Da sind die bergischen Pannekokenhüser eine wahre Alternative! Pfannekuchen, die rheinische Pizza, gibt es in allen Lebenslagen: Süß, salzig, mit Speck oder Marmelade, mit Puderzucker oder Kräuterbutter, für jede das ihre und für mich gar ein Bier am helllichten Tag.
Lilo wirbelte durch die Türe herein und der Wind blies sie sogleich vor meinen Tisch.
„Schon bestellt? Mach nur, geht auf Kurskosten, du bist eingeladen.“
Sie schüttelte sich aus ihrem Mantel und die regenfeuchten Löckchen aus der Stirn, warf das Kleidungsstück auf den freien Stuhl neben uns und ließ sich mit einem leichten Lachen auf die Bank fallen.
„Haut dich das nicht um?“
„Was?“
Sie deutete auf mein Weizenbier und grinste die herbeigeeilte Bedienung listig von unten herauf an: „Einen Kaffee und die Karte! So auf nüchternen Magen?“
„Gibt mir das wahre Ferienfeeling sowie einen Hauch von Verruchtheit!“
„Ts-ts!“ Sie berührte ihre Brille, welche sie aus der Tasche gezogen hatte, als könne sie dadurch leichter die diversen Pfannekuchensorten auseinander halten. „Was isst du? Der mit Brombeermarmelade ist fabelhaft, gibt es nicht jeden Tag.“
„Brrr! Ich nehme einen Vollkorn mit Thunfisch.“
„Echt?“ Sie blinzelte mich über die Karte hinweg an. „Wie verdaust du das am frühen Morgen?“
„Es ist halb elf!“
„Na gut.“ Lilo hob den Blick und schaute die Kellnerin, die erwartungsvoll an unseren Tisch getreten war an. „Einen mit Thunfisch und ... gibt es heute den mit der Brombeermarmelade?“
„Natürlich, Salat dazu?“ Die Kellnerin schaute mich fragend an und Lilo nickte energisch: „Aber sicher doch, das ist ja fast schon Mittagsessenszeit.“ Sie lehnte sich zufrieden zurück.
„Gut-gut! Meine Kleine freut sich schon total auf das Wochenende mit dir! Wann fangen wir Freitagabend an?“
„Ich würde empfehlen, um sechs Uhr, dann kommen die Mädchen früh ins Bett und die Erwachsenen können nach dem Vorgespräch noch etwas unternehmen.“
„Hm – ja gut, obwohl – so klein sind die auch nicht mehr – die Gruppe rekrutiert sich hauptsächlich aus den siebten und achten Klassen. Ach – ich habe noch ein Problem.“ Sie runzelte die Stirne und schaute nachdenklich aus dem Fenster. „Kuck mal, das ist Peter mit der kleinen Klapperkiste vom ‚Grünen Schwan’, den kennst du noch nicht.“ Sie wies auf einen französisch stämmigen Kleinlaster, der schräg gegenüber vor einem Metzger parkte. „Ob die jemals am Frauenabend Schnitzel braten? Meinst du, die Kollegen deiner Freundin finden für alle ein Alibi heraus? Das klang doch eigentlich ganz nett verdächtig gestern Abend, oder?“
„Verwandt ist ja nur Maggi mit der Toten. Was war dein Problem?“
„Aber Schulden hatte doch das Kollektiv bei ihr.“
„Wer weiß, wie wenig das war? Und dann hätten sie doch schon ewig zuvor zuschlagen können, schließlich gibt es die Kneipe bereits einige Jahre, oder?“
„Ach, war doch auch nur Spekulation, ich glaube, die sind viel zu harmlos dafür, schau dir nur seinen sanften Schlackergang an!“ Sie lachte und wies auf Peter, der nun gerade aus dem Laden trat und sich suchend umblickte. „Ja, apropos harmlos: Wir haben da ein Mädchen, das absolut keine weibliche Bezugsperson für den Einführungsabend mitbringen kann. Ihre Mutter ist früh verstorben, der Vater alleinerziehend, keine Tante, keine Oma, zumindest nicht hier in der Stadt.“ Sie schaute mich fragend an. Und während ich mal wieder über den radikal-stümperigen Schatten der üblichen Wen-Do-Ideologie sprang, schlug Peter die Lieferwagentüre zu und knatterte leise über den Platz davon.
Natürlich sind unsere Kurse nur und ausschließlich für Frauen und Mädchen gedacht, dürfen nur Frauen selbige geben und bei Strafe eines lila Höllenfeuers keinem Mann jene Schläge verraten, die heute in jedem Selbstverteidigungsschinken zu finden sind!
