernd – auf der Frau in seiner Obhut ruhen, der schönen Söldnerin.
»Vielleicht ist ihre Ankunft hier ein gutes Omen.«
Späher riefen vom Hang aus ins Lager: »Immer noch brennen Feuer in der Stadt!«
Langsam wich die Dämmerung der Nacht.
Omeron klatschte auf sein Knie, stand auf, setzte sich wieder.
»Beruhigt Euch«, sagte Sadhur. »Wir werden die Stadt zurückerobern.«
»Er martert mein Volk!« stöhnte Omeron laut.
Einige Männer, die an anderen Feuern lagerten, schauten zu ihm. Alle waren erschöpft, viele verwundet, einige krank. Und alle fühlten sich mit ihrem Herrscher, ihrem Feldherrn, verbunden, der mit ihnen aus ihrer Stadt, ihrem Zuhause vertrieben worden war.
Omeron grub die Absätze in den trockenen Boden des Hangs und starrte ins Lagerfeuer. Wie konnte er die Stadt aus der Gewalt der Magie zurückgewinnen?
Magie, ja. Aber ließ nicht auch Magie sich bekämpfen? Es war nicht nur Du-jum, der kushitische Hexer, gegen den Omeron und seine Männer kämpfen mussten. So blutig und hart das auch war, damit hatten sie gerechnet.
Aber Du-jum, Zauberer oder nicht, hätte nie in Thesrad Einlass gefunden, hätte nicht ein Verräter ihm geholfen, ein sehr einflussreicher – Omerons Gattin Yarise.
Omerons Hände verkrampften sich, und im Feuerschein vertieften die Schatten sich auf seinem Gesicht. Yarise, seine eigene Frau, hatte dem Hexer die Tür geöffnet. Yarise, seine Frau, die er von ganzem Herzen geliebt hatte, in die er nach sieben Jahren Ehe noch so verliebt gewesen war wie am ersten Tag. Yarise mit dem starken Willen, dem heftigen Gemüt, die jedoch trotzdem liebevoll, verständnisvoll und ihm ergeben zumindest geschienen hatte.
Yarise, Tochter eines verstorbenen Statthalters von Iranistand, in schweren Zeiten groß geworden, eine Verbannte, hungrig nach Macht und Aufregung. Warum hatte sie es getan? Um ihm, Omeron zu schaden? Er konnte es immer noch nicht glauben. Vor neun Monaten war Du-jum auf angeblicher Pilgerschaft nach Thesrad gekommen. Er hatte mit seinen Zauberkunststücken die Höflinge unterhalten, und Yarise war davon fasziniert gewesen.
Das hatte Omeron natürlich bemerkt, aber er hatte gar nicht an die Möglichkeit gedacht, dass auch der Hexer selbst sie interessierte. Wie in allem, war er auch hier großzügig und nachsichtig gewesen. Doch Großzügigkeit und Nachsicht kann man sich nur bei jenen leisten, die wesensgleich sind. Yarise hatte beides ausgenutzt und eine engere Verbindung zu dem kushitischen Hexer geknüpft. Verbittert erkannte Omeron jetzt, dass sie sich vermutlich gleich am ersten Tag in diesen Mann verliebt und von da an heimlich und listenreich alles getan hatte, um Du-jum die Eroberung Thesrads zu ermöglichen.
Aber warum? Weshalb sollte Yarise zum Verräter ihres Gemahls werden und gegenüber einer Stadt, über die sie ohnedies bereits zur Hälfte herrschte? Konnte ihre Faszination so groß sein, dass sie das Risiko nicht achtete? Und weshalb sollte Du-jum ausgerechnet dieses winzige Reich unter so vielen Stadtstaaten in den Steppen, den Tälern und an den unteren Berghängen für sich haben wollen? War es nur Yarise, die er besitzen wollte? Yarise, die Du-jum mit seiner Hexerei und seinen Soldaten eingelassen hatte, damit sie über Thesrad herfallen, sie einnehmen und erobern konnten?
Jeder hier im Lager wusste, dass es Lord Omerons Gemahlin gewesen war, die die Eroberung der Stadt ermöglicht hatte. Und Omeron wusste, dass alle, trotz ihrer Treue und Liebe zu ihm und dem Vertrauen, das sie ihm schenkten, auch ihm Schuld daran gaben. Denn zur Führerschaft gehörte nicht nur die Führung im Kampf und im Gebet, in der Regierung, der Verwaltung und den Gesetzen; zur Führerschaft gehörte auch, dass man sich selbst und jene um sich herum kennt. Und in dieser letzteren Beziehung hatte Omeron versagt.
Thesrads Truppen wären vielleicht imstande gewesen, Du-jums Zauberei und seine Mannen zu besiegen. Aber sie waren hilflos gewesen gegenüber dem Verrat der eigenen Gemahlin ihres Gebieters – einer Frau, die ihrem Herrscher blindlings das Messer in den Rücken gestoßen hatte, während sie vortäuschte, ihn zu lieben.
Eine kleine Stadt war Thesrad, mit alten Mauern und dem hohen Palast in der Mitte des Hauptplatzes. Sie war eine von vielen befestigten Städten in dem weiten Gebiet zwischen den Flüssen Styx und Ilbars – ein Pünktchen auf der Karte, so gut wie autark, aber mit unsicherem Stand zwischen den großen Staaten im Westen und den unbeständigen Königreichen des Ostens.
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