Zwischen 1525 und 1526 wurde dieses ergreifende Werk geschaffen. Gerade rückten die Türken gen Europa, Karl V. gen Italien, Pizarro gen Peru, die armen Weinhäuer und Ackerpflüger aber gegen ihre adligen Bedrücker. Und es ist das gleiche Jahr, da Luther seine Schriften „Wider die himmlischen Propheten“ (Sektierer) und „Wider die räuberischen und mörderischen Bauern“ richtet und überdies mit dem bloßen Bildungsideal des Humanismus und der Anschauung des Erasmus vom „freien Willen“ brach, auch in voller Loslösung von Rom die Nonne Katharina von Bora heiratete und somit das protestantische Pfarrhaus gründete, daraus soviel Segensreiches entstehen sollte. Es ist das Jahr, da klar wurde, daß aus dem volkssaftigen Ingenium des Reformators, vom Golfstromhauch erregt, das – neben dem Apostelbild – Erstaunlichste jener Zeit erblühte, nämlich das, was seitdem Deutsche Sprache heißt.
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Geist und Politik ist zweierlei: Die Tage, da ein Danziger Käptn den britischen Orlogdienst frisch aus den Riggen weg kaperte und englische Könige als Gefangene zum Bordfrühstück einlud, waren noch gar nicht lange dahin. Und eigentlich hätte man von so flotten Seelöwen wie Paul Beneke eine gewisse Anteilnahme der Hanse an den überseeischen Morgenröten erwarten sollen. Aber die einst so stolze deutsche Seegeltung zerpflückte ihre Segelflügel in kleinlichen Kompetenzreibereien. Sie verhielt sich zudem zu der Neuen Welt wie später die Kurie zur Abstammungslehre. Ihr Paradies und Weideplatz waren Ostsee und Nordsee gewesen. Daß so unbequem weit fort auch noch Land Kaufkraft und Exportmöglichkeit haben sollte, widersprach der Überlieferung und der Gemütlichkeit. Wer etwas von weitläufigeren Anschauungen genießen wollte, mußte mindestens nach Antwerpen, aber besser nach Iberien oder neuerdings mit einem Engelsmann segeln.
Nicht daß es an deutscher Anstrengung gefehlt hätte, den Anschluß an den Welthandel nach Übersee alsbald zu gewinnen. Aber es konnte nur von einzelnen Wagehälsen geschehen, die sich aus den überall wankenden Staats-, Kirchen- und Zunftbindungen zu lösen vermochten oder sich deren Ohnmacht zunutze machten. Der Großunternehmer wurde damals geboren, der Finanzkapitän, der Kaufherr, der Kaisern und Königen aushalf, wenn sie knapp bei Kasse waren, und sich dadurch Vorrechte erkaufte, die vormals nur von Gemeinschaften hatten erworben werden können.
1525 pachteten die Augsburger Großkaufleute Anton und Barthel Welser die Kupferbergwerke auf Haiti. Sie waren von dem phantastischen Schrei nach Gold, der die Tavernen und Kabinette erschüttert hatte, zum Praktischen übergegangen. Kupfer war für den täglichen Gebrauch wichtiger, und Messing, das daraus herzustellen ging, sah fast aus wie Gold und war weitaus verwendbarer, so wie die Bronze, und bedingte zugleich ein Beigeschäft in Putzpomade bei all den Beschlägen, Kesseln, Pfannen und Armringen, die auf der Kupfergrundlage hergestellt wurden.
Hinzu trat die Arbeiterfrage. Die Indianer hatten sich als ungeeignet für die Vierzehnstundenschicht, zumal unter Tag, erwiesen. Sie waren teils sowieso hingeschlachtet, soweit sie nämlich gewagt hatten aufzumucken, teils hatten sie den Selbstmord der Sklaverei vorgezogen oder waren an Entkräftung oder Grippe eingegangen. Die letzten zwei Dutzend auf Haiti standen unter Denkmalsschutz. Somit erwirkte die Firma Gebr. Welser ein Monopol auf die Einfuhr von viertausend Negersklaven jährlich. Sie verlegte ihr Kontor überdies nach Sevilla, um der neuen Sache näher zu sein.
Als Karl V. noch einiges Geld mehr brauchte, waren beide nicht knickerig. Der strenge Katholik romanischen Blutes, in Flandern erzogen, in Spanien beheimatet, in Deutschland beunruhigt durch den Hitzkopf Luther, sah mit der konfessionell abfallenden Küste und dem hansischen Rest keine ertragreiche Zusammenarbeit. Er hielt sich an die schwäbischen Handelshäuser, die am Warenumschlag vom Orient nach dem Norden über Venedig und Tirol reich geworden waren und nun – da die alten großen Geschäftswege über Land von den neuen Ozeanstraßen verdunkelt wurden – dicht am Fett zu bleiben gedachten. Fuhr man doch nach den Ländern der begehrten Tropengewürze sowohl ums Kap der Guten Hoffnung wie ums Kap Hoorn. Die Deutschen Hans Aleman und Hans Barge hatten davon erzählt. Sie waren mit dem gewaltigen Käptn Magellan auf der ersten Weltumsegelung gewesen. Es war nun klar, daß Kolumbus nicht Ostindien und Asien, sondern viel mehr, nämlich einen unwahrscheinlichen Zuwachs an Ausbeutungs- und Handelsmöglichkeit angesteuert hatte.
