Wilhelm Ernst Asbeck
Die letzten Keiths auf Balumoog
Ein friesischer Hallig-Roman
Saga
Die letzten Keiths auf Balumoog
© 1935 Wilhelm Ernst Asbeck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711517796
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
I. Teil.
Die Hochzeit zu Königsbüll.
Sommer 1632.
Wie eine Kette von Burgen ragen die Wurften der Bauernhöfe von Boptee aus der flachen Marsch hervor. Auf dem höchsten Hügel ist die kleine, trutzige Kirche erbaut. Ein paar spärliche, vom Winde zerzauste Birken und Buschwerk stehen auf der Halde, hinter denen das Pastorat hervorlugt.
Schnurgerade, mit trübem Wasser gefüllte Gräben teilen das Land in viele Vierecke. Reicher Graswuchs und gesegnete Kornfelder gedeihen hier; kräftige Pferde und fette Rinder weiden auf den Wiesen.
Tief eingebettet im Schutze des Seedeichs und des Hohendeichs liegt der friedliche Ort.
Schon eine ganze Weile steht Knudt Arcke vor der Tür seines Hauses und blickt in die Ferne.
Dort hinten, wo Ole Munckes Mühle nahe beim Hohendeich und dem Wasserlauf des Bopteesiels auf einsamer Wurft weit über die Ebene hinausragt, naht sich ein seltsam anzuschauender Reiter. Bunte Bänder am Hute flattern im Winde; große, blanke Knöpfe blinken in der Sonne; und in der rechten Hand trägt er den Hochzeitsbitterstab, einen mit einer Krücke versehenen Handstock, der in der Mitte mit silberdurchbrochenem Ring und mit Bändern geschmückt ist.
Jetzt erkennt Knudt den Burschen.
Es ist Peter Taien aus Königsbüll!
Schnell wendet sich der Bauer und geht auf die Diele.
„Cathrine! — Christine! — Clement!“ ruft er mit weithin hallender Stimme.
Die Bäuerin und ihre beiden blondhaarigen Kinder eilen herbei.
„Was gibt es, Knudt?“
„Schaut nur zum Fenster hinaus! — Es ist so weit!“
Nunmehr erblicken auch sie den Ankommenden.
Die Frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „Will der Erk denn den ganzen Hagelbüllerkoog zur Hochzeit bitten?“
„Warum nicht?“ entgegnet Arcke bedächtig. „Reich genug ist er ja, und lustig wird es schon werden!“
„Der Erk muß immer etwas voraus haben! — Jetzt im Sommer Hochzeit halten! — Wäre es im Herbst hierzu nicht an der Zeit gewesen? — Und seit wann ist es Sitte, daß das Fest im Hause des Mannes stattfindet?“
„Der reiche Erk Knudsen ist ein Bauer; was braucht er sich da an die Regel zu halten, die ursprünglich doch nur für die Seefahrer gedacht war? — Wie aber sollte er die Gäste der fünf Kirchspiele unseres Kooges auf der kleinen Hallig Balumoog unterbringen? — Nein, Frau, es ist schon richtig so; er weiß schon, was er tut!“
Inzwischen hat Peter Taien den Fuß der Wurft erreicht.
Froh und glücklich fühlt er sich, ist es doch eine nicht geringe Auszeichnung für ihn, als Hochzeitbitter seines reichen Vetters auftreten zu dürfen. Überall wird er mit Freuden und Ehrfurcht aufgenommen; und was ihm besonders wohltut, ist, daß auch der geringste Katenbesitzer am Deichrande nicht überschlagen werden soll. Für alle Koogbewohner ist dieser Tag als ein Tag der Freude gedacht; so hat es die junge Braut gewünscht. Eine Ausnahme muß allerdings gemacht werden. Naja, aber das ist wohl selbstverständlich, und die alte Meike wird es auch nicht anders erwartet haben.
Peter ist angelangt. Sein Pferd hat er an den Pfahl gebunden. Er pocht dreimal mit dem Hochzeitbitterstock ans Tor. Der Hausherr öffnet und führt ihn sofort in die ‚beste Stube‘, wo er schon von der ganzen Familie erwartet wird. Man bittet ihn, Platz zu nehmen.
Mit einer gewissen Feierlichkeit spricht Knudt Arcke:
„Ich heiße Dich herzlich willkommen, Peter Taien! Was führt Dich zu uns?“
„Grüßen soll ich von Erk Knudsen aus Königsbüll und seiner Braut Frauke Keith aus Balumoog. Fragen soll ich, ob Ihr so gut sein wollt, zur Hochzeit zu kommen. Sie findet am kommenden Freitag statt. — Messer, Gabel und Löffel müßt Ihr mitbringen, wenn’s etwa etwas zu essen gibt.“
„Wir danken für die uns erwiesene Ehre und werden der Einladung gern Folge leisten. Bestell es den Hochzeitern, und vergiß nicht, auch unsere Grüße auszurichten!“
Hiermit sind die äußeren Förmlichkeiten erfüllt. Nun werden noch ein paar freundschaftliche Worte gewechselt; und dann geht es weiter, von Hof zu Hof, und stets das gleiche Frage- und Antwortspiel.
