Jens Smærup Sørensen
Brief eines Seelenverkäufers
Erzählungen
Aus dem Dänischen von
Roland Hoffmann
Lindhardt & Ringhof
Ob es Gott gibt, liebe Bodil, ist doch eine Frage, die heutzutage die Aufmerksamkeit der wenigsten in Anspruch nimmt. Ich habe nur ganz zufällig daran gedacht. Oder besser gesagt an etwas, worüber ich etwas gelesen habe, über einen Mann nämlich, der im Sterben lag, und der dann plötzlich, dort auf seinem Krankenlager, zu glauben anfing und Gott anbetete. Eine Person, oder wie soll man sagen ein Phänomen, ein Begriff, etwas, summa summarum, das er ansonsten, in seinem gesamten Erwachsenendasein, hatte verleugnen wollen. Genau in diesem Punkt hatte er sogar einen besonders augenfälligen Mangel an Gewandtheit an den Tag gelegt.
Persönlich habe ich nie etwas gegen Gott gehabt. Ob es den Betreffenden nun gibt oder nicht. Eine Wende dieser Art konnte für mich also nicht in Frage kommen. Mir ist es nur eingefallen, jetzt, wo ich selbst so daliege. Weil doch auch ich eine Wende vollzogen habe, vor kurzem, wie ich dir erklären muß. Und weil es hier im Bett für mich besonders wichtig geworden ist, auf neue Art verstanden zu werden. Als, ja, als sympathisch betrachtet zu werden. Nichts Geringeres.
Das wurde ich nämlich niemals, wirklich niemals zuvor, nicht soweit ich mich erinnern kann. Und ich war es wohl auch nie, ich meine sympathisch, wohl auch nicht in der Zeit, an die ich mich nicht erinnere. Ich war bestimmt drei oder vier Jahre alt, als es mir klar wurde. Als ich klar vernahm, daß ich andere Menschen befremde.
Es war eine meiner vielen Tanten, die es als erste zum Ausdruck brachte. Sie saß mit etlichen der anderen im Gartenzimmer. Ich ging zwischen ihren Knien umher und betrachtete ihre Näharbeitshände und ihre reingewaschenen Gesichter im Sommertageslicht. Es war, als hätte Seife ihre Haut dünn geschliffen. Dann brach sie endlich das Schweigen, jene Tante, die direkt hinter mir saß. Sie sagte: Ich konnte diesen Jungen noch nie leiden!
Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich mich an den Wortlaut erinnere. Ich bin mir auch fast sicher, daß meine Mutter in diesem Augenblick gerade nicht anwesend war. Und da war niemand, der Einspruch erhob. Ich sah all ihre stummen Augen auf mir ruhen. Ich sah vielleicht einen einzigen Mund, der mir quasi zulächeln wollte. Doch niemand widersprach meiner Tante. Ich konnte nicht daran zweifeln, daß sie ausgesprochen hatte, was wohl alle dachten.
In den folgenden Jahren sollte ich das ein ums andere Mal bestätigt bekommen. Wohl selten so direkt; in meinem ganzen Leben ist es verblüffend selten passiert, daß jemand so unverblümt gesagt hat, was offenbar alle gefühlt haben. Eher war es so, daß sich die Leute von mir ferngehalten haben, persönlich sozusagen. So wie du es ja auch getan hast, Bodil. Versteh mich nicht falsch! Du hast mich tadellos gepflegt. In allerbester Übereinstimmung mit den Anforderungen, die dein Beruf dir stellt.
Schon damals, in meiner Schulzeit, war ich keiner Diskriminierung ausgesetzt. Ich gehörte beispielsweise nie zu den Bedauernswerten, auf die zuletzt gedeutet wurde, wenn die Anführer auf dem Fußballplatz ihre Mannschaften wählten. Denn ich war ein mehr als brauchbarer Flügelstürmer, und insofern hatte niemand etwas dagegen, mit mir zusammenzuspielen. Ähnlich hat es mir auch später, in meinem Berufsleben, nie an kooperationswilligen Partnern gemangelt. Sie haben es bloß unterlassen, mit mir kollegial zu verkehren. Sie konnten es wohl irgendwie nicht. Konnten es nicht über ihre Herzen bringen, wie man vermutlich sagt.
Nach all diesen Jahren verstehe ich immer noch nicht, warum. Warum ich so auf andere wirke. Ich habe ehrlich gesagt recht früh aufgegeben. Zu verstehen, was vonnöten wäre, um anders wirken zu können. Denn ich darf wohl sagen, daß ich ganz gut aussehe. Oder aussah, ehe ich hier in Therapie kam, und ich war und bin wohl auch nicht besonders maliziös, oder wie man es auch nennen mag, ich meine, im Grunde genommen habe ich anderen nie etwas Böses gewollt.
