Wilhelm Ernst Asbeck
Eín Hamburger Roman
Saga
Käpp'n Smidt
Copyright © 1934, 2017 Wilhelm Ernst Asbeck Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711517789
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Hamborg giwt dat man eenmol twüschen den Nord- und den Südpol!
Erster Teil.
Am Hamburger Hafen, an den ‚Vorsetzen’, steht ein altes Haus. Es gibt schönere und auch wohl noch ältere Häuser, aber es liegt etwa so Ehrwürdiges, Anheimelndes über diesem Gebäude wie nicht bei allen. Rechts und links ist es eingeklemmt zwischen gleichaltrigen Gefährten; und da stehen sie nun, die drei alten Veteranen, sind anzuschauen wie altersschwache Greise, die die Kniekehlen nicht mehr durchdrücken können, deren Beine den Körper nicht mehr zu tragen vermögen, die sich nach vorn überbeugen, sich schief an einander lehnen und sich gegenseitig stützen.
Unser altes Haus ist das vornehmste unter den dreien. Eine breite Steintreppe führt einige Stufen empor zur mächtigen, mit reichem Schnitzwerk verzierten Eichentür. Das gewaltige Schloss ist mit Eisen beschlagen. Über den Eingang ist eine Inschrift gemeisselt: Anno 1631.
Du liebe Zeit, damals sah die Welt noch anders aus! Damals war es mit seinen drei Stockwerken und den darüber befindlichen Bodenräumen, mit seinem mächtigen Spitzgiebel ein Aristokrat unter seinesgleichen, eine Sehenswürdigkeit und der Stolz seines Erbauers.
Gewaltige Eichenpfeiler und Querbalken tragen und stützen das Gebäude. Sie legen Zeugnis davon ab, dass der Besitzer ein gutgestellter Mann war, der seinem Geschlechte ein Heim schaffen wollte, das Jahrhunderte überleben sollte.
Die breite Front zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Stockwerk ist mit Buchstaben bemalt. Viele Jahre müssen vergangen sein, seitdem der Maler dort oben die Schrift anbrachte, denn die Buchstaben sind von der Sonne verblichen, vom Regen verwaschen, sind fast unleserlich geworden.
‚Carl Timm, Schiffsreeder’ mochte die Inschrift gelautet haben. Eine seltsame Harmonie herrschte zwischen diesen verwitterten Buchstaben und dem alten Hause. Eigentlich durfte es gar nicht anders sein; ein frischer Anstrich hätte nur die Einheitlichkeit des Gesamtbildes zerrissen.
Droben, auf dem Tritt vor der blumengeschmückten Fensterbank im ersten Stock sass eine Frau von etwa vierzig Jahren. Sie hatte ein schmales, feines Gesicht. Vornüber gebeugt sass sie da, mit einer Handarbeit beschäftigt. Hin und wieder warf sie einen Blick nach draussen. Der Elbstrom lag vor ihren Augen. Am jenseitigen Ufer die Wersten, vor dem Hause die langgestreckten Kaianlagen und auf dem Strome ein Kommen und Gehen vieler Schiffe aus aller Herren Länder und dazwischen die zahlreichen Schlepper, Jollen, Schuten und grünen Hafendampfer. Ja, hier war der Pulsschlag der im hemmungslosen Aufblühen begriffenen Hansestadt. — Wir schreiben das Jahr 1888.
Lärm, Geschrei und laute Hilserufe lassen die Frau von ihrer Arbeit auffahren. Da draussen ist ‚etwas los’. Menschen laufen von allen Seiten herbei, drängen sich am Rande der Kais; ein grosser Haufe neugieriger Gaffer, auch ein paar Hilfsbereite, sie laufen aber ratlos hin und her und wissen nicht, was sie tun sollen.
Die Frau am Fenster lässt ihre Arbeit sinken. Einen Augenblick scheint es, als wanke sie und könne sich nicht mehr auf den Beinen halten; dann aber rafft sie alle Energie zusammen, rennt in fliegender Hast die Wendeltreppe hinunter, stürzt durch die Kontorräume an erschreckt auffahrenden Kommis vorüber ins Privatkontor.
„Karl,“ ruft sie „schnell, schnell; unser Junge ertrinkt!“ —
Im Wasser sieht man einen etwa zehnjährigen Knaben, anscheinend des Schwimmens unkundig; er macht verzweifelte Anstrengungen, um sich durch Strampeln mit Armen und Beinen an der Oberfläche des Wassers zu halten. Hin und wieder gelingt es ihm auch, auf einen Augenblick Luft zu schnappen; aber immer wieder taucht er unter. Lange kann dieser Kampf nicht mehr währen.
