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Immer hat auch die Schöne Literatur eine Rolle im Getriebe der Staatsmaschinen gespielt, ohne daß die Hebeldreher und Heizer es ahnten, so wenig sie die wahre Golfstromfeuerung ahnten. So war die eigentliche Bibel der Konquistadoren der Ritterroman „Amadis“. Im Jahre der Entdeckung Amerikas bearbeitete der Spanier Montalvo drei schon vorhandene Bücher und fügte ein viertes hinzu. Die Ursprünge liegen im Keltischen, im Schatten des Golfstroms, in der Irischen See auf der Waliser Insel Anglesey. Dort wurde der Typ des ritterlichen Liebhabers geprägt, der bis heute durch kein anderes Ideal zu ersetzen war, es sei denn etwa durch ... Tarzan, dessen Abenteuer sich ähnlich als buchgängig erwiesen wie jene des Amadis und auf ähnlicher „Gebärde“ beruhen, auf der Sucht, muskulöse Untaten mit bonbonfarbenen Flören zu kaschieren. Im Laufe des Jahrhunderts der „Landnahme“ wuchs die Bändezahl des Amadis auf vierundzwanzig und lockte als positives Ergebnis den Spott eines Cervantes in die Weltliteratur. Die Redewendungen der Militärführer und Kriegsberichterstatter seit Bernal Diaz, dem wackeren Feldwebel des Cortez, wirken, zumal wenn es sich um Dinge wie Tapferkeit, Ruhm, Ehre und Treue handelt, wie direkte Entlehnungen aus dem Amadisschwulst, der sich in zahllosen Übersetzungen über das ganze Golfstromgebiet verbreitete und bis in die heutige amtliche Journalistik hinein gespenstert.
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Obwohl die Spanier eifersüchtig ihre angemaßten Rechte auf die neuen Entdeckungen zu monopolisieren suchten und keine Gewalt scheuten, andre von den Ausbeutungen fernzuhalten, wurde der Golfstrom bald die Straße der Freibeuter aller Nationen , die Helgen für Weitfahrschiffe besaßen. Was hatte es der grausamen Saugpumpe Spanien viel genützt, sich mit den Metall- und Steinwerten der unglücklichen Kariben, Azteken, Tolteken und Mayas die Staatssäckel zu füllen? Es war alles in den Wind gegangen, vergeudet nicht einmal in Denkmalen üppiger Baukultur, sondern verschlampt im Negativsten, was es gibt, in Krieg und Massenmord.
Mag sein, daß der Golfstrom magisch die Schätze zurückgeschluckt hat, zu deren Raub er verführte.
1524 erschienen die Franzosen in Westindien selber, geschickt von Franz I., um zu sehen, was mit Liebe oder Gewalt abzubeißen sei vom vollen Tisch der Spaniolen. 1538 raubten sie Habana aus, jene nahrhafte Gründung am „Ausfall“ des Golfstroms, in der lange Zeit Diego Colon, der legitime Sohn des Entdeckers, den ererbten Titel Admiral von Indien geführt und als Statthalter und Vizekönig eine Pfründe verzehrt hatte, indem die Proviantlager, Ausbesserungswerften und Steuereinnahmen ihm unterstellt waren. Auch warfen gelegentliche Razzien in den Hafenkneipen und Bordellen der Behörde manchen Beutel geschmuggelten Goldstaubs und manches unverzollte Schmuckstück ab, das sich den skrupellosen Raubfingern der Soldateska selbst in den Totengruben der indianischen Heiligtümer und Opferstätten nicht hatte entziehen können. Diego starb, kaum fünfundvierzig Jahre alt, in einem spanischen Hospital an der Lues.
Es soll hier angefügt werden, daß Fernando, der Illegitime, nichts geerbt und empfangen hatte an Würden außer dem schon im Welken begriffenen Adelstitel Don. Er hatte mit dreizehn Jahren den Vater auf der letzten Reise begleitet. Anstatt zu nehmen, sammelte er später die wahren Schätze jener Zeit, die Dokumente zur Geschichte der Entdeckungen, die er dann nicht dem Staat, sondern den Dominikanern vermachte.
Nachdem die französischen Marodeure die ganze, aus bestem Pitchpine gebaute Ansiedlung der späteren Zigarrenstadt samt allen Slips, Budiken, Werften und Zollgebäuden niedergebrannt hatten, legten sie längs der Golfstromküste eigene Raubnester und Niederlassungen an, was den Spaniern nicht wenig mißfiel, hatten sie doch immerhin ein Privileg des Papstes vorzuweisen – Kaufpreis sieben Millionen Goldpeseten – für sämtliche Landentdeckungen nördlich des Amazonas, woran sich zu halten die übrigen Nationen genau so wenig Lust zeigten wie heute in gegebenen Fällen bei den Weisungen der UNO.
