Die Leute betrachten dieses erstaunliche Geschehen aus der Ferne und sagen zueinander: „Hast du je so etwas erlebt? Dieses alte Weibermensch! Paßt nur auf, es macht sich jetzt völlig und auf einmal kaputt. Und wohin soll denn das nur führen?“ fragen sie.
Die Leute behalten natürlich wieder recht mit ihren dunklen Vermutungen. Jedem Menschen sind Grenzen gezogen — selbst in der Liebe und in der Treue. Wenn ein Mensch recht ernsthaft etwas will, so vermag er manches. Es geht und geht. Und es geht oft viel weiter, als man für möglich hält. Aber einmal geht es nicht mehr weiter.
Mit der alten Magd Aagot geht es jetzt leider nicht mehr weiter. Sie hat in purem Größenwahn ihre drei Kühe in den Stall gebracht. Und jetzt ist sie selber niedergesunken.
Eigentlich liegt sie noch nicht so ganz und völlig am Boden; sie kriecht noch ein wenig umher. Sie mäht noch ihr Heu und trägt es in kleinkleinen Bürden in die Scheune. Doch dann ist es aus; es blieb keine Kraft mehr in ihrem Körper.
Ein unbegreiflicher Zauber muß dieses wacklige Gemäuer noch irgendwie zusammenhalten, so daß es nicht auseinanderfallen und in die Erde versinken kann. Von der Arbeit auf dem Monsgaard darf keine Rede mehr sein. Wie sollte denn dieses alte Hutzelweibchen noch Fronarbeit leisten, wenn doch alle Gelenke knarren? Nein, nein, Aagot ist jetzt wirklich am Ende. Sie machte einen Weg; und es war sicherlich ein steiniger Weg, ein Dornenpfad sondergleichen. Nun will er sich im großen Dunkel verlieren.
Wenn aber die alte Aagot ihre Fronarbeit auf dem Monsgaard nicht mehr leisten kann, so ist damit noch lange nicht alles abgemacht und entschuldigt. Sondern ein Bauer empört sich über eine säumige Magd und macht sich auf den Weg.
Seht, dort kommt er. Es ist der Hofbauer. Es ist der Sohn vom alten Mons. Der alte Mons starb, und der Sohn führt den Hof weiter; man nennt ihn Jung-Mons. Er hat die Augen seines Vaters, Eiszeitaugen, Haifischaugen. Er hat einen runden Rücken. Die Augen liegen in unglaublich großen Höhlen; sie liegen unter mächtigen Knochenwülsten, unter zusammengewachsenen Brauen, die einem Ziegenbart gleichen. Die Arme reichen ihm bis zu den Knien ... Jung-Mons schreitet über den Berghang daher, plump in den Hüften, als sei ihm der aufrechte Gang noch ungewohnt. Er ist die verkörperte Unheimlichkeit. Ach, wie schwerfällig er geht! Er hält sich an jedem Baum und Strauch ... Zieht ihm Schuhe und Strümpfe aus, es wird sich möglicherweise zeigen, ob er anstatt der großen Zehen noch Fußdaumen hat.
Mons heißt er. Nur Mons. Ein Wesen aus grauer Urzeit. Sein Vater hieß auch Mons. Sein Großvater hieß Mons. Dieses Geschlecht hat in gewissem Sinne Rasse. Es konnte durch die Jahrtausende nicht wesentlich verändert werden. Es nahm in sagenhafter Vorzeit Land hier am Fjord ...
Jung-Mons tritt in Aagots Stube. Er fährt bei der Tür nicht aus seinen kolossalen Holzschuhen, wie es sonst Sitte ist an diesem Strande, derart bezeigt er gleich beim Eintritt seine Überlegenheit. Schwer hockt er sich auf Aagots Tisch. Ein Grundherr hockt vor seiner elenden Kätnerin. Dieses Wesen ist von einer überraschenden Menschenähnlichkeit. Es hat sogar eine Menschenstimme und eine Sprache. Aber seine Stimme ist nicht tief und klingend und männlich, nein, soviel hat die Entwicklung ihm nicht gegönnt. Aus Jung-Mons’ Kehle kann nur ein Kreischen, ein hohes Krächzen dringen, ein affenartiges Kreischen.
Lange sitzt er auf Aagots Tisch und betrachtet mit seinen fürchterlichen Augen die ausgemergelte Magd, in der nicht länger der geringste Wert steckt, weder als Weib noch als Arbeitstier. Er betrachtet sie mit Ruhe und Gründlichkeit und ohne falsche Scheu. Und endlich öffnet er seine gewaltigen Kiefer: „Ja, jetzt bist du fertig.“
Kein Tadel, nicht irgendeine Anteilnahme; nur eine Feststellung. Jung-Mons wittert schon den Tod in dieser Stube. „Du wirst es höchstens noch ein paar Tage treiben. Dann wirft es dich.“
Diese Sache ist klar. Jung-Mons zieht sein Dolchmesser aus dem Gürtel, beklopft die Bohlenwände, sticht da und dort in die Dielen des Fußbodens. Sorgsam untersucht er die Fensterrahmen.
