Der Steuermann wußte, daß mit dem Alten, wenn er so sprach, nicht zu spaßen war. Er drehte ihm den Rücken zu und bald darauf verkündeten regelmäßige Atemzüge und Schnarchen, daß auf und unter Deck der Jacht alles in tiefem Schlaf lag. Aber es schien nur so, denn einer wachte: Zederström! Er schlich auf Zehenspitzen in seine Kajüte zurück. Von seinem Horchposten aus hatte er die unbedachte Äußerung Smiths und Browns groben Bescheid wohl vernommen. Längst war in ihm ein furchtbarer Verdacht aufgestiegen und dieser wurde durch das Gehörte noch bestärkt. Er fand in dieser Nacht keine Ruhe. Fieberhaft arbeiteten seine Gedanken, um ein Bild von den wahren Geschehnissen zu gewinnen.
Serrato und Brown machten einen Rundgang über das baum- und strauchlose Eiland. Der Master schärfte seinem Kapitän nochmals ein, er wünsche, daß alles getan werde, sich den neuen Bekannten gegenüber von der besten Seite zu zeigen und deren Vertrauen zu gewinnen.
„Well, werde mir Mühe geben, eine freundliche Fratze aufzusetzen. Würde ich allerdings zu befehlen haben, die Sache wäre anders angepackt worden!“
„So?“ Ironisch klang die Frage.
„Ja, Master, ganz anders!“ Verbissene Wut sprach aus der Antwort.
„Da bin ich gespannt. Also, lassen Sie hören.“
Brown konnte die sarkastische Art, in die Serrato seine Worte ihm gegenüber kleidete, nicht ausstehen und erwiderte grob: „Ich hätte die gute Gelegenheit beim Schopf ergriffen und, während die vornehme Gesellschaft schlief, die Kajütentüren verrammeln lassen, so daß die ganze Bande jetzt in der Mausefalle säße. Dann würde ich unser Boot in Schlepptau genommen haben, Kurs Drontheim gesteuert sein und dicht vorm Ziel ein paar niedliche Löcher in den lackierten Affenkasten gebohrt haben, damit er schnell und lautlos abgebuddelt wäre. Auf diese Weise hätten wir eine schnelle Fahrt gehabt und uns lästige Zeugen vom Hals geschafft!“
„Solche Risikogeschäfte mögen Sie machen, old Jim, ich nicht! So einfach, wie Sie sich die Angelegenheit vorstellen, würde sie wohl auch kaum durchzuführen gewesen sein. Soweit ich die Männer kennen gelernt habe, halte ich sie nicht für solche Dummköpfe, die jede Vorsicht außer acht lassen, und die Sache hätte leicht anders ausgehen können. Aber selbst gesetzt, alles wickle sich ab, wie Sie es sich gedacht haben, das Verschwinden der Jacht würde viel zu viel Staub aufgewirbelt haben. Bei so vorzüglichem Wetter und unter so fachkundiger Leitung geht kein Schiff unter! Man würde nachforschen und, schätze, uns leicht mit der Angelegenheit in Verbindung bringen. Nein, Käpp’n, die Sache ist schon so richtig, wie ich sie angefaßt habe. Was Sie, Smith und Polaczewsky auszusagen haben, ist euch ja gestern durch mein nettes Märchen klar genug vor Augen geführt. Bedenken Sie, daß wir jetzt außerdem unsere neuen Freunde noch als wertvolle Zeugen gewonnen haben, die den Unfall einwandfrei vor dem Seemannsgericht bestätigen. Schätze, solche Aussagen werden für uns von größtem Nutzen sein.“
Serrato sprach Lund in überschwenglicher Weise seinen Dank für die großzügige Hilfe und Gastfreundschaft aus. „Nie kann ich mich für Ihre Güte erkenntlich zeigen“, rief er zum Schluß. „Könnt ich Ihnen nur durch irgend etwas meine Dankbarkeit beweisen.“
Lund wehrte ab: „Verlieren wir doch über Selbstverständlichkeiten keine Worte. Was beabsichtigen Sie jetzt zu tun?“
„Wir müssen versuchen, nach Drontheim zu kommen, um dort die Angelegenheit ordnungsgemäß vor dem Seeamt verhandeln zu lassen.“
„Ganz meine Ansicht!“ mischte sich Nielsen ins Gespräch.
Brown wünschte im stillen die Leute der Dagmar zum Teufel. Er dachte: Wäret ihr verdammten geschniegelten Affen uns nicht über den Weg gelaufen, so hätte das ganze Theater nicht nötig getan.
