MARTINA SCHÄFER
Der Gewalt keine Chance!
Ein Leitfaden zur Prävention
Für Helga und Gudrun, weil sie als Mädchen nie eine Chance hatten.
Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme
Schäfer, Martina
Der Gewalt keine Chance! Ein Leitfaden zur Prävention
ISBN:
Texte: © Copyright by
Martina Schäfer
Multergasse 35
CH-9000 St. Gallen
schaefer.m52@bluewin.ch
http://www.martinaschaefer.ch/
Alle Rechte vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Gewalt hat ein GesichtSexuelle Gewalt in unvermeidbaren Gruppen – Familie, Schule, Ausbildung, Arbeitsplatz
1.1 Mein Parfüm und dein Geruch oder: Wie weit reiche ich? Von Raumkapseln, Flügelspannweiten und Duftwolken
1.2 Mehr als eine «Aura»: Die «Wolke» einer Frau reicht meterweit!
1.3 Meine Haut gehört mir oder: Wer liebt, lässt los
1.4 Von Leuten ohne Feeling und Energiesaugern: «Zombies» und «Vampire» oder: Was haben Blicke, Witze, dumme Sprüche und ewiges Herumrechten mit Gewalt zu tun?
1.5 Das habe ich gar nicht gewusst. Von Zuschauern, ängstlichen Müttern und anderen Zeugen
1.6 Halt! Bleib weg! Fass mich nicht an! Zehn Regeln zur Selbstverteidigung oder: Wann man einem Zombie die Nase einhaut und einem Vampir durchs Knie schlägt
2. Gewalt hat viele Gesichter
2.1 Machtspiele oder: Was hat das eigentlich mit Sexualität zu tun?
2.2 Es macht doch Spaß, Schwächere zu schlagen
2.3 Ein Bankraub ist zu anstrengend oder: Raubzüge an der Seele
3. Wenn die Gewalt «Gruppe» heißt Gewalt von rechtsradikalen und ähnlichen Gruppen
3.1 Motive und Gründe von Männern und Frauen, solchen Gruppen beizutreten
3.2 Wir gehören dazu, die anderen nicht
3.3 Wir sind besser als die anderen
3.4 Früher war alles besser – wir sind es heute
3.5 Wir sehen alle gleich aus
3.6 Wir denken nicht, wir fühlen
3.7 Wir brauchen Platz, die anderen sollen raus, oder: Wer Achtung hat, lässt rein
3.8 Ein Feigling ist, wer es weitersagt, oder: Mitläufer, Mitschweiger und andere Schläger
3.9 Und über allen schwebt ein «Führer»
3.10 Wir arbeiten rund um die Uhr
4. Wenn die Gewalt «Guru» heißtGewalt in religiös-fundamentalistischen Gruppen und Sekten
4.1 Wie kann es geschehen, dass man sich plötzlich in einer Sekte wiederfindet?
4.2 Der direkte Draht oder: Warum der Guru ein besserer Mensch ist
4.3 Sehnsucht heißt das alte Lied oder: Fliegenfänger der Verführung
4.4 Wes Lied ich dann sing, des Brot ich ess, oder: Wie schön dazuzugehören
4.5 Wie man selbst ein Zombie wird oder: von der Auflösung der eigenen Haut und der Zerstörung der Raumkapsel
5. Wie man die «Masken der Macht» erkennt und durch einfache Fragen abreißt
5.1 Der Verführer
5.2 Der Verkünder
5.3 Der Vorbeter
5.4 Der Dieb
5.5 Der Anarchist
5.6 Der Blender
5.7 Der Terrorist
Fußnoten
In den letzten Jahren sind einige Bücher darüber erschienen, wie man sich gegen tätliche Angriffe – insbesondere als Frau oder Mädchen gegen sexuelle Gewalt – zur Wehr setzen kann.
Doch mittlerweile haben nicht mehr nur Frauen Angst, überfallen und vergewaltigt zu werden. Auch Männer, männliche Jugendliche und Jungen zittern vor der zunehmenden Brutalisierung der Gesellschaft; ausländische und behinderte Menschen fürchten die rechtsradikale Straßengewalt. Schon die Kinder in den Schulen leiden unter Schlägereien und Erpressungsversuchen durch ältere Schüler – übrigens auch durch Schülerinnen! – oder Schulhof-Gangs.