Das Dilemma ist: Seit mehreren Jahren beziehen einige Kolleginnen und ich, ich bilde mir gar ein, dass ich das erfunden hätte, die Mütter oder sonstigen weiblichen Bezugspersonen der Mädchenkurse unter 14 Jahren verstärkt in diese mit ein. Ich möchte nämlich, dass der doch immerhin heikle Diskurs über Gewalt, die von nahen Personen ausgehen kann, Sexualität, Abgrenzung und Selbstsicherheit auch nach dem zweitägigen Kurs in den Familien weiter geht und eine Art Langzeitwirkung entfaltet. Ich möchte, dass der Diskurs zwischen den Generationen gefördert wird, die Solidarisierung zwischen den weiblichen Personen aus allen Lebensaltern.
Ich habe die Vorstellung von gegenseitigem Verständnis: Der spätabendliche Discoausflug der Tochter, das späte Wochenendheimkommen eines Mädchens haben nun mal immer noch einen anderen Charakter als jene ihrer Brüder. Die muss der Papa nicht um zwei Uhr nachts von der Party abholen und die brauchen auch kein extra Taxigeld für die Disco oder im Extremfall ein Ausgehverbot bis ins zwanzigste Lebensjahr!
Doch für alle Beteiligten ist es wichtig zu erkennen, dass dergleichen Ungerechtigkeiten nicht der Autorität oder Gemeinheit der Eltern entsprungen sind, Mamas moralinsaurer Haltung und Papas Besitzstreben an seiner Tochter, sondern ihren Ängsten, die den Familien aufgedrückt werden durch eine gewalttätige Gesellschaft, nächtliche Vergewaltiger und schlechte bis keine Nahverkehrsbedingungen nach einundzwanzig Uhr oder gar am Wochenende, insbesondere auf dem Land, in der Provinz und in Kleinstädten wie der meinen in der Eifel oder derjenigen Rosis im Bergischen Land.
Deshalb also müssen in meinen Mädchenkursen Mütter, Tanten, Omas oder ältere Schwestern, engagierte Lehrerinnen oder Jugendzentrumssozialarbeiterinnen obligatorisch am Vorabend eines Mädchenkurses sowie in seinen letzten drei Stunden mit antreten. Da bringen ihnen dann die Mädels ein paar der fiesesten Tritte und Kniffe bei, diskutieren oder agieren gar mit ihnen erfahrene Rollenspiele aus dem Kurs und haben den großen Spaß, wenn auch die erwachsenen Frauen mal laut „Arschloch“ brüllen und versuchen, ein Brett durchzuhauen!
Nun führt dieses ganze edle Konzept die engagierte Trainerin automatisch näher an die Familien heran und sehr oft an die dazugehörigen Väter und Brüder. Da muss halt mal der kleine, sonst unbeaufsichtigte Brudersäugling am Sonntagnachmittag mitkommen, und: Horribile dictu: Da gibt es seit ein paar Jahren vermehrt die allein erziehenden Väter...! Was tun, wenn wir doch keine Männer zulassen in das weise Reich des Wen-Do?
Was ist schlimmer, der Geheimnisverrat oder ein Mädchen, das alleine in diese Riesenrunde aus Frauen und Mädchen tritt? Einem Kind die Erkenntnis zumuten, dass es ein Außenseiter ist, dessen einzige, weibliche Vertrauensperson die Barbiepuppe oder das Meerschweinchen ist? Oder über den radikalfeministischen Schatten springen und in jedem X-ten Mädchenkurs den einen allein erziehenden Vater zur Runde zuzulassen?
Was Außenseiter sein in der Kindheit bedeutet, durfte ich selbst von der Pike auf studieren. Nichts bereitet eine Frau auf das erwachsene Lesbenleben so ausgezeichnet vor wie eine uneheliche Kindheit in den fünfziger und sechziger Jahren unserer Republik! Da änderte auch der Euphemismus „außer-ehelich“ nichts daran: Für immer klingt in meinen Ohren der Satz einer Lehrerin an der Düsseldorfer Theodor-Fliedner-Schule in Kaiserswerth: „Ein uneheliches Kind gehört nicht aufs Gymnasium!“ Möge sie sich auf ewig unruhig in ihrem Grabe wälzen! Eingemeißelt aber auch im Gedächtnis das abrupte Aufstehen meiner Mutter danach: „Komm, wir gehen!“ Möge sie auf ewig im Paradies lustvoller Frauenwelten weilen, denn aufgeregt flatternd wie eine graue Kreuzung aus Spitzmaus und Hühnervogel eilte ihr die fromme Direktorin vor aller Augen hinterher: „Ich möchte mich öffentlich für den Ausrutscher unserer Kollegin entschuldigen! Ihre Tochter ist nicht gerade eine Leuchte in Mathematik, doch wir haben sie gerne hier! Kommen Sie bitte zurück!“ Auch ihr ein Blumenstrauß ins Grab gelegt, so, wie sie solidarisch am Grab meiner mutigen Frau Mama dann Jahre später stand!
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