„Dazu bin ich immer bereit“, lächelt Ballin. „Ich hab’ übrigens an die Hapag geschrieben. Hier!“
Der Reeder überfliegt den Brief. Darin wird eine neue Konferenz vorgeschlagen. Seine Miene erhellt sich, er ist ein Mann von Bildung. Manchmal pflegte er sogar ein Buch zu lesen. Briefe schreibt er selber gern, wenn auch lieber an Damen.
„Donnerwetter!“ sagt er, das Monokel haltend. „Wie machen Sie das bloß?“
„Sehr einfach, Herr Carr. Nackte Tatsachen anziehend dargeboten.“
„Man merkt, daß Sie glücklich verheiratet sind, Ballin.“ Carr deutet ein Lächeln an, ergreift die Stahlfeder, taucht sie ins gläserne Tintenfaß: „Sie gestatten doch! Ich als Reeder muß das unterschreiben.“
„Genauso ist es gedacht“, nickt Ballin. „Diesmal wird Herr Meyer es wohl nicht in den Papierkorb werfen.“
„Ich werde es sicherheitshalber an die Zeitung geben“, erwidert Carr heftig. „Die Aktionäre der Hapag sollen erfahren, mit welcher Dickköpfigkeit ihre Anteile verschlampt werden.“
„Nicht ungefährlich, Herr Carr. Es könnte dort die Auflösung bedeuten.“
„Desto besser!“
„Nicht meine Meinung. Nur mit der Hapag zusammen können wir die übrigen Linien zu einer vernünftigen Vereinbarung bringen.“
„Ekelhafter Kuhhandel! Könnte ich doch jeder Konkurrenz das Wasser unterm Kiel wegpitschen!“
Die Gerte pfeift entsprechend durch die Luft.
Ballin sagt ruhig: „Konkurrenz, Herr Carr, achte ich nie als Hindernis, sondern als Ansporn.“
Das ist auch einem passionierten Reiter verständlich.
„Also nicht in die Zeitung?“ knurrt Carr ärgerlich.
„Doch! Aber dann müssen wir ein ganz klein bißchen mildern. Für die Öffentlichkeit müssen Tatsachen immer noch etwas besser kostümiert sein als für den Hausbedarf.“
*
So lesen denn die Aktionäre der Hamburg-Amerika Linie schon nach dem nächsten Mittagessen, welches in hiesigen Kaufmannskreisen englischer Sitte gemäß gern gegen sechs Uhr abends eingenommen wird, im „Hamburgischen Correspondenten“, wie rückständig sich die Schiffahrtsgesellschaft gebärdet, der sie oder ihre Väter bei der Gründung Geld und Vertrauen geliehen. Sie erfahren stirnrunzelnd, daß die Nichtzahlung von Dividenden letzthin weniger an schlechter Konjunktur als an der vorsintflutlichen Verwaltung läge.
In dem „Offenen Brief“, von einem gewissen Reeder Carr unterzeichnet, heißt es: Die Carr-Linie hat umsichtig und aktiv verstanden, die Lage zu nutzen, indes Sie, hochgeehrte Direktion, sich mit berechtigtem Stolz auf die Grundlage stützen, die ruhmreiche Jahre lang den Bestand Ihres Unternehmens gewährleistete. Ein Blick aber auf die Entwicklung der anderen atlantischen Reedereien zeigt, daß inzwischen Fortschritte erzielt wurden, denen niemand sich verschließen kann, dem es ernst ist mit den übernommenen Aufgaben und der Zufriedenheit der Partner und Aktionäre. Um was handelt es sich? Um eine freundliche, nachbarliche Vereinbarung über die Raten für Passagiere und Fracht auf der von beiden Gesellschaften betriebenen Hauptroute Hamburg – New York. Wir als der in der Schiffahrt jüngere Bruder Ihrer von uns hochgeachteten Gesellschaft wagen noch einmal wegen einer Verständigung anzuklopfen ...“
Kein Wunder, die Aktionäre rührten sich. Und auch die Bank Behrens & Söhne, mit der die Hapag arbeitet. John Meyer hat schlimme Tage. Er muß die Püffe abfangen, und gibt er sie an Vorstand und Aufsichtsrat weiter, prallen sie nur desto heftiger auf ihn zurück.
Wohl oder übel muß man sich in einer neuen Sitzung bequemen, der von Carr vorgeschlagenen Konferenz zuzustimmen. Mitte des Jahres findet sie in dem neuen Hotel „Hamburger Hof“ in Hamburg statt. Wieder kommen die Vertreter der bedeutenden Linien Englands, Frankreichs, Hollands, Belgiens zusammen, und auch der Norddeutsche Lloyd ist dabei.
John Meyer und Edward Carr sind persönlich zugegen.