Nicht weit von dem mit dem Tode ringenden Jungen kreuzen zahlreiche Fahrzeuge, aber sie sehen ihn nicht. Wie ein undurchdringlicher Mastenwald liegen die Segelschiffe Bug an Bug.
Jetzt löst sich vom Baumwall schwerfällig eine Jolle; ehe jedoch der alte Schiffer zur Stelle sein kann, wird der Ertrinkende längst versunken sein.
Da teilt sich die Mauer der müssigen Gaffer. Ein kleiner, vierschrötiger Bengel schafft sich mit Händen und Füssen Raum. Scheltworte und Flüche bekommt er mit auf den Weg; er aber kümmert sich nicht darum, er hat nur ein Ziel vor Augen, er will nach vorn, in erster Reihe stehen und sehen, was geschehen ist; und hat Hein Smidt sich ein Ziel gesetzt, so lässt er nicht eher locker, als bis er es erreicht hat. —
Nun ist er da, wo er sein will. Mit einem Blick hat er die Lage überschaut. Ein Ruck, die Jacke fliegt vom Leib. „Da, halt mal!“ ruft er dem Nächststehenden zu, und ehe der recht weiss, was geschehen ist, hält er eine speckige, fadenscheinige Jacke, eine schmierige, zerschlissene Weste und eine Mütze von fragwürdigem Äusseren in der Hand.
Vom Kai führt eine Steigeleiter steil in die Tiefe. Mit erstaunlicher Behendigkeit klettert er hinunter, dann ein Sprung, und er ist im Wasser. Mit kurzen, schnellen Stössen teilt er die Flut. Er kommt gerade zur rechten Zeit. Gerade taucht der vollkommen Erschöpfte wieder auf. Instinktiv fühlt er den Helfer nahen und versucht in seiner Todesangst, sich an ihm festzuklammern. Da saust ein Fausthieb gegen seine Schläfe. Sterne sprühen auf, rote, grosse; wie ein Feuerwerk zischen sie aus der Finsternis hervor und verlöschen, verlöschen einer nach dem anderen, bis keiner mehr übrig bleibt und tiefe Nacht ihn umgibt. — — Er sinkt — sinkt in pechschwarze Dunkelheit, sinkt in bodenlose Tiefen — Tiefen, die kein Ende nehmen. Und dann herrscht Schweigen; die grosse, feierliche Stille, die dem Vergessen voraufgeht. Alles das war das Spiel weniger Sekunden; dem Ertrinkenden aber schienen es Ewigkeiten zu sein.
Ruhig, sachlich, mit offenen, klaren Augen hat der jugendliche Retter sein Werk beobachtet. Jetzt, wo der Junge wegzusacken beginnt, packt er ihn am Rockkragen, zieht ihn hoch, stösst ihn vor sich her, kaltblütig, zielbewusst, bis er ihn zur Treppe bugsiert hat.
Dort steht schon einer, ein Fünfzigjähriger, mit leicht ergrautem Backenbart, mit stahlgrauen Augen. Ein Griff, und er hält den Bewusstlosen. Wie einen Spielball trägt er ihn nach oben. Viele hilfsbereite Hände strecken sich ihm entgegen und befreien ihn von seiner Last.
„Drüben ins Haus hinein!“ ruft er, und schon eilt er wieder zur Elbe hinunter, um auch den Retter heraufzuholen. Sobald der aber nur die erste Stufe unter den Füssen hat, kann er sich gut allein helfen.
Jubel und Beifall umringen ihn. Wortlos reisst er Jacke, Weste und Mütze an sich und will das Weite suchen. Aber jetzt wird er von einem festgehalten, der stärker ist als er, und der ihn trotz aller Gegenwehr über die Strasse trägt, die breite Steintreppe hinauf, ins alte Haus hinein.
Hein Smidt war die grösste Rotznase und der frecheste Lausebengel, den es ‚von den Mühren’ angefangen bis zum ‚Stintfang’ hinauf in der ganzen Hafengegend gab; und das wollte wirklich schon etwas heissen! — Er war aber deswegen noch lange kein schlechter Junge, nein, durchaus nicht! — Für die Schule hatte er allerdings nicht viel übrig; aber das war verständlich, denn dort sollte er stillsitzen und gehorchen; Heini war jedoch einer, der befehlen wollte; und wirklich, immer hatte er einen Kreis von Jungen um sich, die ihm blindlings gehorchten. Es waren nicht sehr viele aber alles fixe Kerle, die ‚drausgingen wie Blücher’ und sich vor Tod und Teufel nicht fürchteten.
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