Während wir ein wenig fassungslos dieses US-Wunder anstarrten, kletterte Mr. John Frost in die Kajüte. Dort ließ er sich nieder und begann, Formulare um sich zu verbreiten. Wir waren schüchtern gefolgt.
»Na, alles gesund an Bord? Fein! Nennt mich John. Haben euch schon gestern erwartet.«
»Erwartet?« fragte ich.
John freute sich. »Ja, denkt ihr Leute denn, wir wissen nicht, was in der Karibe ’rumfährt? Wir wissen’s!«
»Ach so«, sagte ich.
Wir füllten hungrig, müde, mit brennenden Augen die Formulare aus. Dann wurde das Schiff vermessen – richtig mit Zentimeterband: Vorschiff, Achterschiff, Mittelschiff, Maschinenraum. Wir schwitzten alle heftig, aber es half nichts. Die Ergebnisse wurden fein säuberlich in Tabellen eingetragen.
»Danach wird die Gebühr errechnet«, erklärte John.
»Wie umständlich für eine Jacht«, meinte Elga. »Ein Frachtdampfer hat das alles sicherlich in seinen Schiffspapieren. Nehmen Sie doch für Jachten eine einheitliche Gebühr, John.«
John lachte. »Das ist nicht mein job, Leute. Ich vermesse. Wenn ihr mal wieder des Weges kommt, haben wir euch in unseren Akten. Dann kommt ein anderer an Bord. Wir sind alle spezialisiert.«
»Ach so«, sagte ich.
Um 23 Uhr, nach drei Stunden Arbeit, waren wir fertig – richtig fertig. John bekam einen männermordenden Gordon’s Gin eingeschenkt und zeigte sich erstaunt, daß wir noch kein Abendbrot gegessen hatten. Nachdem er uns mehrere Male eingeschärft hatte, mit welchen Papieren wir zu welchen Behörden morgen zu gehen hätten, verschwand er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« im Lichtdunkel des großen Hafens.
Lautes Schlagen an Deck weckte uns am nächsten Morgen. Vollkommen verschlafen, nur mit einer Turnhose bekleidet, stürze ich an Deck. »US Gesundheit« liegt längsseits. Ein panamesischer Bootsmann donnert mit dem Bootshaken aufs Kajütsdach.
»Hölle!« fahre ich den Bootsmann an. »Hau ab!«
Er grinst amerikanisch, strahlend also.
Ein alerter Mann springt an Bord – am Hemd ein Namensschild »John Brians«, in der Hand eine Tasche, sehr groß, mit Formularen und einer Spritze für Insektenpulver. In der Brusttasche des Hemdes steckt säuberlich eine endlose Reihe von Kugelschreibern aller Farben. Am Gürtel ist eine Klein-Tasche befestigt mit Injektionsspritze und Ampullen für »akute Fälle«.
»Hello!« ruft er. »Fein, daß ihr Leute da seid! Mache hier die Einklarierung. Tun wir’s gleich, dann brauchen wir’s später nicht zu tun. Guten Trip gehabt? Fein! Immer ’ne Menge Wind jetzt in der Karibe.«
Ich erkläre verwirrt, daß gestern John I …
»Ja, John!« ruft John II, »feiner Junge das! Aber er hat ’nen job auf’m Tanker jetzt. Und da bin ich eben zu euch gekommen. Nennt mich John.«
Wir werden also vermessen. Warum auch nicht? Vorschiff und Achterschiff. Wieviel Ladeluken? Wieviel Särge? Welche Häfen seit Beginn der Reise? Wann wurde das Schiff zum letzten Mal entrattet?
»Entrattet?« frage ich.
»Entrattet«, sagt John II geduldig, als spräche er zu Steinzeitmenschen. »Entrattet – also – von Ratte – wie große Maus.« Er zwinkert mit den Augen. »Sehe schon, keine Ratten an Bord. Würde das Schiffchen ja auch gar nicht tragen können.«
Dann erklärt er uns, mit welchen Formularen wir zu welchen Behörden heute gehen müssen. Und dann ist er ganz erstaunt, daß wir noch kein Frühstück gehabt haben. Und schließlich entschwindet er strahlend und winkend auf »US Gesundheit« in die lichtgebadete Sonnenweite des großen Hafens.
In der Stadt liefen wir uns die Absätze krumm an diesem Tage. Doch allerorten war man von überwältigender Freundlichkeit.
Wir hatten unser kleines, rotes Schlauchboot ganz in der Ecke des Hafenbeckens festgemacht. Als wir am Nachmittag zurückkehrten, fürchteten wir schon in der Ferne das Schlimmste. Der Bug eines Flugzeugträgers ragte über die Dächer der Schuppen. Wenn ich etwas nicht mag, dann, daß Flugzeugträger neben unserem kleinen, roten Schlauchboot festmachen – besonders seitdem es nicht mehr ganz neu ist und Flickstellen hat. Wir eilten zur Pier.