„Selbstredend fahren wir Sie und Ihre Kameraden nach Drontheim“, sagte Dagmar, und fügte schelmisch hinzu: „ich bin nämlich seit gestern Eigentümerin der Jacht und habe darüber somit allein zu bestimmen.“
Serrato beglückwünschte sie, wehrte aber ihren Vorschlag ab, indem er darauf hinwies, daß nicht allein ihre ganze Reise gestört werde, sondern sie und die drei Herren Laufereien und Scherereien davontragen würden, indem sie alsdann vor das Seeamt geladen werden würden.“
Lund trat hinzu: „Alles schon besprochen und festgelegt.“
Bald darauf durchschnitt der Bug der Dagmar die Wellen, daß der Schaum aufspritzte. Serrato saß während der Fahrt mit Lund und seiner Tochter an einem gedeckten Tisch. Sie tranken eine gute Flasche Wein. Der Kreole wußte fesselnd von seinen Reisen nach Süd- und Nordamerikas Küsten zu plaudern. Zederström hielt sich abseits.
Brown, Smith und Polaczewsky hatten es sich am Heck bequem gemacht und sahen dem langen Schaumstreifen nach, den das Schiff im Kielwasser zurückließ. Steuermann und Matrose waren bester Laune. So eine Fahrt hatten sie noch nicht erlebt, statt sich in die Riemen werfen zu müssen und schwielige Fäuste zu bekommen, faulenzten sie an Bord einer feudalen Jacht, wurden großartig verpflegt und behandelt, als seien sie erster Klasse Passagiere eines Luxusdampfers.
Dem Einfluß des reichen, angesehenen Kaufherrn Nikolai Lund gelang es, den Termin für die Verhandlung vor dem Seeamt in Drontheim beschleunigt durchzusetzen. Da sich die Aussagen der vier Männer des gesunkenen Frachters deckten und die Zeugen des Vorfalls, soweit sie ihn mit eigenen Augen gesehen hatten, das Gesagte bestätigten, währte die Sitzung nicht allzulange. Der Spruch wurde gefällt:
„Der 2100 t Frachtdampfer „Mary“, gehörig der Reederei Asher & Serrato in New York, geriet auf der Fahrt vom Heimathafen nach Bodö in einen schweren Gewittersturm. Er verlor das Steuer, wurde manöverierungsunfähig und lief etliche Seemeilen nordwestlich der Lofoten auf einen unter Wasser befindlichen Felsen. Das Schiff wurde leck und begann schnell zu sinken. Anscheinend ist Wasser in den Dampfkessel gedrungen, wodurch eine Explosion verursacht wurde, die den Frachter auseinanderriß. Seitens der Schiffsleitung waren alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen und ihr ist an dem Unfall kein Verschulden beizumessen. Auch von dem Vorwurf, sich vorzeitig in Sicherheit gebracht zu haben, ist sie unter den gegebenen Umständen freizusprechen, da bei der Kleinheit des Bootes weitere Leute nicht aufgenommen werden konnten und infolge der Schnelligkeit der Katastrophe Hilfsaktionen nicht möglich waren, sondern nur das Leben der Männer nutzlos gefährdet haben würden. Anerkennung verdient das Verhalten der Besatzung der Jacht „Dagmar“, wenn auch sie nicht in der Lage gewesen ist, weitere Überlebende zu bergen.“
Lund, der Großzügige, veranstaltete eine Abschiedsfeier, auf der es hoch herging. Für die Schiffbrüchigen hatte er neue Kleidung und Unterwäsche besorgt und außerdem jedem noch einen Barbetrag zur Verfügung gestellt, damit sie ohne Entbehrungen in die Heimat zurückkehren konnten.
Serrato brachte es fertig, daß ihm ein paar Krokodilstränen in die Augen traten und wer ihn sprechen hörte, mußte glauben, daß ihn die Rührung über so viel Hochherzigkeit völlig überwältigt hatte. Mit einem Schwall von Worten pries er den Gastgeber, brach in eine Lobrede über die Schönheit und Liebenswürdigkeit Dagmars aus, gab Nielsen das Zeugnis eines Fahrensmannes, wie man ihn sich nicht besser wünschen konnte und fand auch einige verbindliche Phrasen für Zederström, der ihm aber die kalte Schulter wies und sich stellte, als habe er die Worte nicht gehört.
Serrato zog ein Scheckheft aus der Tasche, um — wie er sagte — Lund die verauslagte Summe zurückzuerstatten und als dieser hiervon nichts wissen wollte, tauschten beide ihre Adressen aus. Der Kreole schwur, er ließe es sich nicht nehmen, die Angelegenheit von New York aus zu regeln. Besonders heftig übermannte ihn die Rührung, als er auf die Verhandlung vor dem Seegericht zu sprechen kam. Er rief ein über das anderemal aus: „Einen größeren Dienst hätten Sie armen Schiffbrüchigen nicht erweisen können und sicher wird hierdurch auch die Angelegenheit seitens der Versicherung schnell und reibungslos zum Abschluß kommen.“
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