Wilhelm Ernst Asbeck
Kriminalroman
Saga
Seelenverkäufer
© 1942 Wilhelm Ernst Asbeck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517871
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Die Schiffbrüchigen der „Mary“.
Die Schiffsuhr schlug zwölf.
Zederström, der vornehme Gast aus Stockholm, hatte sein Glas erhoben und wollte gerade zum Abschluß des festlichen Tages den letzten Trinkspruch ausbringen, als plötzlich eine gewaltige Detonation die Stille der Nacht zerriß und weit draußen auf See eine riesige Stichflamme zum Himmel emporloderte.
Dagmar stieß einen Schreckensschrei aus. Ihr Glas fiel klirrend zu Boden. Der junge Schwede war mit einem Satz an ihrer Seite. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, um sie zu stützen. Sie hatte jedoch den Schwächeanfall bereits überwunden und ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Sanft löste sie sich aus seiner Umarmung, aber aus ihrem Blick sprach Vertrauen und Dankbarkeit. „Was ist geschehen?“ fragte sie und in ihrer Stimme zitterte noch die Erregung nach.
„Ich weiß es nicht, Fräulein Lund, vermutlich eine Schiffsexplosion.“
Dagmars Vater, Kapitän Nielsen, Erik und Svend, die beiden dienstbaren Geister, waren an die Reling geeilt. Selbst Ol Larsen, der dicke Schiffskoch, der sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, riß die Tür zu seiner Kombüse auf um zu sehen, was sich ereignet hatte.
Eine schwere Katastrophe mußte stattgefunden haben, denn in weiter Ferne hing eine pechschwarze Rauchwolke über dem Meeresspiegel, die allmählich die Gestalt einer langen Fahne annahm und träge in nordwestlicher Richtung entwich.
Schiffseigner und Kapitän verstanden sich ohne viel Worte. Lund ließ die Anker lichten und Nielsen warf den Motor an, darauf nahm er seinen Platz am Steuer ein. Mit voller Fahrt fuhr er der Unglücksstätte entgegen.
Die Faust des Schicksals war gleich einem Blitz aus heiterm Himmel mitten in die Festesfreude der kleinen Gesellschaft an Bord der Luxusjacht „Dagmar“ herniedergesaust. In frohester Laune hatte man in der Bucht dieser winzigen, den Lofoten vorgelagerten Insel Anker geworfen. Es war eine jener wundervollen lauen nordischen Sommernächte, wo selbst um die Mitternachtsstunde noch fast Tageshelle herrschte. Bis in unabsehbare Fernen dehnte sich der Meeresspiegel, dessen Wellen, vom Winde bewegt, im leichtbeschwingten Reigen auf- und niedertanzten.
Dagmar Lunds achtzehnter Geburtstag wurde gefeiert! Dagmar, das einzige Kind des reichen Osloer Kaufherrn Nicolai Lund. Groß war der Jubel gewesen, als ihr Vater bekannt gab, daß er die schnittige, mit allem Luxus ausgestattete Jacht seiner Tochter zum Geburtstag schenkte, nachdem er sie schon vorher nach ihr benannt hatte. Der Schiffskoch hatte alle Hände voll zu tun. Erik und Sven schleppten die auserlesensten Speisen und Getränke herbei und mancher Sektpfropfen flog mit lautem Knall in die Luft.
Niels Nielsen, der junge, weltgewandte Kapitän, sang Seemann-Shanties und begleitete sich selbst auf dem Schifferklavier. Er hatte einen unerschöpflichen Vorrat lustiger Weisen auf Lager und verstand es, sie wirkungsvoll vorzubringen.
Oluf Zederström, der Sohn eines Stockholmer Geschäftsfreundes, war an Bord der einzige Gast. Zwischen ihm und Dagmar hatte sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis angebahnt. Er bewunderte ihr feines Antlitz, ihre sportgestählte schöne Gestalt und die Anmut ihres Wesens.
Jetzt waren urplötzlich Lachen, Gesang und frohe Reden verstummt. Ein unheimliches Schweigen lagerte über der See, nur von dem gleichmäßigen Tack-tack-tack des Motors und dem Plätschern der Wellen, die sich am Bug des Schiffes emporbäumten, unterbrochen.