Aber es war alles in Ordnung. Das Schlauchboot lag klein und rot in der Hafenecke und rieb seine Nase vertrauensvoll an dem grauen Riesenbug. Seht mal, schien es zu sagen, womit ich heute spielen darf!
Wir verholten »Kairos« zum Jachtclub, dessen Gebäude am alten Französischen Canal liegt. Dort machten wir am Steg fest. Die »Posh« aus Los Angeles und die »Coaster« aus Seattle lagen dort. Die Skipper Bob und Don lebten mit ihren Familien an Bord. Sie wollten ebenfalls durch den Kanal – die »Posh« dann weiter nach Los Angeles, die »Coaster« nach Hawaii.
Sie begrüßten uns mit einem Willkommenstrunk, der lustig zum Abend in ein Barbecue auf dem Clubsteg überging.
»Fein, Leute!« sagte ich schließlich gesättigt und konnte, von einer Menge Whisky zu sozialem Denken gebracht, meine Erfahrungen des Tages zusammenfassen: »Fein, daß ihr Leute und wir Leute – daß wir alle da sind.«
Die Panama Canal Zone ist Territorium der USA. Sie umfaßt einen Streifen Land von 5 Meilen zu jeder Seite des Kanals, eingeschlossen die Seen des Inlandes, den Gatun See, den Miraflores See und den Madden Stausee. Letzterer gewährleistet das Füllen der Schleusen. Die Grenze zur Republik Panama ist durch keine Schlagbäume gekennzeichnet. Doch wo die wie keimfrei wirkenden Häuser, die sauberen Straßen, die gepflegten Rasen aufhören und überfüllte Kehrichttonnen, verwahrloste Häuser und schmutzige Gossen beginnen, da verläuft augenfällig die Grenze.
1889 mußten die Franzosen die Arbeiten an dem von Ferdinand Lesseps geplanten Kanal einstellen. Milliarden an Geld, zehntausende an Menschenleben hatte dieser schmale Streifen Festland gekostet, der zwei Weltmeere trennt und zwei Landmassen zu einem Kontinent verbindet. Mit Gelbfieber, Malaria, Seuchen, mit Sumpf, Dschungel und granitenen Bergen hatte er Kapitalkraft, Ingenieurkunst, Organisationstalent zuschanden gemacht – acht Jahre vergeblichen Mühens.
Zu einem Spottpreis kauften die Amerikaner die Rechte auf. Sie vollendeten den Kanal nicht mit Spaten und Bulldozer. Sie taten es mit Petroleum und Feuer. Sümpfe und Dickichte, die Brutplätze der krankheitsübertragenden Moskitos, wurden mit Petroleum übergossen und niedergebrannt. Jetzt konnte der Kanal in einem fieberfreien Gebiet zu Ende gebaut werden. Seitdem haben es die Amerikaner verstanden, ihre Canal Zone gesund zu halten. An der atlantischen Seite liegt der Hafen Cristóbal, an der pazifischen der Hafen Balboa. Die entsprechenden panamesischen Städte heißen Colón und Panama.
Wir rüsteten uns in Cristóbal aus. »Kairos« mußte noch weit mehr als bei unserer Ausreise von Hamburg beladen werden. Denn wir wußten nicht, was es auf den Pazifik Inseln außer den ortsüblichen Lebensmitteln zu kaufen geben würde.
Wir verfertigten wieder endlose Listen, tätigten endlose Einkäufe und schleppten alles im Schweiße unseres Angesichts an Bord. Schwierigkeiten bereitete die Beschaffung von Knäckebrot, wir mußten mit amerikanischen Biskuits vorliebnehmen. Sie schmecken pappig. Schön war der Erwerb von Salzwasserseife, mein morgendliches Duschbad auf dem Vorschiff würde im Zeichen schäumenden Genusses stehen.
Abends saßen wir über Seekarten und Handbüchern. Im Großen Ozean waren die Galapagos Inseln unser erstes Ziel. Flauten, Gewitterböen, starke Strömungen herrschen dort. Aus den Erfahrungen unendlich vieler Segelreisen sind in den Handbüchern günstige Kurse über See beschrieben. Wir lasen, machten Punkte auf die Karten, legten Kurse fest, die bald das Abenteuer der Verwirklichung finden sollen.
Mit Bob und Don besprachen wir die Kanaldurchfahrten unserer Jachten. Sie wollten uns bei unserer Durchfahrt helfen, wir ihnen bei der ihrigen.
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