Aagot ist jetzt völlig hilflos. Auf ihrem Bett liegt sie, ein wenig verkrümmt, und folgt dem Hofbauer mit den Augen. Nur mit ihren bangen Augen.
Jung-Mons schließt seine Untersuchung ab und stößt das Dolchmesser wieder in die Scheide am Gürtel zurück. Er zeigt sich ungnädig: „Warum hast du die Grundmauer nicht einen Schuh höher gemacht? Jetzt steigt die Feuchtigkeit in den Fußboden.“
Dagegen läßt sich nichts einwenden. Der Fußboden ist nicht ganz frei von Feuchtigkeit. Aber Aagot liegt nun immer da mit ihrer Angst. Heute ist sie nicht mehr so hoch im Hut wie einstmals.
Einstmals konnte sie vor einen Hofbauern hintreten und sagen: „Gib mir dieses Stück Land, Kvieen, weißt du; ich zahle es dir. Ich will es dir gut und teuer bezahlen. Aber ich brauche es.“
Damit ist es aus und vorbei. Aagot bittet jetzt in Bescheidenheit: „Willst du mir nicht endlich das Papier geben, Jung-Mons?“
„Welches Papier?“
„Jung-Mons, du weißt ja — das Dokument für Kvieen.“
„Ich weiß nichts“, sagt Jung-Mons.
„Du weißt nichts?“ schreit Aagot mit schriller Stimme. „Gott verzeihe dir! Ich habe doch deinem Vater all mein Geld gegeben. Ja, ich habe es ihm bis auf den letzten Taler gegeben und du standest dabei. Du warst schon erwachsen. Du mußt es wissen. Er versprach mir das Papier.“
„Ich weiß nichts“, sagt Jung-Mons.
Hierauf hockt er sich wieder auf den Tisch und nimmt es gemütlich. Ja, er gähnt laut und stößt eine mächtige Luftwolke aus seinem Brustkasten hervor.
Aagot richtet sich mühsam auf. Sie stützt sich auf den Ellbogen; ihre Augen sind immerfort auf Jung-Mons’ Gesicht gerichtet. Ihre Angst wird grenzenlos. „Vor dem Allmächtigen, Jung-Mons — du mußt wissen, daß ich deinem Vater das Geld gegeben. Das kannst du nicht bestreiten.“
Schweigen. Ein langes, tiefes Schweigen.
„Ich weiß nichts“, sagt dann Jung-Mons. „Nein, was willst du? Der Alte ist dahingefahren ... Morgen will ich mir eine Magd dingen an deiner Statt. Den Lohn für die Magd mußt du hergeben.“
„Ich habe mein Land gekauft und teuer bezahlt“, schreit Aagot.
„Du hast es nicht gekauft“, erklärt Jung-Mons.
„Jung-Mons, wie willst du das je verantworten?“
Schweigen.
„Du hast es nicht gekauft“, wiederholt Jung-Mons. oder zeig mir das Papier.“
Dieser Kampf wird gar zu ungleich. Denn es ist kein Papier da. Und es kann durch zwei Dutzend eidliche Zeugen glatt bewiesen werden, daß Aagot Jahr um Jahr ihre Arbeit leistete auf dem Monsgaard. Alles ist klar. Kvieen war nur gepachtet. Aagot arbeitete und rodete und freute sich, weil sie meinte, sie habe dieses Stücklein Erdboden für alle Zeit erworben — mit Geld und Schweiß und Blut ... Aber es zeigt sich nun, daß sie dieses Stücklein Boden doch nicht besitzen darf. Dort auf dem Tisch — dort hockt der Grundherr.
Nun geht er. Der Knabe Bjarne gräbt am Hang hinter der Scheune ein Loch; er schaut dem Hofbauern nach, wie er den Hügel erklettert. Bjarne ist noch nicht drei Jahre alt. Bjarne hat dunkle Augen, dunkles weiches Haar, merkwürdig fremde Augen.
Auf ihrem Strohbette krümmt sich Aagot. Erst jetzt ist sie ganz und völlig am Ende. Nicht einmal zur Auflehnung hat sie die Kräfte. Nur noch diese elende, quälende Angst blieb in ihr zurück, eine dumpfe Verzweiflung, die dumm und müde macht. Das Ganze muß doch wohl nur ein Mißverständnis sein. Denn Aagot meinte es alle die Jahre anders.
Es wird aber so kommen, daß Jung-Mons den Lohn für eine fremde Magd von Aagot fordert. Und es wird so kommen, daß Jung-Mons bei Aagots Tode sein Land wieder zurücknehmen wird. Und Jung-Mons wird sagen: „Haus und Scheune müssen in drei Monaten niedergerissen werden. Aber ich kann sie kaufen.“ Dann wird er sich lange besinnen und im Kreise herumwandeln und rechnen und rechnen und schließlich einen lächerlichen Preis bieten ... Jung-Mons muß Haus und Scheune bekommen, denn auf seiner Seite stehen Gesetz und Macht.
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