„Vielleicht bringen sie dich nicht um“, sagte ich. „Was ist, wenn sie dich stattdessen mitnehmen?“
Sie erstarrte, hatte offensichtlich Angst. „Ich … ich kann mich nicht da unten verstecken …, während die anderen uns verteidigen.“
„Du versteckst dich nicht, du beschützt uns.“ Ich wollte sie anbrüllen, damit sie mich verstand, aber ich hatte Probleme mit dem Sprechen, der Hals schmerzte so sehr. Ich griff nach ihren Armen und schüttelte sie, bis sie mich überrascht ansah. „Wir brauchen dich. Wenn du nicht mitkommst, bleibe ich hier bei dir.“
„Nein, bitte“, bettelte Pilar mit einem Schluchzen, geweiteten Augen und einem Blick auf Rocio. „Du kannst mich nicht allein lassen.“
Jaz schüttelte den Kopf. „Wenn du stirbst und Cristiano überlebt, dann wird er mich persönlich umbringen.“
„Also, wo meinst du, will er seinen beharrlichsten Kämpfer haben?“
„Bei dir.“ Jaz reckte das Kinn. „Okay. Lasst uns gehen.“
Wir gingen durch die Tür in die Garage und die Stufen in den Keller hinab. An der Tür zum Panikraum zitterte ich so heftig, dass es schwer war, den Daumen auf den Fingerabdruckscanner zu legen. Jaz übernahm es. Innerhalb von Sekunden leuchtete er grün auf und das Schloss öffnete sich.
Ich ließ Pilar und Jaz den Vortritt. Nach der fast kompletten Dunkelheit des Hauses blendete mich das helle Licht im Panikraum und ich sah nur noch dumpfe, graue Schatten. Ich knallte die Tür hinter mir zu und der Schlag hallte durch die komplette Stille. Selbst Pilar hatte aufgehört zu weinen. Eingeschlossen in einem Keller, legte ich die Stirn gegen die kalte Stahltür.
Cristiano.
Selbst in seiner Abwesenheit rettete er mich noch. Wenn ich keine Selbstverteidigung gelernt hätte, würde ich hier jetzt nicht stehen. Aber wo war er nur?
Ich muss wissen, dass du dich selbst retten kannst und zu mir nach Hause zurückkommst , hatte er mir einmal gesagt.
Ich war zu Hause. Ich hatte mich selbst gerettet.
Und er?
Mein Atem stockte.
„Cristiano ist tot. Du hast nichts mehr, wofür du kämpfen kannst. Schlaf.“
Höhnische Worte, während ich in der Gewalt des Fremden gewesen war. Keine Luft bekam. Kaum Hoffnung hatte, mich selbst zu retten. Mein Hals zog sich zusammen, als sich Geisterhände um mich legten. Ich ballte die Faust und kämpfte gegen das Schluchzen an, das sich so schnell und überwältigend in meiner Brust formte. Cristiano hatte am Telefon nicht normal geklungen. Er hatte meinen Namen gesagt, als wäre es in Zeitlupe, von ganz weit weg. Und ich hatte einen Mann im Hintergrund sprechen hören. Was hatte er gesagt?
In meinen Schläfen pochte es und in meiner Kehle brannten ungeweinte Tränen. Wir hatten telefoniert …
Mein Herz schlug schneller bei dieser unbekannten und angstvollen Erregung.
Komm zurück .
Das war die wichtige Sache, die ich versucht hatte, ihm zu sagen, ohne die Person zu verraten, die ich gewesen war, als ich hier ankam. Wenn ich gewusst hätte, dass das seine letzten Momente gewesen wären, dann hätte ich es einfach ausgesprochen.
Komm nach Hause .
Ich drehte mich um und lehnte mich gegen die Tür. Eine der Wände vor mir war aufgeschoben worden und darin befanden sich Regale, wie in einem großen Spind. Jaz gab Pilar eine Decke und eine Flasche Wasser, wobei sie ihre Waffe fest in der Hand behielt. In einer Ecke stand ein Monitor, auf dem die Bilder der Sicherheitskameras im Haus zu sehen waren. Nicht, dass viel zu sehen wäre, es war tödlich still und ruhig.
Ich öffnete den Mund, um Jaz zu erzählen, was passiert war. Vielleicht konnte ich einen Zusammenhang finden zwischen dem Angriff hier im Haus und den Sachen, die ich bei Cristiano am Telefon gehört hatte. Doch dann fielen mir Jaz’ Worte wieder ein. Wenn Cristiano es nicht schaffte nach Hause zu kommen, würde ich es nicht lebend hier rausschaffen. Sie hatte mich gewarnt, dass mir niemand in den Badlands verzeihen würde, dass Cristiano sein Leben für mich in Gefahr brachte. Wenn Cristiano in Gefahr war, war ich in Gefahr. Jaz hatte das vor nicht einmal ein paar Stunden deutlich gemacht. Es wäre meine Schuld, wenn er nicht wieder zurückkehrte.
Mein Leben für seins.