Somit begann die glorreiche und schmachvolle Zeit der Kolonialpolitik . Es war, als sei der ganze Organismus der europäischen Gestalt durch den unbeirrt weiterkreisenden Lauf des Golfstroms in Fieber geraten. Ein Wettlauf begann, voller urmenschlicher Beutegier und -lust, getarnt mit den Weisungen der Bibel, Heiden zu Christen zu machen. Bald stellte sich heraus, daß massive Gewalt nötig war, um sich an diesem Geschäft zu beteiligen. Oder aber Kapital.
Umsichtig hatte man von Augsburg Fühler vorgestreckt, so wie man heute Unternehmungen ungewisser Art „Beobachter“ beizugeben pflegt. Gelegentlich nennt man solche Beiwohnungen auch Werkspionage. So war, mit schwäbischen Reisespesen und Richtlinien wohlversorgt, schon im Jahre 1500 der deutsche Magister Johannes bei dem Portugiesen Alvarez Cabral als nautischer Berater an Bord gegangen, ausgerüstet mit den neuesten Nürnberger „Ephemeriden“ und Seekarten. Gerade war ja höchst glücklich Vasco da Gama mit dreizehn schwerbeladenen Schiffen von Kalikut zurück. Als nun Cabral – der auch nach Kalikut wollte – sich bei den Kapverdischen Inseln vom Golfstromkreis (man nannte ihn zwar noch nicht so) gen West gedrückt sah, veranlaßte der deutsche Magister ihn, die Fahrt noch eine Weile fortzusetzen. Und so gelangte man zum ersten Male an die Küste Brasiliens.
1505/06 fuhren drei große Frachtschiffe für oberdeutsche Rechnung mit der Portugalflotte nach Ostindien. Kein Hamburger, kein Lübecker und Bremer war an Bord, wohl aber sogar ein Tiroler namens Balthasar Sprenger, und der schwäbische Faktoreischreiber Hans Mayer hat Nachrichten über die Reise hinterlassen, die uns leider über das erste Brasilunternehmen fehlen.
Karl V. aber verpachtete 1528 Venezuela an die Firma Welser. Das Haus schickte alsbald auf gecharterten Schiffen rasch zusammengelesene Trupps von Bergknappen, Landwirten, Handwerkern und Verwaltungsbeamten nebst einer gehörigen „Schutztruppe“ in jenes „Klein-Venedig“, wie die romanischen Enthüller die Küste wegen der Pfahldörfer nannten, in denen die Eingeborenen hausten. Doch verlegten sich die leitenden Stellen, anstatt auf eine rechte Siedlungs- und Verwaltungsarbeit, bald auf die Suche nach dem Goldland Dorado, von dem rund um den Atlantik gemunkelt wurde.
Das Privileg von 1528 ermächtigte die Firma, „das Land einzunehmen und das Volk zu Christen zu machen, taufen zu lassen und kais. Maj. zu untertänigen; neben diesen mögen sie gegeneinander ihren besten Nutzen schnifen, doch daß allwege kais. Maj. ihren Teil mit habe“.
Ohne Zweifel waren die geeigneten Golfstromtypen auf den Plan gelangt. Da war als erster der Konstanzer Ehinger, genannt Ambrosius Dalfinger. Er hatte als Prokurist in Augsburg den eigentlichen Anstoß zu dem kolonialen Abenteuer gegeben und war als Faktor und Minenaufseher mit nach Haiti gegangen, hätte dort auch erträglich leben können, folgte aber dem Wink der Chefs gen Coro, wo er die Vorbereitung leitete für die Siedler, die im Jahre 1530 mit Pferden, Geräten und Frauen auf beachtlicher Flotte unter Führung Hans Seißenhofers eintrafen und Maracaibo gründeten – womit sie den Mixern der Bordbars bis auf heute einen Titel in die Liste der Drinks geliefert haben.
Eben sind die Leute untergebracht, da beordert Dalfinger – nunmehr Statthalter – einen Trupp der mitgelandeten Landsknechte und marschiert mit ihnen in den Urwald. Irgendwo soll dort die goldene Stadt liegen, wo Menschen ganz aus Gold oder doch immerhin völlig mit Gold bedeckt umhergehen sollen. Die schlichte Feierhandlung, die der Kazike von Guatavita im Heiligen See einmal im Jahre beging, indem er sich, vorher geölt und mit Goldstaub gepudert, gehörig abspülte, war der Anlaß einer ungeheuren Aufbauschung geworden. El Dorado , das weiter nichts heißt als „Der Vergoldete“, wurde zum Märchenland massiver Goldbarren von Zentnerstärke. Dalfinger gelangte bis an den Magdalenenstrom, wo ihn die Pfeile der gestörten Eingeborenen erledigten.
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