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Hat das Christentum versagt? Die Frage müßte wohl lauten: Haben seine Lehrer und Verweser versagt? Der spanische Dominikaner Las Casas, einer der aufgeklärtesten Menschen seiner Zeit, dem die menschliche Kreatur erbarmenswert schien ohne Unterschied des Glaubens oder vielmehr der Glaubensformeln, sah empört, wie die Neue Welt von Raubmördern, Folterknechten, Steuereinnehmern und Sklavenhaltern besetzt wurde. Er sah auch, daß die Priester, die ihnen beigesellt wurden, allzusehr Angestellte des Staates oder zumindest des Kirchenstaates waren, um mildernd genug einzugreifen. Oft bestand ihre Hirtentätigkeit nur darin, die Zwangsvollstreckungen zu segnen und den gemarterten Delinquenten – denen weiter nichts vorzuwerfen war, als daß sie keine Goldschätze zu verraten hatten – ein Lippenbekenntnis wenigstens zur goldenen Glorie des Heilandes abzuzwängen und, wenn nicht anders, den noch zuckenden Leichnam mit Taufwasser zu besprengen, in der befriedigenden Überzeugung, dem Himmel wieder eine Seele gerettet und das Tagespensum an guten Werken absolviert zu haben. Einer der Heiden hatte, schon unter Bewachung am Taufbecken angetreten, den Mut gefunden zu fragen, ob er denn seine neuen „Freunde“ in dem ihm in Aussicht gestellten Paradies wiedertreffen würde. Auf das brusttönende „Aber gewiß doch!“ soll er vorgezogen haben, sich ungetauft schlachten zu lassen. Der schlicht menschliche Betrachter wird gern bereit sein, die christlichen Symbole zu achten, und sie jedem nach Gebühr gönnen wie auch die göttliche Gerechtigkeit, die sicher nicht verfehlen wird, jene armen Seelen aller Kolonisationsopfer beim Jüngsten Gericht geschlossen gegen ihre Peiniger samt deren Ordensassistenten auftreten zu lassen.
Die Übersättigung der karibischen Provinzen mit Priestern hat übrigens in den Jahrhunderten ihren Rückschlag erfahren. Noch heute kommt in Spanien auf je neunhundert Einwohner ein Geistlicher, etwa soviel wie in Westdeutschland. In Mittelamerika ist es einer auf fünftausend.
Indes in Übersee die Ausbeutung und Ausrottung der eigentlichen Besitzer und ihr Ersatz durch afrikanische, brutal entheimatete Neger einer ozeanischen Sättigung der so überheizten wie gedrosselten Berserkernatur des Abendländers zustrebte, barsten auch in den Mutterländern die Ventile.
Die Bartholomäusnacht zu Paris ist nur ein Beispiel dafür . Der französische Admiral Coligny hatte in spanischen Gefängnissen die Inquisition und ihre Lenker hassen gelernt. Er wurde nach seiner Flucht Kalvinist und trat an die Spitze der von der Schweiz ausgegangenen Bewegung in Frankreich. Deren Anhänger erhielten den Spottnamen „Eidgenossen“, der französisch verbalhornt wie „Ügnotten“ klingt, was man gebildet „Hugenotten“ schreibt. Die Geschichte wandelte die Beschimpfung in einen Ehrentitel.
Nun war Coligny ein Haudegen wie andere und gedachte die christliche Nächstenliebe und die Achtung vor dem Eigentum Schwächerer keineswegs in die Politik zu übernehmen. Er ermaß die Gelegenheit, dem verhaßten spanischen Nachbarn, der so wenig Vorbildliches mit den ergatterten Ländern anzufangen wußte, den Raub abzujagen und – zum Ruhme Frankreichs – die fanatischen Greuel der Kirche drüben durch kalvinistische Strenge zu ersetzen.
Gerade regierte in Frankreich eine Frau. Deutschland hat derlei nie erlebt, ohne doch besonders betrübt darüber sein zu müssen. Immer haben sich jene europäischen Herrscherinnen als wahrhaft golfische Verkörperungen erwiesen. (Als deine Inkarnation, Tlaloca.) Meistens war der Strudel der Geschichte mit gewaltigem Kochlöffel umgerührt und mit magischem Kamme durchfurcht, wo Weiber auf dem Throne saßen.
Doch ist die Frage, ob es nicht einer natürlichen Ordnung gemäß sei, Völker – wie bei den vorbildlichen Bienen – durch Königinnen zusammenzuhalten. Es scheint, daß gerade England damit gute Erfahrungen gemacht hat.
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