Gütiger Gott — diese Magd wurde einstens für ihren Sündenfall aus dem Paradies vertrieben und scharf gezüchtigt. Sie nahm demütigen Sinnes die Strafe auf sich und zeigte sich willig, zu sühnen mit ihrem Leben. Alle Wünsche ihres Herzens und alle Wünsche ihres Blutes gab sie her für dieses Stücklein sumpfigen Moorboden. Aber es war noch nicht Sühne genug. Jetzt streckt sich schon die Hand aus, der Magd den Nacken zu brechen. Dann wird Jung-Mons dem kleinen Bjarne das Nest nehmen. Vielleicht muß auch dieses noch als Strafe geschehen.
So liegt die alte, ewige Kindermutter Aagot auf ihrem Strohbette, Arme und Brust verbraucht, der Leib nur noch ein Häuflein Asche, der Faden schon durchschnitten. Nur in ihrem Kopfe steckt noch ein wenig Leben, ein letztes Fünklein. Sie opfert auch dieses letzte Fünklein und denkt und grübelt, wie sie Bjarne das Heim erhalten könnte.
Eine alte Magd sucht Hilfe. Da muß sie weit rückwärts schauen, an den vielen Jahren ihrer Erniedrigung vorbei, bis in eine Zeit, da auch sie noch ein Mädchen mit Zukunft und allem gewesen. Nur den einen kann sie dort finden; ach, sie kann doch niemals einen anderen finden als Oswald, den stolzen Knecht auf Lisät. Wenn ein Mann auf der ganzen Welt dieser Magd helfen kann, dann muß es Oswald sein.
Und Aagot sinnt und sinnt und wird wieder zuversichtlich. Nun denkt sie nur noch darüber nach, wie sie es machen könnte, mit Oswald von ihrer großen Not und ihrer großen Treue zu sprechen. Viele Jahre hat sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Zuweilen sah sie ihn aus der Ferne. Sie sah ihn alt werden und dahinwelken ...
Heute geht der Knecht Oswald an einem Stock und wackelt ein wenig mit dem Kopfe, wenn er geht. Aagot hat den Klang von Oswalds Stimme längst vergessen. Ihre Erinnerung an ihn ist nur noch ein verworrenes Empfinden von Sonnenschein und Wärme. Gleich einem Sommermorgen ist es: in all dem Strahlenglanze steht Oswald, für den die Magd Aagot einst erschaffen ward ...
Es will eine alte Magd im Sterben noch aus Liebe das Leben besiegen ...
Und damit fängt eigentlich diese Geschichte erst an.
Wie vieles geschieht doch in dieser Welt um der Liebe willen! Gutes und Böses geschieht, und mitunter auch noch manches, was weder das eine noch das andere ist. Wie soll man zum Exempel Olavs Tod auffassen? Olav war ein verwegener Bursche alle Tage seines Lebens. Er mußte unbedingt in einer frostklaren Winternacht durch die Donnerskare zu Tal klettern. Mußte er es denn wirklich tun, wenn der böse Ostwind in allen Felsen orgelte? Viel Seltsames liegt hinter Olavs Sterben.
Olav erzählte seinem Jugendfreunde Trygve Eivindson in jener Nacht in der Berghütte des schwarzen Ur eine Geschichte. Es handelte sich um ein verwunderliches Mädchen. Es handelte sich um Thorbjörg. Der Apotheker Nils Olsen nannte dieses Mädchen Iris und Sonnenvogel. Der Apotheker war Junggeselle und ein feiner Mann. Thorbjörg fuhr an einem Sonntagnachmittag mit Olav Arnevik zum Furuholm hinaus; Olav verlor auf dieser Fahrt seine Vernunft und seine Seele. Olav ward rein toll. Sagte er denn nicht selber zu Trygve: „Thorbjörg — das ist das Weib, das mich zugrunde richtet ... Ja! Und nun will ich diesen Abstieg wagen; er ist schwer. Aber er ist nicht ganz unmöglich. Er soll eine Probe sein. Wenn er gelingt, dann ist Thorbjörg mir treu, trotz allem, was ich weiß. Dann wartet sie auf mich in unserem Stübchen in der Stadt. Dann ist sie nicht mit diesem verdammten Apotheker nach Paris gefahren ... Und wenn der Abstieg nicht gelingt, so stürze ich — auch das wäre eine Lösung.“
Welche Verrücktheit! Aber der Abstieg gelang. Olav kam bis auf das sichere Rasenband von Rimane hinunter. Dort verfing sich allerdings sein Wams in einem verkohlten Baumstumpf. Und Olav wehrte sich nicht und blieb hängen und erfror.
Kann je ein Mensch noch hoffnungsloser sein?
