Hans Leip - Garten überm Meer

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"Jeder singt seinem eigenen Vogel gemäß und selten ganz ohne fremde Federn", so lässt Hans Leip den Klappentext zu diesem herrlichen Gedichtband beginnen, dessen Gedichte sich zunächst Hamburg, dann seinem Umland und erst danach der weiten Welt widmen. Leip zeigt anschaulich, worum es bei Lyrik geht. «Man ist Eremit auf einer Insel. Schiffbrüchig oder emigriert. Und tröstet sich, so gut es geht. Auch mit Gesang. Wie damals auf der Himmelsecke Hamburg Jungfernstieg und im Lotsendorf Oevelgönne und früher und später zu Wasser und zu Lande.»-

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Hans Leip

Garten überm Meer

Neue kadenzen

mit einigen Füllstiftzeichnungen

Saga

Laß

fallen

den Anker

ruhloser Schweifer

tank flott dir Hafen und Ade!

Spuk

Wir von der Wasserkante

sind mitgesäugt

von dem, was unsere Mutter bedrang

als jemand das sogenannte

Seemannsgarn spann

Gern erwählen wir anderswo

beschaulicheres Gelände

als Heimatersatz, froh

aller Brandung entronnen zu sein

Doch gelegentlich äugt

um die Ecke im Flur

etwa aus altem Jakett eine Spur

Welthafenwiderschein

Und vom Gartengang

geistert das Urverwandte

wie Sirenengesang

und es blähn sich die Wände

gleich Segeln vor Yucatan.

Garten überm Meer

Verlorener Fetzen

in trostloser Flaute

Wo jemals war Land

Da sah ich durch den Wolkenschlitz

einen Garten

Einen Garten überm Meer

voll Hibiskus und Paradiesgeflügel

und neben Palmen, ein wenig blasser

auch Blumen wie daheim. Und ein Brunnen rann

mit frisch Wasser.

Dazu auf einem Lorbeerhügel

schwätzelte ein Stieglitz

Indes ringsumher

kaum, daß ich meinen Augen traute

kein Mangel war an smarten

Geschöpfen. Und mittendrin stand

und grad beim Sensenwetzen

lachend der Knochenmann.

Vorschau

Noch ist die Sonne wach

Wie lange noch

Trau einer dem Trostwort: Ewiglich

und daß eher als sie die Erde erkaltet

Falls nicht entgegen geringer Zuversicht

die Kernzerfallspielerei

sowieso gelegentlich ausholt zu letztem Krach

Aus ist es dann mit dem Geträume

von Menschlichkeit, aus mit der Gehirnakrobatik

und den Wundern der Technik

und dem Entwicklungsgeschrei

und dem dauernden Veraltet

und dem glitzernden Joch

der Liebe

Schade um Blumen, Vögel und Bäume

Ob dann aber irgendwo oder nicht

ein Hauch von dir übrigbliebe

Bis dahin: Nutze dich!

Mond

Mond

himmlisches Medaillon

Bei sichtigem Wetter

wurde viel Poetisches über ihn gesagt

Er blies als Liebes-Postillon

auf wandelbarem Horn

Engelleicht wurden Seufzer hinauf geschickt

Und als Kind hat man den Mann im Mond erblickt

Ob sonstwie bewohnt

und hinten oder vorn

wurde kaum gefragt

Wenn man sich nun hineindenkt

in einen Astronauten, der als Freiwilliger

sich verkapseln läßt in ein Mondgeschoß

schwerfälliger als ein Rhinozeros

staunt man wohl, wie sich das alles lenkt

Aber mit den Engeln, das war doch netter

und billiger.

Tradition

Tradition

Was meinen Sie

Für mich ist dies

der Hafen meiner Vaterstadt

Seine Sirenenrhapsodie

Ozeanbaß und Schlepperpfiff

rumorte in meinen Knabenschlaf

Hochgetakelte Drohung und das Verhüllte

der See, wo Gott sich mit dem Teufel traf

Das war der Einfluß, der mein Staubecken füllte

bis es überlief. Und daß an der Wand

im ersten Schuljahr der Sandtorkai hing

wo mein Vater mit den Frachten umging

Dazu, wie‘s ein Forscher ertiftelt hat

hieß mein Urahn Leif Erikson

Ihm weihe ich ein Buddelschiff

weil er Amerika fand

und es auf sich beruhen ließ.

