1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 »Sie ist mit einem Marokkaner verheiratet. Er heißt Mossati, Mossa... so was in der Art. Aber das ist doch egal ‒ für sie ist Lottie seit über zwanzig Jahren tot.«
Am Ende war es Johan, der anbot nach dem Namen und der Adresse zu suchen. Die anderen schienen sich nicht im Mindesten daran zu stoßen, dass er, der Gast, Lotties Habseligkeiten durchsuchte, oder genauer gesagt, ihren Nachlass.
»Hier ist es«, rief Johan aus dem Inneren der Wohnung. Seine Stimme schien von weither zu kommen. Er hielt ein kleines, abgegriffenes Notizbuch und ein Telefonbuch in der Hand, als er zurückkam.
»Ich habe auch eine Nummer, aber keine Adresse. Ich sehe mal im Telefonbuch nach.«
Er fing an zu blättern. Monika notierte inzwischen die Nummer.
»Moussaoui. Moussawi. Die Franzosen sind schuld daran, dass dieser Name M-o-u-s-s-a-o-u-i geschrieben wird. Wenn Marokko eine englische Kolonie gewesen wäre, dann würde es M-o-o-s-a-w-e-e geschrieben. Ein Buchstabe weniger!«
Idriss war der Einzige, der lachte.
»Hier. Kassem und Eva-Maria.«
Er verstummte plötzlich und sah peinlich berührt aus.
»Seltsam. Sie wohnen in der Igeldammsgata 26. Das muss doch ganz in der Nähe sein.«
Monika sah Jenny und Pernilla an. Wollten sie ihr wirklich einreden, sie wüssten den Namen und die Adresse ihrer Schwester nicht? Oder war es einfach so, dass kein warmes Zimmer, kein Erfolg, keine Begabung vor den Kräften schützt, die die Bindungen zwischen Frauen mit derselben Mutter, zwischen Mutter und Tochter zerreißen können?
»Wollen Sie Eva-Maria anrufen oder sollen wir das übernehmen?«
»Ich glaube, Sie haben mich nicht verstanden ‒ wir kennen sie nicht, wir hatten noch nie Kontakt, und es gibt wohl keinen Grund, jetzt damit anzufangen«, sagte Jenny sofort.
Monika verkniff sich die Bemerkung, dass der Tod eines Menschen die Hinterbliebenen oft in Kontakt miteinander bringt. Unbekannte Kinder, entlaufene Ehemänner, Geschwister, die abgeschrieben wurden oder verschwunden sind.
»Könnte Lottie nicht trotzdem auf dem Weg von oder zu Eva-Maria gewesen sein? Früher oder später versöhnen sich die meisten doch wieder, und zwanzig Jahre sind eine lange Zeit.«
»Eva-Maria hat Lottie gehasst«, sagte Jenny, bevor sie etwas leiser fortfuhr. »Und Lottie wäre niemals zu ihr gegangen.«
Monika wartete vergeblich auf eine Erklärung.
»Dann werden wir sie verständigen. Ja, und wir möchten die Presse so lange wie möglich aus der Sache heraushalten. Würden Sie uns dabei behilflich sein?«
»Wir werden alle dichthalten.« Dahlia hatte sich zur Sprecherin der Gruppe erhoben, und Monika hoffte, dass Jenny nicht sofort aus Protest bei irgendeiner Abendzeitung anrufen würde.
Sie gab sich alle Mühe, das Gespräch auf freundliche Weise zu beenden. Menschen, die gerade erst einen nahen Angehörigen verloren haben, setzen schließlich andere Prioritäten als die Zusammenarbeit mit der Polizei. Idriss notierte Adressen und Telefonnummern, während Monika den Anwesenden die Hand gab und nach ein paar freundlichen Worten suchte. »Wir melden uns, wenn wir mehr wissen«, schloss sie.
Jenny reichte ihr eine Visitenkarte, als sie die Wohnung schon fast verlassen hatten. »Rufen Sie diese Nummer an ‒ das ist Lotties Geheimnummer für wichtige berufliche Verbindungen und gute Freunde. Wir haben den Stecker des anderen Anschlusses herausgezogen.«
Die Visitenkarte ließ Monika erschaudern ‒ Lottie hatte ihre Augen, die großen violetten Augen, als Hintergrund gewählt. Sie schienen sie anzusehen, und Monika wollte lieber nicht daran denken, was mit dem einen geschehen war. Aber daran musste nicht unbedingt der Täter schuld sein, in der Stadt wimmelte es doch von hungrigen kleinen Tieren, und sie wusste, was Ratten oder Krähen einem Leichnam antun konnten. Die weichen Augen verschwinden meistens als Erstes.
Dieser Fall kam ihr aus so vielen Gründen seltsam und bedrohlich vor, dass sie sie gar nicht alle aufzählen konnte.
