„Nee, Meyer!“ sagt Witt und nimmt eine Beruhigungszigarre. „Die müssen wirklich einen ekelhaft fixen Passageleiter haben. Und wir sind nu schon das zweite Jahr ohne Dividende.“
„Kommt allens wieder, Konsul!“
„Mit Ihrem Herrn Ratte gewiß nicht.“
„Das allerdings ist mehr eine Falle gewesen“, gibt Meyer trübe zu.
„Und der Lloyd blüht ohne ihn desto besser.“
„Ist schon an die Luft gesetzt, Herr Witt.“
„Und was nun?“
„Abwarten und Tee trinken, hat sogar Woermann gesagt.“
„Glaub’ ich gern; der macht nur noch eigene Perzente. Wie ist es mit Carr?“
„Mit Carr sprech’ ich nicht mehr seit der Sitzung im Hamburger Hof, wo er so stur angegeben und sich die zehn Mark billigeren Tickets gesichert hat, bloß weil seine Frachter Frachter sind und langsam wie ’n Droschkengaul in Sirup. Wo aber dennoch seine Zwischendecker das ganze Schiff für ’n Komfort haben. Hat man ja eben gesehn, die dürfen ja wohl überall hin, und stehn wohl noch dem Käptn unterm Allerheiligsten herum.“
„Das is modern, Meyer, das nennt man soziale Betreuung. Nachmachen, Meyer.“
„Ist die Hapag vornehm oder nicht, Herr Witt?“
„Hilft nichts, Meyer, Sie müssen mal hingehn.“
„Zu Carr? Ich? Dem ins Kontor kriechen? Konsul! Eher regnet’s Kabeljau!“
Der Zufall will, daß die beiden in diesem Augenblick an einem haltenden Lastwagen vorbeikommen, auf dem der Kutscher ein Faß grüner Heringe zur Hälfte in einen Korb für das angesteuerte Lokal entleert. Durch die entsetzte Gebärde des ragenden Hapagdirektors abgelenkt, versäumt er, genau zu zielen. Ein Schub Fische ergießt sich über Korb und Wagenrand hinweg, geradewegs mit Kurs auf John Meyers Hut.
„Gottsverdorigen Donnerstag!“ flucht Meyer und zuckt noch eben zur Seite.
„Und wenn’s Matjes sind, das Schicksal ist gegen Sie, Meyer. Hören Sie die Musik, die die an Bord haben? Die hört man noch von Altona her. Der Sternenbannermarsch, indes der Stern der Hapag versinkt.“
Meyer sucht Halt an Witts Schulter. Jetzt merkt man, wie sehr er mit der Reederei verwachsen ist, in die er vor langen Jahren als Lehrling eintrat. Er röchelt geradezu vor Bestürzung. Dann faßt er sich und scherzt: „Wenn Carr uns aufs Trockne schieben will, hilft nur noch, daß wir es gehörig anfeuchten.“ Und er lenkt seinen Mitbetroffenen auf das malerische Fachwerk des „Old Commercial Room“ zu. Gerade vor der Tür erwischt die Vierländerin die beiden. „Herr Witt“, sagt sie mit schönstem Erdbeerlächeln.
Witt entsinnt sich des Sträußchens, es steckt im Ausschnitt seiner seidenen Weste. Und die Börse hat er noch immer in der Hand, so sehr hat ihn das Unionsereignis mit Beschlag belegt. Indes er zahlt, nimmt Meyer eine Duftprise kostenlos aus dem Körbchen, und sein gewürzter Atem streicht genießerisch über den prallen Arm des Bauernmädchens.
„Molliger Käfer!“ säuselt er.
„Hat sich ausgemollit!“ belehrt ihn Witt. „Die Tatsachen sind steinhart.“
Ein zarter Ellbogenruck trifft Meyers Whiskynase, er schnellt ins Senkrechte zurück. „Hapischa!“ sagt er tragisch. „Nur nicht schwach werden, Konsul.“
Kraftvoll stemmt er die Tür des Lokals auf. Warmer Braten- und Grogdunst schwelt ihnen entgegen.
Witt schickt den schwarzbestrumpften Beinen der Vierländerin noch ein Auge nach. Dann folgt er dem Hapagdirektor und meint zwischen Tür und Angel gedämpft: „Wir müssen Carr schwächen!“
„Schicken wir ihm ein Dutzend solche Deerns auf seine Reitbahn!“
„Sie müssen ihm den Passageleiter ausspannen!“
„Ich? Herr Witt, das wird allerhand kosten.“
„Und wenn wir sein Gehalt verdoppeln?“
„Ich meine an Whisky, Konsul, zu meiner Stärkung.“
*
Das kleine Gartenhaus in der Heimhuderstraße ist für große Gesellschaften nicht geeignet. Es sind bisher auch nur die Verwandten zu Besuch dagewesen.