Nielsen verlangsamte jetzt zusehends die Geschwindigkeit. Als er auf Lunds Stirn die Unmutsfalte entdeckte, sagte er: „Wenn unsere Jacht auch nur einen geringen Tiefgang hat, so ist größte Vorsicht doch geboten.“ Er wandte sich nunmehr an Dagmar: „Ja, Fräulein Lund, unter uns liegt eine gewaltige Gebirgswelt begraben. Kuppen und haarscharfe Bergspitzen ragen, teils kaum noch vom Wasser bedeckt, nahe bis zur Oberfläche empor.“
Der junge Seemann wandte keinen Blick von dem tückischen Meeresspiegel. Dagmar war ihm dankbar für seine Worte. In dieser gewaltigen, mit Spannung geladenen Stille hatte die Stimme des Kapitäns erlösend gewirkt, als habe sie einen unerträglichen Bann gebrochen. Die Sinne der Menschen waren aufs höchste angespannt. Mitten in ihre Festesfreude hinein hatte die Hand des Schicksals gegriffen. Alle wußten, sie fuhren einer Stätte des Todes und des Grauens entgegen. Was würden sie erleben? Jede Minute war kostbar und doch zwangen die Umstände zu diesem Schneckentempo, denn mehr als einmal steuerten sie im letzten Augenblick an gefahrdrohenden Klippen vorüber. Endlos deuchte ihnen die Zeit. Endlich wurde die Spannung gebrochen.
„Boot in Sicht!“
Fast gleichzeitig stießen die drei Männer den Ruf aus.
Ein winziges Fahrzeug, in dem sich vier Seeleute befanden, tauchte auf. Zwei von ihnen bedienten die Riemen, ein dritter saß am Steuer und der vierte kauerte mit hochgezogenen Beinen am Bug.
Kaum waren sie in Hörweite der Jacht gekommen, als der Mann am Steuer rückwärts deutete und in englischer Sprache rief: „Damned, beeilt euch!“
„Was ist geschehen?“
„Fragt nicht lange, sondern setzt den Motor auf volle Fahrt, oder ihr mögt es mit eurem Gewissen vereinbaren, wenn achtzehn brave Schiffer den Tod finden!“ kam grob die Antwort zurück.
„So? Und ihr wollt es mit eurem Gewissen verantworten, wenn wir auflaufen und absacken?“ entgegnete Nielsen nicht minder grob und fügte seinen Worten hinzu: „Wem ist dann geholfen? Niemand!“
Die „Dagmar“ hatte das Boot bereits überholt und ihre Insassen konnten daher das gemeine, hohnvolle Grinsen nicht bemerken, das um die Lippen des Sprechers der Schiffbrüchigen spielte.
Die Rauchfahne hatte sich inzwischen in eine graufarbige, breite Mauer verwandelt, die langsam aber stetig ihre Formen änderte und sich allmählich in zahlreiche kleine Wolken aufzulösen begann.
Nielsen hielt den Kurs scharf auf dieses einzige Zeichen, das die Richtung der Unglücksstätte andeutete. Beklemmende Angst lastete bleischwer auf der noch vor kurzem so fröhlichen, kleinen Gesellschaft.
Endlos schien sich die Zeit zu dehnen. So scharf auch alle Ausschau hielten, nirgends war ein Schiffswrack zu entdecken.
„Da!“ rief plötzlich Zederström und deutete mit der Hand backbord voraus.
Jetzt sahen auch die übrigen eine Planke und bald darauf andere Schiffstrümmer im Wasser treiben. Weit verstreut schwammen die einzelnen Teile. Die Gewalt der Explosion mußte eine furchtbare gewesen sein.
Sorgsam, in langsamster Fahrt, umkreiste Nielsen die Unfallstätte. Merkwürdig, so gewissenhaft er auch weit und breit jeden Zoll absuchte, kein lebendes Wesen war zu finden. Stundenlang wurden die Bemühungen fortgesetzt. Atembeklemmend war das grausige Schweigen über dem Seemannsgrab.
„Wir sind zu spät gekommen!“ sagte Lund endlich und fügte nach einer Weile bedeutsam hinzu: „Achtzehn Menschenleben vernichtet, weil die Rettung zu spät kam!“
Wie ein Vorwurf hatten die Worte geklungen. Nielsen antwortete nicht, er wies nur stumm auf eine nadelförmige Felsspitze, die, kaum einen halben Meter unter dem Wasserspiegel liegend, in diesem Augenblick deutlich sichtbar wurde.
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