Karl May - Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas

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Karl May

WALDRÖSCHEN II. DER SCHATZ DER MIXTEKAS

1. Kapitel

Der ununterbrochen und so wunderbar zusammenhängende Verlauf der Ereignisse veranlaßt den freundlichen Leser, über den atlantischen Ozean einen Blick zu werfen in jenes mittelamerikanische Land, das in Rodriganda so viele Male genannt wurde, weil da drüben die bedeutenden Besitzungen des Hauses Rodriganda-Sevila lagen.

Es ist nicht notwendig, langweilige geographische Bemerkungen über Mexiko zu machen, aber wie der Mensch überhaupt von dem Boden abhängig ist, auf dem er lebt, so ist auch der Charakter des echten Mexikaners demjenigen seines Landes ganz konform. Der Boden des Landes ist zum großen Teil ein vulkanischer, und so glüht auch im Inneren des Bewohners ein Feuer, das oft mächtig und verzehrend emporflammt. An den Küstenstrichen herrschen tödliche Fieber, so sind auch die politischen Verhältnisse des Landes krankhaft und höchst unzuverlässig, das ganze Leben und Treiben der Nation ist ein reich phantastisches und wechselvolles, und man kann in einer Woche dort mehr Abenteuer erleben, als bei unseren geordneten Verhältnissen in zehn Jahren.

Die Grenze des Landes nach Texas hin, das zu den Vereinigten Staaten gehört, bildet der Rio Grande del Norte, auch Rio Bravo del Norte, in den sich der Conchos, Salado, Sabinas und San Juan ergießen. Zwischen diesem Fluß und den Kordilleren von Coahuila lagen einige der zerstreuten Besitzungen, die dem Grafen Ferdinando de Rodriganda gehörten. Dieser war, wie wir bereits gesehen haben, der Bruder des Grafen Emanuel, er lebte ausschließlich nur auf seinen mexikanischen Besitzungen und hatte sich den Sohn seines Bruders, den jungen Grafen Alfonzo, hinüberkommen lassen, um seine Reichtümer auf ihn zu vererben.

Ungefähr zwei Jahre vor dem Beginn der unglücklichen Ereignisse in Rodriganda schwamm ein leichtes Kanu langsam den Rio Grande hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, die verschiedenen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andere saß sorglos im Bug, damit beschäftigt, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.

Derjenige von den beiden, der das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohnedies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehörte. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins – Lederhosen —, deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins – Jagdschuhe —, die doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur aus den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus dem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanu lag ein fein gegerbtes Büffelfell, das ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel steckte ein glänzender Tomahawk – Schlachtbeil —, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfell lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in deren Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der bereits erlegten Feinde zu bezeichnen. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet – Friedenspfeife – befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemds die Kolben von zwei Revolvern hervorragen. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Zivilisation in enge Berührung gekommen sei.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter nichts zu bekümmern, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blick beobachtete, der dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblick einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.

Der andere, der im Vorderteil saß, war ein Weißer. Er war lang und schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn sehr gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagstiefeln steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper, der Hals war frei, und auf dem Kopf saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Er hatte Farbe und Form verloren.

Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein. Beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanu bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.

Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanus, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.

»Tkli – ein Pferd!« flüsterte der Indianer in der Sprache der Apachen. – »Es steht weiter abwärts«, meinte der Weiße. – »Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?« – »Ein Indianer nicht und ein weißer Jäger auch nicht«, sagte der Weiße. – »Warum nicht?« – »Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.« – »Was tun wir?« – »Rudern wir an das Ufer, steigen wir aus und schleichen uns hin.« – »Und das Kanu bleibt liegen?« fragte der Indianer. »Wenn es nun Feinde sind, die uns an das Ufer locken und töten wollen?« – »Pshaw, wir haben auch Waffen!« – »So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.« – »Gut, ich bin einverstanden!«

Die Männer leiteten das Kanu ans Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

»Nun?« fragte der Weiße. – »Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busch.« – »Ah! Ein Jäger?« – »Er hat nur ein Messer.« – »Ist weiter niemand in der Nähe?« – »Ich habe niemand gesehen.« – »So wollen wir hin!«

Der Weiße sprang aus dem Fahrzeug und band dieses fest, dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, die auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an der der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, das auf mexikanische Weise gesattelt war.

Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke. Hemd und Hose wurden durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, das er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel steckte außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero – Hut – lag über seinem Gesicht, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden anderen gar nicht hörte.

»Holla, Bursche, wach auf!« rief jetzt der Weiße, ihn am Arm schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer.

»Verdammt, was wollt ihr?« rief er schlaftrunken. – »Zunächst nur wissen, wer du bist.« – »Wer seid ihr denn?« – »Hm, mir scheint, du hast Angst da vor dem roten Mann. Das ist nicht nötig, alter Junge. Ich bin ein deutscher Trapper namens Helmers und stamme aus der Gegend von Mainz, und dieser hier ist Shoshinliett, der Häuptling der Jicarilla-Apachen.« – »Shoshinliett?« fragte der Fremde. »Oh, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apachen ist ein Freund der Weißen.«

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