Verstehst du, Bodil, eigentlich versuche ich nur zu sagen, wenn ich bloß ein anderer gewesen wäre, dann hätten mich wohl, zumindest einzelne, ganz ansprechend gefunden. Mit anderen Worten, ich kann es nicht erklären. Vielleicht kann es auch sonst niemand, vielleicht nicht einmal du, wenn du darüber nachdenken würdest. Ich muß mich wahrscheinlich weiter mit der irrigen Erklärung abfinden, daß meine antipathische Wirkung auf irgendetwas Undefinierbares an meinem Wesen zurückzuführen ist. Das Wort selbst zeigt ja schon an, daß es jenseits aller Vernunft liegt, und wohl auch, daß jeder Versuch, dies zu ändern, hoffnungslos wäre.
Es ist äußerst schwer, über dies hier auch nur mit einem Mindestmaß an Präzision zu sprechen. Ich mache mir ferner die ganze Zeit Sorgen, du könntest den Eindruck gewinnen, daß ich mich beklage. Was klar gegen meine Absicht ist. Denn teils ist es etwas ganz anderes, was ich von dir will, teils würde jeder Anflug von Klage das Bild meiner realen Person verschleiern, und ein solches unretuschiertes Bild ist für mich eine conditio sine qua non für den glücklichen Ausgang dieser Anfrage, ja es ist wohl bereits ein Teil ihres Ziels. Wenn du jetzt dennoch einen Unterton von Selbstmitleid verspüren solltest, dann liegt das ausschließlich an gewissen Mißklängen, die an den Wörtern kleben. Ich bitte dich, daran zu denken und diese sprachliche Fehldeutung zu berücksichtigen.
Ich kann dir nämlich versichern, daß ich nicht zu bedauern bin. Wohl habe ich einsam gelebt, doch wer hat das nicht? Die meiste Zeit. Und Gesellschaft habe ich gehabt, ebenso viel wie andere. Ich bin sogar umschmeichelt worden. Nicht selten sind Menschen aufgetaucht, die ihren Ehrgeiz darauf richteten, mit mir Umgang zu pflegen. Natürlich nicht, weil sie sich von mir angezogen fühlten. Wohl nur, weil sie sich selbst beweisen wollten, daß es möglich war. Ich bin auf diese Weise mehrere Male in exzentrische Kreise aufgenommen worden, wo man Leute zu sehen wünschte, die auf die eine oder andere Weise bizarr waren. Ich wurde jedoch jedes Mal und meist sehr schnell aus denselben Gründen ausgetauscht. Ich kam ihnen bei etwas näherer Bekanntschaft zu, ja, zu gewöhnlich vor. Nehme ich an.
Doch, was auch geschah, ich hatte mein Geld. Habe ja immer Glück mit meinen Geschäften gehabt, also ja, ich bin auch, wie ich dich bereits habe wissen lassen, so viel steht wohl fest, ich bin also tüchtig gewesen, enfin, ich habe ein abwechslungsreiches und bequemes Leben führen können. Ich war in der Lage, Bodil, mir, unter vielem anderem, erotische Erlebnisse zu kaufen, das solltest du auch wissen, von einer Qualität, die ja doch niemandem, wie sympathisch er auch wirken mag, gratis zuteil wird. Vielleicht nicht einmal so sehr in pekuniärem Sinn.
Ich könnte fortfahren. Ich könnte viele Fälle nennen, in denen dieses Wesen, das also nun einmal meines ist, mir gewisse Vorteile verschafft hat. Wenn auch vielleicht etwas drollige, ab und zu im Grunde genommen etwas peinliche. Doch ich habe gänzlich unbeschwert und furchtlos, beispielsweise, die Metropolen dieser Welt durchwandern können. Nie in meinem Leben bin ich angetastet worden. Nicht einmal von dem ärmsten Bettler. Dennoch habe ich gegeben, ja, verzeihe mir, daß ich es erwähnen muß, du kannst mir glauben oder es lassen. Ich nenne es bloß im Interesse der Wahrheit, daß ich oft Anstrengungen unternommen habe, um eine Gelegenheit zum Geben zu bekommen. Ohne damit jemanden in eine Situation zu bringen, in der er oder sie sich genötigt fühlen mußte, mir zu danken.
Ich hoffe, daß ich dich überzeugt habe: Nie zuvor habe ich ein derartiges Bedürfnis gehabt, anders zu wirken. Das ist eine Wende, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Aber das kann anscheinend passieren, wenn man so daliegt, wie ich es nun tue. Nicht daß ich etwas dagegen hätte. Auch hinsichtlich dieser Behauptung muß ich an deine freundliche Anerkennung meiner Aufrichtigkeit appellieren. Damit du den Ernst in dieser Krise verstehen kannst, die mich jetzt eventuell dazu reif macht, eine flexiblere Haltung einzunehmen. Damit du also verstehst, daß ich zuvor wirklich nicht das Geringste dagegen gehabt hätte, zu sterben.
Читать дальше