Serrato nickte zur Bestätigung mit dem Kopf und bekräftigte die Worte seines Kapitäns, indem er hinzufügte: „Ja, unsererseits geschah alles, das Leben der uns anvertrauten Leute vor Schaden zu bewahren. Brown kam Tag und Nacht kaum noch von den Trümmern der Kommandobrücke herunter. Jeder Mann war genau unterrichtet, wie er sich in der Stunde der Gefahr zu verhalten hatte und in welches der Boote er hineingehörte. Jeder Griff schnellen Inwasserlassens war unzählige Male geübt worden. Und als dann das Schreckliche geschah, kam doch alles anders, als wir gedacht hatten. Mitschiffs wurden wir gegen einen der unsichtbaren Felsen geschleudert, der sich wie eine Säge in die Planken bohrte. Wir alarmierten sofort alle Mann und überzeugten uns, daß sie die Boote klarmachten, bevor wir in unsere Nußschale stiegen. Kaum hatten wir darin Platz genommen und waren von der Mary abgestoßen, als die furchtbare Explosion das Schiff im wahren Sinne des Wortes auseinanderriß. Eine wohl an die hundert Meter hohe Flammengarbe schoß zum Himmel empor. Zerrissene Menschenleiber und Schiffsteile sah man hoch in die Luft geschleudert. Ein grausiger Anblick. Doch nur wenige Sekunden währte dieses schaurig-schöne Schauspiel, dann sank die Flamme in sich zusammen und eine dichte Rauchwolke nahm jede Sicht. Wir wurden von einem Funkenregen überschüttet, hörten markerschütternde Schreie und rings um uns klatschten Gegenstände ins Wasser.“
Wieder schwieg Serrato, als sei er von den Erlebnissen zu sehr ergriffen, um weitersprechen zu können.
Zederström unterbrach die Stille: „Und wie erklären Sie sich die Ursache der Explosion?“
„Ich vermute, daß Wasser in die Dampfkessel gedrungen ist.“
Scharf betont fragte der Schwede: „Sprengladung hatten Sie nicht an Bord?“
Für den Bruchteil einer Sekunde stutzte Serrato, doch dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er blickte Zederström mitleidig an und lächelte, wie man etwa über die unverständige Frage eines unwissenden Kindes lächelt. Fast ironisch klangen seine Worte: „Schätze, Ihnen bereits gesagt zu haben, welcher Art unsere Ladung war und wüßte nicht, was Sprengstoff auf unserem Schiff zu suchen hätte.“
„Erleiden Sie einen großen Schaden durch den Verlust der Mary?“ versuchte Lund das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
„Damit wird wohl zu rechnen sein, aber darüber würde ich mich hinwegsetzen, wenn nur meine brave Besatzung gerettet worden wäre. Wir hatte alle Hoffnung auf Ihre Jacht gesetzt und ich bitte Sie, daher zu verzeihen, wenn Käpp’n Brown in seiner derben Art es bei unserer ersten Begegnung an Takt und Höflichkeit fehlen ließ. Seine ganze Sorge galt den Schiffbrüchigen!“
„Nur“, warf Nielsen nicht ohne Schärfe ein, „hätte er wissen müssen, wie gefahrvoll das klippenreiche Wasser war und seine Pflicht wäre es wohl gewesen, uns zu größerer Vorsicht anzuhalten, anstatt uns zu unsinniger Eile anzutreiben.“
Brown erhob sich schwerfällig und erwiderte: „Soll das eine Anklage gegen mich bedeuten, so muß ich sie zurückweisen. Unsere Mary hatte einen ganz anderen Tiefgang als Ihre leichte Luxusjacht und ich hätte mich ohne weiteres getraut, mit voller Geschwindigkeit, wie es die Not der Stunde erforderte, zur Unfallstelle zu eilen!“
Nielsen schoß das Blut zu Kopf. Er rief zornig: „So? Nun, dann kann ich Ihnen versichern, daß Sie mitsamt der Jacht jetzt längst auf dem Meeresgrund lägen. Sie scheinen in der Tat von diesem Fahrwasser auch nicht die geringste Ahnung zu haben!“
Bevor Brown etwas entgegnen konnte, schaltete sich Serrato ein: Mit der verbindlichsten Art seines Wesens suchte er die Spannung zu überbrücken: „Käpp’n Nielsen, ich glaube Ihnen aufs Wort und zweifle nicht, daß Sie durchaus im Rechten sind. Sie als Norweger werden natürlich die Gewässer Ihrer Heimat kennen und so handeln, wie es in solcher Lage die Umstände erfordern. Wie ich Ihnen schon sagte, hatten wir Kompaß und Karten bei dem Orkan eingebüßt und es ist daher verzeihlich, wenn Brown sich ein falsches Bild machte in Unkenntnis des Fahrwassers. Verstehen Sie doch, sein Herz blutete, als er sah, wie gemächlich Sie fuhren, wo höchste Eile so dringend erforderlich war. Ich bitte Sie, dieses zu bedenken und keinen Mißton zwischen uns aufkommen zu lassen.“
„Ich bitte auch Sie, Herr Serrato, zu bedenken, daß es für einen Seemann keine größere Beleidigung gibt, als ihm vorzuwerfen, er habe sich Schiffbrüchigen nicht mit allem Eifer angenommen.“
„Sicher verstehe ich Ihren durchaus berechtigten Standpunkt. Käpp’n Brown, ich erwarte, daß Sie sich wegen Ihrer kränkenden Worte entschuldigen!“ Ein stechender Blick traf den Genannten.
