Karl May - Seelenverkäufer

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Rittmeister von Platen versucht Diener von Leopold I. zu werden, ohne sich erkennen zu geben. Er möchte den Fürsten überzeugen, dass er dessen Patentochter heiraten darf, obwohl diese einem anderen versprochen ist. Währenddessen werden junge Männer zum Wehrdienst gezwungen. Kann Leopold I. dies unterbinden?
"Seelenverkäufer" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in «Der alte Dessauer» (Band 42 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.

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KARL MAY

SEELENVERKÄUFER

HUMORESKE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 42

„DER ALTE DESSAUER“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1328-0

Die Erzählung spielt im Jahre 1745.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

SEELENVERKÄUFER SEELENVERKÄUFER (1745)

Bei ‚Mutter Röse‘

Im Schloss zu Dessau

Die Reitprobe

Der Kleidertausch

Unter Werbern

Im Keller

Mamsell Rosine

SEELENVERKÄUFER

(1745)

Bei ‚Mutter Röse‘

Obgleich es noch früh am Tag war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heute ja Wochenmarkt, an dem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes in Angebot zu bringen oder einzukaufen, was zur Befriedigung ihrer wirtschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse notwendig war.

Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt-auf-dem-Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Kavalierstraße zu, die noch heute mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanniskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eines der ‚grausam vornehmen‘ Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biederen Landbewohner vorgekommen war.

Die meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadtteil zurück, in dem ‚Mutter Röse‘, die dickste und zugleich beste Wirtin des ganzen anhaltischen Landes, residierte; denn sie verstand es ganz besonders gut, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen.

Wie eine Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, schweren Schenktisch, hatte für jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichts bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei ‚Mutter Röse‘, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von den anderen groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen den auftreten, der es wagte, sie aus ihrem Gleichgewicht zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzschnellen ‚An-die-Luft-Setzen‘ büßen müssen.

Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um am hinteren Tisch einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als sich die Tür öffnete und ein Mann eintrat, der sich tief bücken musste, um seinem Kopf eine unliebsame Berührung mit dem Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben musste, trug er sich noch stramm und kräftig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blick überflogen.

Er schritt zu einem noch unbesetzten Tisch, ließ sich auf den laut krachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopf und wartete nun augenscheinlich auf irgendeinen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der oben genannten Erbübel zu befreien.

Zufälligerweise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden und so zupfte er zunächst etliche Mal ungeduldig an dem blauen Leinwandsack herum, der seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmutiger Miene die Spitzen seines Schnurrwichses um den Zeigefinger, und als auch dies erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, der mittels eines Lederriemens an seinem Handgelenk hing, und ließ ihn laut dröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen.

„Heda, alte Klatschmaschine, mach, dass du bald vorkommst, sonst werde ich dir Beine machen!“

Auf diese mit kräftiger Bassstimme hervorgedonnerten Worte trat augenblicklich tiefe Stille ein und aller Augen wandten sich nach dem Mann, der es wagte, die zwar gute, aber streng auf ihr Ansehen haltende Wirtin in dieser Weise zu beleidigen. Jedermann war überzeugt, dass der Sprecher in wenigen Sekunden draußen vor der Tür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Beleibtheit allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrotem Gesicht über die Häupter der Sitzenden hinweg rief:

„Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dick tut? Wart mal, Bürschchen, wir werden gleich sehn, wer von uns beiden dem andern Beine macht!“ Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Fass auf das Gestell hob, setzte sie befehlend hinzu: „Christian, nimm ihn doch mal bei der Perücke und zeig ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!“

„Lass dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halt den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloch!“

Das war der Wirtin doch zu stark, zumal nun auch der Ärger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste Miene, dem Befehl seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchentür. Mit raschen Schritten wand sie sich zwischen den Gästen hindurch, um den Angekommenen in Augenschein zu nehmen.

„Was wären wir? Die Rechten? Ja, das sind wir auch und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, dass man eine ehrsame und tugendhafte Witwe – Herrjeh!“, unterbrach sie sich, als sie ins Gesicht des Ausgescholtenen blickte. „Bitte hunderttausendmal um Verzeihung, Durchl...“

„Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster Bitterbier bringen und was dazu gehört!“, unterbrach er sie schnell. „Oder glaubt Sie etwa gar, dass ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?“

„Ja, freilich, einen Krug Zerbster“, wiederholte sie eilfertig, „und was dazugehört, gleich, gleich sollen Durchl...“

Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blick, der sie traf, im Mund stecken; sprachlos vor Verlegenheit eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Tonkrug herbei, stellte ihn auf den höchst eigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lagen neben dem Trunk auch ein mächtiges hausbackenes Roggenbrot, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse.

Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirtin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich eifrig und erfolgreich mit dem Imbiss, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigentümliche Vorkommnis wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten.

Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die anderen und war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, der, als er ihn erblickte, ein Zeichen der Überraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie infolge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhl griff.

„Ist der Stuhl erlaubt?“, fragte er kurz.

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