Plötzlich stand Pilar vor mir und versuchte, mich von der Tür zu kriegen. „Du siehst nicht sonderlich gut aus.“
„Sie hat sich den Kopf angeschlagen“, sagte Jaz und sah mich aus ihren braunen, mandelförmigen Augen an. „Ist dir übel?“
Pilar machte sich auf ihrem Kopf einen Knoten ins Haar und nahm mich am Ellbogen. „Du solltest dich hinlegen.“
„Sie sollte alles andere tun, als sich hinlegen“, sagte Jaz.
„Wo sind die anderen alle?“, fragte ich Jaz. Pilar zog an meinem Arm, aber ich blieb stehen. Das Pochen in meinem Kopf konnte warten. „Wo ist Alejandro?“
Jaz schüttelte den Kopf. „Er kämpft oder ist tot.“
„Hast du ihn gesehen?“
„Nein, aber ich weiß es. Manche Kartelle denken, sie können hier einfallen, uns einfach abschlachten. Aber keiner, der hier reinkommt, kommt jemals wieder raus. Wir können uns verteidigen und das werden wir. Sie können nicht wissen, dass jeder Mensch in diesem Haus bis zum Tod kämpfen wird für das, was wir aufgebaut haben.“
Die Badlands waren nicht Cristianos Stadt. Sie gehörten allen, die dort lebten. Und offensichtlich war ich nicht die Einzige, die Cristiano mit der Fähigkeit ausgestattet hatte, sich zu verteidigen. Genau wie diesen Ort, im Falle seiner Abwesenheit.
Pilar ging zurück zu dem Regal und suchte nach etwas. Als die Tür hinter mir piepte, trat ich beiseite und Alejandro schob zwei weitere Frauen vom Personal hinein, die sofort in Jaz’ offene Arme liefen.
Ich griff nach Alejandros Ellbogen. „Hast du etwas von Cristiano gehört?“
„Ich habe nach dir gesucht.“ Sein Blick suchte mein Gesicht ab. Jaz und die Frauen sprachen miteinander. „Was ist passiert?“
„Hast du von ihm gehört?“, wiederholte ich laut und plötzlich herrschte Stille im Bunker.
Cristiano ist tot .
Das hier ist der Preis, der gezahlt werden muss .
Alejandros sah zu Boden. „Ich muss wieder nach oben. Bleib hier, bis ich dich hole.“
„Max?“, fragte Jaz. „Daniel?“
Als er die Namen der beiden Männer, die mit Cristiano unterwegs gewesen waren, hörte, drehte Alejandro den Kopf weg. An seiner Wange klebte Schmiere. „Nichts.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus und Panik kam in mir auf. „Nichts?“
„Niemand antwortet auf meine Anrufe.“
„Vielleicht können sie nur gerade nicht“, sagte Pilar. „Sie könnten die Telefone ausgeschaltet haben, oder schlafen …“
„Sie wurden auch angegriffen.“ Alejandro seufzte, deutlich im Zwiespalt darüber, ob er bleiben oder wieder nach oben gehen sollte. Und vielleicht sogar darüber, wie viel er sagen sollte. „Und in einem Notfall wie diesem, bei Gefahr draußen im Einsatz und einem Eindringling oder einem Angriff innerhalb der Festung, halten wir immer alle zehn Minuten Kontakt. Egal wie. Das ist ein Gesetz.“
Die Luft um mich herum zog sich zusammen, mein Blickfeld verengte sich bis auf einen Blutfleck auf Alejandros grünem, langärmeligem Shirt. Ich konnte immer noch Cristianos dunkle, lebendige Stimme am Telefon hören. Sein schwer erarbeitetes Lachen. Sein gefasster, nervenzermürbender Befehl an mich, sofort in den Keller zu gehen, als die Sirene losging. Bei ihm war kein Alarm zu hören gewesen. Nur mein Name. Und die Stimme im Hintergrund.
Ein Präsent von Belmonte-Ruiz, Arschloch. Du hast dich das letzte Mal mit uns angelegt .
„Belmonte-Ruiz“, wisperte ich. Mexikos allgegenwärtiger Menschenhandelsring. Sie wollten Cristiano tot sehen. Aus gutem Grund. Er hatte sie beklaut. War allen Versuchen ihn aufzuhalten ausgewichen. Er war stolz darauf gewesen, ihnen Schaden zuzufügen, allein dadurch, dass er noch am Leben war. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit gewesen, bevor die Sache ihn einholen würde. Und doch, auch in dem Wissen, dass er sein Zuhause, seine Leute, seine Frau und sich selbst in Gefahr brachte, hatte er weiter darauf bestanden. Er war nicht davon abzubringen gewesen, denjenigen zu helfen, die sich nicht selbst helfen konnten. Ich wollte deswegen gern wütend auf ihn sein. Aber es zeigte nur, was für ein Mensch er war. Ein Mann, den ich angezweifelt und verschmäht hatte, wo ich nur konnte. Er war das Gute in einer Welt voller Schlechtem. Und ich hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, ihm das zu sagen, bevor er …
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