Der alte Seebär schluckte ein paarmal, als habe er einen Kloß im Hals, der nicht herunter wollte. Dann nuschelte er ein paar unverständliche Worte in den Bart.
Nielsen winkte ab. „Für mich genügt es, im übrigen weiß ich selbst, was ich meiner Ehre schuldig bin!“
Ganz unvermittelt ließ sich jetzt Zederström vernehmen und stellte die Frage: „Die Mary war doch sicher gut versichert, Herr Serrato?“
„Nicht höher und nicht niedriger, als es erforderlich war, Herr Zederström“, lautete die Antwort.
„Ist denn die Gesellschaft auch sicher?“
„Seltsame Frage. Ich denke doch, daß die United States Insurence Co. immer noch als erstklassig angesehen werden darf, aber ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie es in solchen Fällen zu ergehen pflegt und welche Schwierigkeiten und Zeitverluste zu überwinden sind, bevor die Versicherung ausbezahlt wird.“ Im stillen verwünschte er den lästigen Frager, der ihn gewissermaßen überrumpelt hatte, indem er sich durch den unvermuteten Einwurf hinreißen ließ, den Namen der Versicherungsgesellschaft zu nennen.
Der Schwede ließ noch immer nicht locker und meinte kühl: „Da man Versicherungen im allgemeinen doch so hoch abzuschließen pflegt, daß ein gewisser Gewinn einkalkuliert wird, so kann, nach meinem Dafürhalten, von einem materiellen Verlust für Sie überhaupt nicht die Rede sein!“
Der Kreole faßte seinen Gegner ins Auge, als wolle er ihm bis auf den Grund der Seele sehen. Er entgegnete kühl: „Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen. Jedenfalls habe ich bisher hierüber nicht nachgedacht, da mir meine achtzehn Kameraden wichtiger erscheinen, als die materielle Seite der Katastrophe und da mir auch mit meiner Mary ein Freund ins Meer versunken ist, aber das werden Sie nicht begreifen, denn Sie sind eben Kaufmann und für eine Landratte — wie wir in der Seemannssprache zu sagen pflegen — bleibt ein Schiff eben ein toter Gegenstand — — der nur von der materiellen Seite bewertet wird.“
Eine Weile herrschte Schweigen. Jeder spürte, daß zwischen diesen beiden Männern eine unüberbrückbare Feindschaft bestehe.
Die kurze Zeit der Dämmerung ging zur Neige. Es versprach, ein wundervoller Morgen zu werden. Lund gähnte. Ihn überwältigte die Müdigkeit. Er erhob sich und sprach: „Ich denke, wir legen uns jetzt ein paar Stunden aufs Ohr und wollen uns dann überlegen, was weiter geschehen soll. Etwas Schlaf wird uns guttun.“
Decken und Kissen wurden an Deck geschafft und, so gut es gehen wollte, Lagerstätten für die Gäste bereitet.
Serrato hatte sein Nachtlager etwas abseits aufgeschlagen. Er hielt darauf, stets einen gewissen Abstand, selbst Brown gegenüber, zu wahren.
Als die drei Männer der Mary unter sich waren, brach Smith in ein glucksendes Gelächter aus.
„Was ist dir?“ fragte sein Käpp’n.
„Ich muß daran denken, daß du, Jim, schon ein gutes Seemannsgarn zu spinnen verstehst, aber gegen unseren Master bist du doch nur ein armseliger Waisenknabe!“
Brown gebot mit einer gebieterischen Handbewegung Schweigen. Wütend zischte er: „Und ich werde dir, wenn du noch ein Wort sagst, einen Kinnhaken geben, daß dir dein verdammtes Maul zuklappen wird, du blöder Esel du!“
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