Verstört und ungeheuer hilflos verfolgt man die unglaublichen Angriffe bewaffneter Jugendlicher auf ihre Lehrer und Mitschüler; das Wort «Frontalunterricht» hat mittlerweile eine ganz eigene, makabre Bedeutung gewonnen: Es herrscht «Krieg» – nicht allein an der sexuellen Front, wie es die Frauenbewegung seit den Siebzigerjahren beklagt, sondern ganz allgemein in Klassenzimmern, Supermärkten, Vereinslokalen und Einbahnstraßen.
Wie der fundamentalistische Terror fehlgeleiteter Fanatiker und die erschütternden Gewalt- und Selbstmordszenarien in abgeschotteten Sektengemeinschaften sind die Morde an den Schulen die Eisbergspitze einer nach und nach immer gewalttätiger werdenden globalen Gesellschaftsstruktur.
In vielen Abhandlungen seit dem Beginn des Medienzeitalters, als die ersten Fernsehapparate auf stakeligen Beinen neu im Mittelpunkt der Nachkriegswohnzimmer standen, wurde die Verantwortlichkeit der Medien für das Herabsetzen der Hemmschwellen immer und immer wieder beschworen. Seit Internet und Videospiele durch die Kinderzimmer geistern, weist man, zu Recht, auf deren Gefährlichkeit hin. Auch die Erreichbarkeit des einzelnen allein durch die täglichen Nachrichten bewirkt ganz sicherlich eine Art schleichender Veränderung in den unbewussten Einstellungen zu Gewalt und Gewaltanwendung, der sich auch Menschen kaum entziehen können, die keine brutalen Videospiele lieben oder Schlächterfilme anschauen. Es geschieht etwas mit uns, wenn wir aus den Nachrichten über das soundsovielte Selbstmordattentat erfahren; die suggestiven Bilder der anfliegenden Jets am 11. September 2001 bewirken eine Art Gewöhnung – Ästhetisierung der Gewalt sagen manche Intellektuelle, was letztlich eine fatale Beschönigung ist –, die meiner Meinung nach selbst im pazifistischsten Gemüt Hemmschwellen gegenüber der Akzeptanz von Gewalt niederreißen.
Betrachtete man bis vor etwa zwanzig Jahren Gewalt und Machtmissbrauch durchaus noch als etwas von Menschen Verursachtes, weshalb man davon ausging, dass die Gewalt durch Menschen auch zu verhindern sei, so bekommt die Gewalttätigkeit heutzutage allmählich etwas Unausweichliches. Sie wird zu einer Art Naturereignis, einer Katastrophe, gegen die man eigentlich nichts machen kann, der man hilflos ausgeliefert ist, deren Ursachen man vielleicht sogar erforschen und benennen kann, aber gegen die man letztlich, wie bei einer Sturmflut oder einem Meteoritenabsturz, nichts ausrichten kann.
In den frühen neunziger Jahren beklagte ich einmal gegen über einer Isländerin die Gewalttätigkeit ihrer deutschen Schwester, die eine sektenartige Gemeinschaft führte, woraufhin ich zur Antwort bekam: «Das ist wie bei einem unserer Vulkanausbrüche – da können wir nichts machen –, das ist einfach so.»
Dieser Vergleich hat mich seither nicht mehr losgelassen, denn sosehr ich persönlich die Freundschaft dieser Isländerin schätzte, wollte es mir einfach nicht in den Kopf, dass man sich nicht sehr wohl auch gegen die von Menschen gemachte Gewalt zur Wehr setzen könne, dass es Möglichkeiten gibt, die Ursachen für menschliche Gewalttätigkeit herauszufinden und die Gewalttätigkeit einzuschränken.
Wie aber können sich einzelne Menschen vor Gewalt schützen, ohne selbst – z. B. in Bürgerwehren oder durch private Bewaffnung – am Rad der Gewalt mitzudrehen?
Lässt sich Gewalt, egal auf welcher Ebene, eventuell schon im Vorfeld erkennen und somit beeinflussen?
Читать дальше