Hermann Profer, der Tuxer Schäfer
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen 3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2022
© 2022 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: © Harry Kübler – stock.adobe.com
Bildnachweis: Alle Fotos im Innenteil stammen aus dem
Privatarchiv der Familie Egger.
ISBN 978-3-475-54911-3 (epub)
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Prolog
Mein Großvater Hermann Profer
Mein Großvater Hermann Profer wurde am 31. Mai 1909 als siebtes Kind des Valentin und der Marianna Profer geboren. Sein Vater war Hausierer und Marktfahrer. Die Familie war ständig unterwegs, wechselte oftmals den Wohnsitz, bis sie sich schließlich 1913 in Innsbruck-Hötting niederließ.
Zu dieser Zeit wohnten in Hötting die Zuwanderer und Arbeiter, die sich im nahegelegenen Innsbruck keine Wohnung leisten konnten. Der Ort hatte nicht den besten Ruf. Man nannte Hötting die „Koatlackn“, die Kot-Drecklache. Die Höttinger kamen aus der Arbeiterschicht, man erkannte die dort lebenden Menschen an ihrem ausgeprägten Dialekt und dem lauten Umgangston.
Das Schicksal meinte es nicht gut mit seiner Familie. Im Jänner 1916 starb Mutter Marianna nach der Geburt des neunten Kindes Frieda. Zu dieser Zeit waren Vater und Bruder im Weltkrieg. Sein Bruder Wilhelm fiel 1916.
Nach dem Krieg starb 1921 auch sein Vater an Tuberkulose. Weder die älteste Schwester Mina noch eine der in Innsbruck-Hötting ansässigen Tanten konnten die Kinder ernähren. Die älteren Geschwister zogen nach Südtirol und arbeiteten im Beruf ihres Vaters. Die fünf kleineren Geschwister wurden getrennt und in verschiedene Waisenhäuser in Nord-, Ost-, und Südtirol eingewiesen.
Hermann bei der Firmung
Hermann wurde nach seinem 12. Geburtstag und unmittelbar nach seiner Firmung allein in ein Pflegeheim in Neustift im Stubaital überstellt.
Alle Neuankömmlinge wurden nach ihrer Ankunft für ein paar Wochen eingesperrt, damit sie sich an die neue Umgebung gewöhnten und das Heimweh abklingen konnte. Hermann war mit harter Arbeit und in Freiheit aufgewachsen und fand sich im Pflegeheim nicht zurecht. Zu stark waren die Erinnerungen an die verstorbenen Eltern, die Tanten und Geschwister. Im Pflegeheim nannte man ihn den „Koatlackler“.
Er fasste allen Mut, holte den rupfenen Sack mit seinen Habseligkeiten und lief so schnell er konnte davon. Er wusste, dass er mit harten Konsequenzen rechnen musste, wenn er wieder in das Pflegeheim zurückgebracht werden würde. Er floh auf Bergpfaden ins Pinistal, weiter über das Padasterjoch und dann hinunter ins Gschnitztal.
Am nächsten Morgen kam Hermann nach Steinach am Brenner, einen Ort, mit dem er vertraut war. Mit seinem Vater war er öfters am Steinacher Markt gewesen. Hermann kannte so manchen Marktfahrer. Er hoffte, Arbeit zu finden oder einen Verwandten oder Bekannten zu treffen, der ihn aufnahm. Auf gar keinen Fall wollte er zurück ins Pflegeheim. Doch er hatte kein Glück.
Hermann zog weiter ins hinterste Schmirntal, bis zur Kluppenalm, wo er beim Oggeneuner Bauern als Schafhüter bleiben konnte.
Am letzten Samstag im September 1921 gingen die Bauern zum alljährlichen Matthäusmarkt nach Steinach am Brenner. Dort verkauften sie ihr gezüchtetes Vieh, die über den Sommer hergestellten Käselaibe und den Graukäse. Auch der Oggeneuner Bauer trieb seine Kühe, Ziegen und Schafe von der Alm ins Tal und weiter zum Markt. Hermann begleitete ihn. Der Bauer teilte dem Jungen mit, dass er ihn im Winter nicht durchfüttern könne. Hermann war verzweifelt und hatte Angst, wieder in das Pflegeheim eingewiesen zu werden.
Auch die Hintertuxer Bauern gingen alljährlich über das Tuxerjoch zum Matthäusmarkt. Hintertux gehörte zur politischen Gemeinde Schmirn, der Steinacher Markt war auch ihr Jahreshöhepunkt und Umschlagplatz für Vieh und Käse. Maria, die Schwester des Hohenhauser Bauern Thomas Profer ging dieses Jahr alleine über das Joch zum Steinacher Markt. Sie sah den Oggeneuner Bauern mit dem völlig verwahrlosten Buben an seiner Seite. Der Bauer versuchte ihn loszuwerden, bot ihn jedem an, der vorbeikam, drückte seinen Oberarm, um zu demonstrieren, wie kräftig der Bub sei. Niemand wollte ihn haben. Der Bub wurde gehandelt wie ein Stück Vieh.
Maria Hohenhauser
Maria entschloss sich, Hermann nach Hintertux mitzunehmen. Vielleicht aus Mitleid, vielleicht auch wegen ihres Bruders, der ebenso wie sie ledig und kinderlos war. Dem Hohenhauser Bauern fehlte schließlich ein Hofübernehmer.
Mit seiner Ankunft in Hintertux am 24. September 1921 änderte sich Hermanns Leben grundlegend. Maria und ihr Bruder Thomas gaben ihm Halt und ein Zuhause. Sie wurden seine Ersatzeltern. Das Geschwisterpaar erzog Hermann und prägte sein Leben maßgeblich. Aber auch für die Hohenhauser war Hermann ein Segen. Über Nacht war ein möglicher Hofübernehmer ins Haus gekommen.
Da Hermann den bekannt-derben Höttinger Dialekt sprach, nannten ihn die Hintertuxer abfällig den „Koatlackler“. Obwohl mein Großvater schnell den Hintertuxer Dialekt angenommen hatte, blieb ihm der Schimpfname jahrzehntelang erhalten.
In den Sommermonaten der ersten Jahre arbeitete Hermann als Schafhüter auf der hoch über Hintertux gelegenen Schafalm. In den Wintermonaten erlernte er das Melken, die Abläufe und das Arbeiten am Hof. Aus dem Schafhirten wurde der Hohenhaus-Knecht.
Der Autor Hermann Holzmann kam aus Steinach am Brenner, also aus jenem Ort, wo die Geschichte meines Großvaters ihren Anfang nahm. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er die Situation am Steinacher Markt selbst miterlebt und später als Inspiration für sein Buch gesehen. Hermann Holzmann reiste nach Hintertux, wo er auf Simon Mader, den Kössler Bauern, traf. Er wollte sich alle Orte des Geschehens ansehen.
Während der langen Wanderungen erzählte der Kössler Bauer dem Autor generationenübergreifende Gegebenheiten der alten Hohenhauser Generation und die Familiengeschichte bis zur damaligen Gegenwart Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Und dann entstand die unglaubliche Geschichte des Tuxer Schäfers.
Mein ganz besonderer Dank geht an J. G. Fankhauser aus Mayrhofen für die Recherche zu der Familiengeschichte der alten Hohenhauser.
Hermann Egger
Der Hohenhaus-Hof in Hintertux
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