Im Fahrstuhl spielte Monika mit dem Gedanken, jemand anderen zu Eva-Maria schicken zu lassen, beschloss dann aber, sie doch selbst aufzusuchen. Die Reaktion auf die Todesnachricht konnte von großer Bedeutung sein, deshalb sah sie sie lieber mit eigenen Augen. Aber das brachte sie zum nächsten Problem: sie wusste nicht, was sie zu Idriss sagen sollte.
Im Fahrstuhl hatte sie ihm den Rücken zugekehrt, um keine Kommentare abgeben zu müssen. Der Fahrstuhl kam ihr ungewöhnlich langsam vor, und am Ende fühlte sie sich zu irgendeiner Bemerkung gezwungen, also drehte sie sich zu Idriss um, der jedoch völlig in Gedanken versunken zu sein schien. Schweigend gingen sie auf die Haustür zu.
Als sie die Straße betraten, sahen sie als Erstes eine junge Frau, die vor dem Kiosk Zeitungsplakate aufhängte. Sie trug keinen Mantel, hob die Schultern und spannte ihren ganzen Körper an, um sich vor der Kälte zu schützen. Ihr Atem gefror zu Eis und hing wie eine leere Sprechblase vor ihrem Gesicht, während sie mit schnellen, ruckartigen Bewegungen arbeitete. Das Plakat, das sie aufhängte, machte Monika und Idriss bewusst, dass ihnen noch weniger Zeit blieb, als sie erwartet hatten.
Die Zeitung Expressen hatte den Wettlauf gewonnen. Ein dicker schwarzer Rahmen umgab Lotties Gesicht, und die Schlagzeile fragte kurz und bündig: »Lottie Hagman tot ‒ Mord?«
Aftonbladet hatte sich mit dem Wetter begnügen müssen, und die Schlagzeile »—14, wir frieren«, stellte keinerlei Konkurrenz dar.
Verdammt!
Verdammt. Verdammt. Verdammt, dachte Monika. Seit sie mit einem Pietisten aus Jonköping zusammengearbeitet hatte, fluchte sie nicht mehr laut.
Von dem Kiosk her lächelten nun drei Ausgaben einer etwa dreißigjährigen Lottie verführerisch und in makaberem Kontrast zu den dicken Trauerrändern zu ihnen herüber.
Verdammte Hölle, dachte Monika.
Sie wusste wirklich nicht, ob Idriss Einwände erheben würde, nicht einmal, ob die Hölle zum muslimischen Weltbild dazu gehörte, und wenn ja, ob es verboten war, dieses Wort auszusprechen.
Idriss blieb stehen und schaute Lottie ins Gesicht. Ein Gesicht mit heruntergezogenem Hut und sichtbarem Atem, eins mit in der Sonne leuchtenden Haaren, die im Wind eines vergangenen Sommers wehten.
»Verflucht«, sagte er nachdrücklich und fügte dann eilig hinzu: »Oder, Verzeihung... vielleicht bist du ja religiös?«
Monika prustete los, ihre erste spontane Reaktion seit diesem Morgen. Es war befreiend.
»Nein, aber ich dachte, du vielleicht, und deshalb habe ich nicht gewagt meine Gedanken laut auszusprechen. Wie, zum Teufel, konnte das nur passieren? Wir ‒ wir müssen eine Zeitung kaufen, und dann können wir auch gleich einen Happen essen. Ich hoffe, Eva-Maria muss das nicht lesen, ehe ich sie erreicht habe ‒ aber woher weiß die Zeitung jetzt schon, dass es Lottie war? Und sie müssen doch auch noch die Zeit gehabt haben, den Text zu schreiben, Bilder herauszusuchen und all das.«
Obwohl sie nur einige Minuten im Freien verbracht hatten, drang die Kälte bereits durch ihre Kleidung und die Schuhsohlen, sodass sie dankbar den warmen Kiosk betraten. Sie kauften eine Zeitung, zwei überteuerte belegte Brote und Kaffee.
Monika zog ihr Telefon hervor und wählte Eva-Marias Nummer, ohne jedoch damit zu rechnen, jemanden anzutreffen. Eva-Maria war sicher bei der Arbeit, und Monika wusste nicht, wo das war.
Sie fuhr leicht zusammen, als gleich nach dem ersten Klingeln eine Stimme sagte: »Moussaoui.«
Die Stimme klang müde und so traurig, dass Monika sich fragte, ob sie wohl schon Bescheid wusste. Bestimmt hatten irgendwelche Bekannten die Schlagzeilen gesehen und sofort angerufen.
»Hier spricht Polizeiinspektorin Monika Pedersen von der Kriminalpolizei City. Ich würde mich gern sofort mit Ihnen treffen.«
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