Peter überschreitet den Friedhof. Neben großen und kleinen Kreuzen sind viele, oft bis zu zwei Metern hohe Steinplatten aufgestellt, die, einer Chronik gleich, den Lebenslauf der Verstorbenen schildern. Mancherlei Bildwerk schmückt die Grabsteine: Auf Fahrt befindliche Segler, Christus mit der Kreuzesfahne, Tulpen, Rosen, geknickte Blumen, das Symbol früh gestorbener Kinder, die Primel, das Sinnbild des Himmelschlüssels, die Pflugschar, die Kornähre, die Zeichen der Landwirtschaft.
Unser Hochzeitbitter aber ist jung und lebensfroh; er hat heute kein Auge für die Denkmale der Vergangenheit; ihm lacht ja noch das Leben! Viele, viele Jahre wird er noch vor sich haben. Hochzeit und Kindtaufe im eigenen Hause feiern: Glück und Wohlstand werden ihm das Dasein hell und freundlich gestalten.
An dem Kirchlein vorbei führte der Weg zum Pastorat. Peter klopft, wie es seine Vorschrift verlangt, dreimal an die Pforte, obgleich er weiß, daß ihm keine Antwort zuteil werden wird, denn der Seelsorger weilt jenseits des Hohendeiches bei seinem Amtskollegen in Westerwoldt. Wie es die Landessitte in diesem Falle erheischt, zieht er eine Handvoll Halme aus dem Strohdach über der Haustür und legt sie zum Zeichen, daß er da gewesen ist, auf der Schwelle nieder. —
Eine weite Wanderung hat Peter Taien hinter sich. Keine Kleinigkeit war es, alle die weithin verstreuten Ansiedler der Kirchspiele Bopsee und Boptee, alle die abseits gelegenen Einzelwurften und Katen aufzusuchen. Sein Freund Godber Harke hat es leichter; Königsbüll selbst und die benachbarten Kirchspiele Volgsbüll und Bopslut sind ihm als Arbeitsfeld zugeteilt. Aber Godber ist auch älter und nicht so rüstig wie er.
Im Krug zu Boptee ist Peter eingekehrt. Husumer Bier gibt es dort, und die Bauern des Ortes erwarten ihn. Mit Speise und Trank wird er für seine gute Botschaft belohnt. Gemütlich ist es in der Gaststube. Kedel Paysen, der Wirt, hat sich mit an den Tisch gesetzt. Von längst vergangenen Tagen weiß der Alte zu erzählen, von Sturm- und Eisfluten, gegen die jene vor sieben Jahren ein Kinderspiel gewesen sei. In seiner Jugend — es mögen wohl an die sechzig Jahre und mehr darüber vergangen sein — geriet ein großer jütischer Schoner zwischen Buthwell und dem Osterwoldtsiel, nahe den Austerbänken, in eine Eisdrift. Hüben und drüben standen die Leute an den Ufern und mußten tatenlos zuschauen, wie das Schiff vom Eise zerdrückt wurde und die Menschen elendiglich ums Leben kamen.
Erinnerungen und Erlebnisse werden ausgetauscht. Mit Ingrimm denkt man daran, wie vor vier Jahren die kaiserlichen Truppen unter Tilly und Wallenstein Kontributionen forderten, wie damals die Hauptleute der drei Harden alle Mannschaften vereidigten, ringsum Feuerbaken aufstellen ließen und im ganzen Lande die Glockentürme geöffnet wurden. Tapfer hatten sie sich gegen das Eindringen des Feindes gewehrt; aber was half es ihnen? Mit List und Hinterlist wurde ihr Vertrauen von ihrem eigenen Schutzherrn, dem Herzog Friedrich dem Dritten, mißbraucht. Fünfzehn der Besten und Tapfersten der Strandinger ließ er zu Gottorp in den Turm legen. Bei der Either Fähre, außerhalb des Seedeiches, um das Fährhaus, hatte er eine große, viereckige Schanze erbaut. Zweihundert Kaiserliche mit sechzehn Geschützen besetzten sie. Zwar wurde dieser Feind schon 1629 wieder vertrieben, aber Beelzebub war durch den Teufel verjagt; denn nun ergriffen die Dänen Besitz von ihr und den drei Harden. Schließlich verglich sich der Herzog mit dem König, legte sich, wie ein echter Fronherr, selbst in die Schanze und maßte sich an, Gericht zu halten über freie Friesensöhne. Geld wollte er erpressen, er, wie alle anderen, erhöhtes Landgeld; und zähneknirschend mußte man es gewähren.
Читать дальше