Carr hat sich schriftliche Anweisungen von seinem Teilhaber geben lassen. Er liest seine Reden und Einwände, gut vorbereitet, ab und erreicht, da ihm selber nichts Ablenkendes einfällt, damit tatsächlich eine allgemeine Erhöhung der Zwischendeckspreise auf hundert Mark und sogar für die Carr-Linie eine Vorzugsrate, die um zehn Mark tiefer liegt. Auf diese Weise ist die Carr-Linie aufs neue und beste wieder konkurrenzfähig.
Ballin selber gelingt unterdessen eine Übereinkunft mit den Agenten, die in Hamburg bislang als Zwischenträger für englische Linien gearbeitet, wie er selber ja früher auch, und gelegentlich tut er’s auch noch jetzt für seinen alten Freund Wilding.
Aber auch mit den englischen Kontoren selber kann er neue Kommissionssätze festlegen. Wenn alles das besonders für die Carr-Linie vorteilhaft ist, so spürt doch auch die Hapag Erleichterung durch die gefestigte Lage.
Herr Mestern, Herr Ruperti und selbst der sarkastische Carl Laeisz sind sich einig, daß man Carr nicht weiter reizen dürfe. Der Aufsichtsrat erwägt sogar, schon Ende des Jahres, ein etwaiges neuerliches Verkaufsgebot Carrs nicht mehr abzuweisen.
Fühler werden ausgestreckt und wieder zurückgezogen.
Carr geht um keinen Pfennig von der geäußerten Forderung ab. Ballin, darin eingeweiht, hat ihm dringlichst zu eiserner Unnachgiebigkeit geraten.
Jetzt ist nur Zähigkeit im Hinhalten nötig.
Als Carr aber dennoch die Geduld zu reißen droht, überredet sein Teilhaber ihn, den nächsten Winter in Ägypten zu verbringen. Dafür reichen die Einnahmen noch.
*
Im Februar kommt Carr zurück. Er findet Ballin blaß und überarbeitet und fürchtet schon das Schlimmste. Aber die dunklen Augen, angestrengt und rotgerändert, leuchten sonderbar zufrieden hinter dem goldenen Zwicker.
„Nun, haben Sie günstig abgeschlossen, Ballin?“ fragt der braungebrannte Reeder. „Ich hab’ noch eine ganze Menge zu bezahlen.“
„Allerdings“, lächelt Ballin.
„Und mit wieviel haben Sie den Ansporn aufs Kreuz gelegt?“
Ballin schmunzelt weiter: „Ich vergaß neulich hinzuzufügen, in der Konkurrenz achte ich nächst dem Ansporn immer auch den möglichen späteren Partner.“
„Mensch, Ballin!“ Carr fällt die unvermeidliche Reitpeitsche vor Schreck aus der Achsel: „Sie meinen doch nicht etwa die Hapag?“
„Gerade die.“
„Die uns bis aufs Blut haßt?“
„Wir waren bislang nur nicht groß genug, um geliebt zu werden.“
Carr schnappt nach Luft. Er hat in Shepheards Hotel, in Kairo, in Athen angenehme Tage verlebt. Die internationale Gesellschaft, in der er sich bewegt, hat in puncto Größe und Liebe wenig Vorurteile, solange das Geld nicht knapp ist und die Manieren reichen. Hier schien eine private Dusche angebracht: „Ballin, ich denke, Sie sind glücklich verheiratet?“
Sein Teilhaber strahlt: „Trotzdem hab’ ich eine neue Fusion vorbereitet.“
„Auch so blond und hübsch?“ Carr zwingt sich zu spöttischer Gelassenheit.
„Gewiß aber auch einmalig“, lächelt Ballin, „wir vereinigen uns mit der Sloman.“
„Teufel!“
„Nicht ganz. Nur mit den sechs Dampfern, die frei werden, weil Ihr Herr Onkel den wenig lohnenden Australbetrieb aufgibt.“
„Und den wollen Sie bei uns rentabel machen?“
„Gewiß, aber auf der New York-Route. Ich denke, wir nennen sie vereinigte Carr-Sloman ...“
„Slow-Car, Bummelzug!“ Carr wiehert vor Vergnügen.
„Also Union. Wir können dann ab 15. Mai jeden Samstag einen netten Dampfer nach New York laufen lassen.“
„Ballin, das soll ich glauben?“
„Nur beglaubigen, Herr Carr. Hier ... sind die Verträge.“
Speicher auf Mittelalter · Witt ist für Freihandel · Maiglöckchen gefällig · Trimmer Zyrax · Union, kein Unsinn · Ratte eine Falle? · Steinharte Tatsachen · Erster Gast bei Ballins · Warum immer Reitgerte? · Meyer hinreichend gestärkt · Der Agenturlümmel von damals? · Der zweite große Augenblick.
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