Olavs Tod brachte nicht einmal Klarheit. Ganz gewiß war Olav ein Sohn des Zigeuner-Halstein, ein Mensch mit sehr heißem Blut und einigen Tugenden und vielen Lastern. Er war zuweilen hochfahrend in seinem Wesen und wikingerhaft kühn und lebensverächterisch.
„Ich liebe ihn immer noch“, bekannte Jofrid, stolz und groß, wie sie war.
Trygve und Jofrid, sie standen noch ganz am Anfang. Sie waren so jung alle beide. Nachher ging alles viel schwerer, als sie nur ahnen konnten. Ein drohender Schatten schwebte immerfort über ihrem Lebenstal.
Als Olav tot war, faßte Jofrid ehrlich nach Trygves Hand. Alles hätte nun doch noch gut werden können. Sie begruben Olav auf dem Friedhof von Akerud.
Aber Olavs Leben war noch nicht ganz ausgelöscht. Tiefe Trauer herrschte auf dem Herrenhofe von Lisät. Jofrid wurde weich und mild wie ein gezüchtigtes Kind. Sie wurde ganz anders als sie vordem gewesen, beugte den Nacken und stand am Fenster und schaute Trygve nach, wenn er über den Hof schritt ...
Es verstreichen ein paar Wochen in Verwirrung und Niedergeschlagenheit.
Sie sitzen sich am Tisch gegenüber; sie sitzen abends am Kaminfeuer. Sie liegen Nachts Seite an Seite. Es ist überall Wärme und Zuversicht. Olavs jähes Erscheinen am Strande von Lisät, Olavs jäher Tod — das war wie ein Stein, der ins Wasser fiel; er riß die stille Fläche auf.
Eins blieb immerhin: in der großen Stube vor dem Kamin hing Jofrid an Olavs Hals. Das hatte Trygve durchs Fenster gesehen ... Aber es ging doch alles wieder gut.
Trygve kaufte in jener Nacht den Hof von Arnevik, und Olav hatte ihn mit guten Worten beruhigt. Alle Dinge wollten sich zusammentun. Hatte Trygve jemals vor Olavs Tod Jofrid so zärtlich und weich gesehen?
Nach diesen paar stillen, wehmütigen Wochen entstieg dem Postschiff ein junges Weib mit hohen, spitzen Schuhen, mit hohem Hut und Bändern darauf. Eine weiße Amsel hatte sich an diesen rauhen Strand verirrt. Thorbjörg, Iris — weiß Gott, es erscheint am Strande von Lisät der Sonnenvogel Olavs.
Die Leute auf der Landungsbrücke betrachten dieses Wunder mit Staunen und Schweigen, stehen still und warten in großer Spannung. Es ist Sonntag, und viele Menschen stehen da. Man sieht hier nicht oft eine fremde Dame. Wie werden die Bauernmädchen um sie her sogleich häßlich und plump. Am Prellstock lehnt Per Kleppenes, ein Mann mit einer schwarzen Lederweste und einem langen Schnauzbart. Auf ihn schreitet die Dame zu. „Wo liegt Arnevik?“ fragt sie.
Per Kleppenes kratzt sich hinter dem Ohr und blickt aufs Wasser hinaus. Gespannte Aufmerksamkeit steht auf allen Gesichtern.
„Ich möchte zu Olav Arnevik“, sagt die junge Dame schüchtern.
„Olav Arnevik?“ fragt einer.
Aber Per Kleppenes reißt die Brauen schreckhaft hoch über seinen Kugelaugen. „Nein, nein“, murmelt er und zieht sich einige Schritte zurück.
Und da steht also Thorbjörg allein und von starrendem Schweigen umgeben. Es ist deutlich sichtbares Grauen um sie her, und ihr kleines Herz, das unruhige, lebensdurstige Herz, hält einen Augenblick inne und zieht sich im Krampf zusammen.
„Wohnt denn Olav nicht hier? Er sagt, Arnevik sei ein großer Hof.“
Ja, das verhalte sich schon so, entgegnet einer. „Ja, Arnevik ist ein großer, stolzer Hof und nach Lisät der erste Besitz ...“
„Und Arne Arnevik, der Vater, starb doch ...?“
„Das stimmt. Jawohl. Der alte Arnevik ist dahingefahren ... Er starb vor ein paar Wochen — ja ...“
Thorbjörgs Knie beginnen weich zu werden. Sie wird schwach auf ihren Beinen, denn sie merkt wohl, daß hinter den Antworten und hinter dem Schweigen sich irgend etwas Schlimmes verbirgt.
„Arne Arnevik hat einen Sohn, Olav — einen einzigen Sohn“, flüstert Thorbjörg scheu und hastig. „Olav sollte den großen Hof erben. Olav reiste hierher ...“
„Ja — Olav kam“, sagt der dicke alte Mann. Dann wird auch er plötzlich feige und darf nicht weiter. Hat er denn jemals zuvor solche Augen gesehen, oder einen solchen Mund oder überhaupt solche weibliche Schönheit?
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