„Nur gut“, sagt Marianne, „noch sind wir am liebsten allein zu zweit.“
Gern hätte sie allerdings ein paar von ihren verheirateten Schulkameradinnen die reizenden Biedermeiermöbel des Wohnzimmers gezeigt, auch das Badezimmer, genau nach englischem Vorbild, Savoy-Hotel, die Badewanne aus nelkengeblümter Majolika mit einem komfortablen, gleichfalls geblümten W.C.
Aber bislang sind die Einladungen immer mit Ausflüchten abgelehnt worden, und Albert sagt: „Mariannchen, das ist wie bei der Fracht: „Einladen nur, wenn Annahme sicher. Solange lassen wir’s lieber!“
Seinerseits lehnt er ab, von ihrem Vater Zuschüsse anzunehmen. Er will alles selber bestreiten, und darum können sie vorerst nicht mehr als ein Dienstmädchen halten. Da es geraten scheint, endlich den Reeder Edward Carr wenigstens der Form nach einmal ins Haus zu bitten, ist es nur zum Tee.
Er sagt zu.
Damit ist er der erste fremde Gast, der zweifelsohne zur Hamburger Gesellschaft gehört. Wenn schon ein Generalkonsul angeheiratet worden ist, geht es denn ja auch, denkt Carr. Er hält es auch für besser, den Teilhaber bei Laune zu halten, solange der Verkauf der Schiffe nicht abgewickelt ist.
Gegebenenfalls kann er der blonden Ehehälfte, die anscheinend wirklich wie Isolde geliebt wird, einen Wink geben, den Eifer ihres Gatten zu zügeln. Zum Beispiel dieses Blasorchester an Bord in die Propaganda zu werfen, das ist doch wohl ein himmelschreiender Luxus.
Marianne bemerkt mit Befremden, daß Carr die unvermeidliche Reitpeitsche, die er wie einen ständigen Ausweis des High Life bei sich führt, keineswegs in der Kleiderablage läßt. Er nimmt sie wie einen Marschallstab mit in die Veranda, wo der Tisch zierlich gedeckt ist. Albert selber hat das Arrangement aus Blumen und Porzellan besorgt. Er hat darin einen natürlichen Geschmack.
Carr legt die Reitpeitsche in Reichweite aufs Kanapee und begegnet dem erstaunten Blick der Hausfrau ungeniert durchs Monokel.
„Talisman, gnädige Frau“, knökelt er durch die Nase, „für jeden Zu- und Überfall. Sie werden lachen. Bin ich letzten Winter irgendwo auf dem Balkan in bestem Hause zu Gast, ganz harmlos beim Tee. Die Hausfrau, liebreizend wie hier, der Hausherr etwas nervös. Ich merke, daß ich my little Switch wie stets unterm Arm habe und daß der Knauf – Sie sehen, es ist ein silberner Totenkopf –, eben unter meiner Achsel hervorlugend, anscheinend Ursache einer leicht geladenen Stimmung ist. Geniert es? frage ich. Oh, nein, lacht die Dame des Hauses, kohlenäugig und perlenzähnig. Nein, Mister Carr, solch Symbol wie Ihr Peitschenknauf erinnert höchst angenehm daran, daß wir noch lebendig sind. Im gleichen Augenblick fallen Schüsse. Ich springe auf und habe gerade noch Gelegenheit, mit wohlgezieltem Hieb der Gerte einen Halunken zu erledigen, der mit gezückter Pistole ins Fenster springt, um dann über die Leichen meiner Gastgeber das Haus zu verlassen.“
Nach dieser anekdotischen Einleitung ist es nicht schwer, sich dem Mokka zu widmen, den Carr statt Tee bevorzugt. Plötzlich aber sagt er aus heiterem Himmel: „Wir reiten ins Unglück, Ballin.“
Marianne pariert geschickt: „Halten Sie sich ein Reitpferd weniger, Herr Carr.“
Albert Ballin merkt, daß hier weitere Ablenkung nicht ratsam ist. Er nickt seiner Frau gelassen zu und sagt dann nüchtern: „Gewiß, Herr Carr, Sie hätten der Hapag voriges Jahr die vier Schiffe für ein Butterbrot in den Rachen werfen sollen!“
„Hätt’ ich nur!“ entgegnet Carr bissig.
„Warten Sie noch zwei Wochen.“
„Sie haben Humor! Ich werde nach England verkaufen.“
„Da hört allerdings der Humor auf. Wissen Sie, daß John Meyer sich bei mir angemeldet hat?“
„Ballin, der hanseatische Dünkel der Hapag, in Meyer verkörpert, ist so groß, daß die sich lieber selber zugrunde richtet, als uns etwas zu gönnen und erst recht einen Schritt in unser Kontor zu tun.“
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