Der Donnerkeil

Ich fand zur Nacht

einen Donnerkeil

auf der Heide über der See

Da saß mein Vorfahr

auf dem Hünenstein

Er machte mir Platz auf dem kalten Rand

und wir blickten über die See

und blickten auf das

was vormals war

Die See stand steil

wie ein Stundenglas

der Strandsand rann

tausend Jahr

Da sagte er, wie es drüben begann

und ich, was sie heut draus gemacht

Er nahm mir den Donnerkeil aus der Hand

und warf ihn weit in die See hinein

spie dreimal aus und entschwand.

Erster Mai

Nur einmal im Jahr ist Erster Mai

Als ich noch klein war

nahm mein Vater mich mit

Da waren wir alle in Sonntagskluft

Und Musik war dabei

und Fahnen, tschingbumms und Polizei

vorn und hinten je vier

hoch zu Pferd

Und wir gingen, ohne Tritt

tausendfüßig ins Grüne hinaus

in ein Gartenlokal. Und immer ritt

die Polizei mit. Da fragte ich bang

Warum sehn die so finster aus

Mein Vater hielt es der Antwort nicht wert

Er trank sein Bier

und lächelte an den Helmspitzen entlang

in die mailiche Luft.

Bärte

Alle meine Lehrer

trugen Bärte. Bartlos war damals unmodern

Den größten trug der Direktor

seiner Stellung gemäß, einen Vollbart

bis zum Hosenträgerschlauf

Auch der Musiklehrer bewies Eigenart

sein Bart glich dem Besen der Straßenkehrer

so kehrte er unsere Stimmen zuhauf

Indes die anderen Herren

sich auf Henri quatre, Wilhelm zwo oder fußfrei

hielten. Der Geschichtslehrer jedoch — nebenbei

bucklig, aber wir hatten ihn gern

war nur mit einem dürftigen Schnupftupf geziert

Vielleicht ahnte er, wie die Mode marschiert

hob auch oft die Römer hervor

oder eine Dame war mehr für glattrasiert

Wer weiß, was alles privat passiert

Jedenfalls, eines Tages war seine Lippe leer.

Des Menschen Los

Doch in beschränkten Bezirken

waltet das Leben

nicht kleiner

Immer ist es so groß

immer so gut

wie deiner

Schau gegeben

Krümme dich

wirf dich hin

oder steh gereckt

du bleibst dir doch selber im Licht

Im Schatten versteckt

fröstelt das Scherbengericht

Traue dem einfachen Sinn

Traue der täglichen Fahrt

Traue dem heimlichsten Wirken

Niemand bleibt aufgespart

als nur fürs eigene Los.

Fama

Neige dich

tönernes Haupt der Fama

Unrecht tut dein Leumund

dem Menschen, auszustreun

er sei geboren zum Leiden

Aus welchem Grund

wohl sollten die Götter ihm neiden

die weltfern seligen, nicht nur gut

sondern auch glücklich zu sein

Üb unverstaubteren Befund

Holde, lehr ihn, schuld

sei selber nur er; lehr ihn Geduld

und Heiterkeit! Denn alles beruht

doch nur auf ihm. Kein Höheres sagt

ja

wenn er sich plagt

oder nein, wenn, Liebste, wir beiden

der Erde uns freun.

Himmelfahrt

Wer feiert ihn nicht gern

den Tag der Himmelfahrt

wo man manch schweinern Viertel sieht

das schmuck an einer Stange hängt

getragen von zwei Herrn

Gefolgt von andern dichtgedrängt

so pilgern sie in die Natur

und singen wacker Lied um Lied

und finden ein Lokal

Da teilt der scharfe Stahl

die rauchgeselchte Saftigkeit

Man ißt, man trinkt, der Mund wird breit

der Magen weit

Des Menschen Sinn lechzt unverwandt

ein Übermaß zu füllen

Doch wer wird je enthüllen

ob dennoch nicht, so dunstverhängt

der Himmel offenstand.

Hafen

Grandiose Einheit der Kunst

Welthafenscenerie, patent

gemalt mit Allerzonendunst

musizierend am Herzen der Hansestadt

das, Ex- und Import pumpend

gebaut ist wie ein Überseekontor

Und all das enstand auf Sümpfen und Moränen

Die Galerie der Landungsbrücken

reicht fast für ganz Bayern und Hindustan

Dahinter klamaukt die Reeperbahn

Nepp und Matrosenhimmel. Doch davor

Fähre um Fähre rücken

stumm und grau die Schichten der Arbeit

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