Detlev Sakautzky
MARITIME ERZÄHLUNGEN
Wahrheit und Dichtung
Band 2
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Detlev Sakautzky MARITIME ERZÄHLUNGEN Wahrheit und Dichtung Band 2 Engelsdorfer Verlag Leipzig 2017
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Nachkriegszeit
Gereinigt vom Schmutz der gemäßigten Zone
Die Waffe der Dornhaie
Das Gift der Feuerqualle
Ruder und Propeller frei
Klotzen statt Kotzen
Wassereinbruch
Robert raucht nicht mehr
Tödlich verunglückt
Unverzollt
Sputnik ist weg
Liebe Grüße von Marie
Farblos und Bizarr
Frederik und Friederike
Müller antwortet nicht
Hindernis am Meeresgrund
Worterklärungen
Am spätem Abend, es war sehr dunkel, hielt ein LKW mit Flüchtlingen und Vertriebenen auf dem Dorfplatz des kleinen Ortes mit dem Namen Gutshof. Es regnete. Das Verdeck wurde durch den Fahrer geöffnet, im Schein von Taschenlampen kamen Frauen und Kinder zum Vorschein. Sie waren lange unterwegs gewesen und kamen aus einem zentralen Aufnahmelager für Flüchtlinge. Es waren Familien aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Sudetenland. Einige der Dorfbewohner hatten sich um den LKW versammelt, unter ihnen der Bürgermeister, Herr Müller, ein älterer hagerer Bauer. Er hatte Einweisungszettel in der Hand, auf denen die Namen der Flüchtlinge und die Aufnahmequartiere geschrieben standen. Der Bürgermeister war durch die Militärverwaltung angewiesen worden, die ankommenden Flüchtlinge und Vertriebenen im Dorf aufzunehmen. Die Verteilung der Flüchtlinge erfolgte unter Berücksichtigung der Größe der Flüchtlingsfamilie und den Unterbringungsmöglichkeiten der ansässigen Bauern. Die Frauen und Kinder kletterten langsam und vorsichtig von der Ladefläche des LKWs. Der Fahrer reichte das Gepäck, die Kisten, Koffer, Taschen und Säcke herunter, das die Flüchtlinge persönlich in Empfang nahmen und ablegten. Die Bauern machten sich bekannt mit den Flüchtlingen, die der Bürgermeister ihnen zugewiesen hatte, und brachten sie in die vorgesehene und vorbereitete Unterkunft.
*
Frau Solltau und ihre beiden Kinder, Hans fünf Jahre und Robert zwei Jahre alt, wurden Herrn Pfeifer, einem Großbauern, zugewiesen. Sein Knecht hatte eine große Schubkarre mitgebracht. Er war groß und kräftig. Schnell hatte er die Gepäckstücke auf die Karre gelegt. Zwei große Pappkoffer, einen Sack mit Bettwäsche, eine verpackte Nähmaschine von der Firma Singer, drei mit Kleidung gefüllte Pappkartons und ein Rucksack waren die ganze Habe, die sie aus Ostpreußen mitbrachten. Der Knecht brachte die kleine Familie zum Wohnhaus des Bauern, das sich in einem umschlossenen Hof in der Nähe des Dorfplatzes befand. Auf der einen Seite des Hofes sahen die Ankömmlinge Stallungen und einen großen Misthaufen, auf der anderen Seite Feldeggen, Pflüge, einen Kultivator und einen Leiterwagen. Der Hof war durch eine Mauer und durch ein großes Tor gesichert. Der Zugang zum Wohnhaus erfolgte über eine Steintreppe, auf der die Bäuerin, eine sehr dicke, unfreundlich blickende Frau, mit ihrer Tochter auf die kleine Familie wartete. Die Bäuerin führte sie in ein kleines Zimmer unter dem Dachboden, das auf Jahre ihre Heimstatt werden sollte. Zwei Holzbetten, mit gefüllten Strohsäcken, ein kleiner Kleiderschrank, ein kleiner Tisch, zwei Stühle, ein kleiner, runder Eisenofen mit einer Kochfläche und eine Holzkiste für die Lagerung von Brennmaterial waren das bescheidene Mobiliar, das der Bauer zur Verfügung stellte. Eine Glühlampe erleuchtete den kleinen bescheidenen Raum. In der Nähe der Zimmertür standen auf einem Gestell eine mit Wasser gefüllte Waschschüssel und ein Blecheimer für die Notdurft. Der Knecht brachte das Gepäck ins Zimmer.
„Darf ich Ihnen noch behilflich sein?“, fragte der Knecht fürsorglich.
Frau Solltau verneinte und bedankte sich für seine angebotene Hilfe. Bevor er ging, schenkte er Hans und Robert zwei große rotbäckige Äpfel. Hans bedankte sich artig. Frau Solltau begann ihre Habseligkeiten auszupacken und in den kleinen Schrank einzuräumen. Dann richtete sie die Betten her. Die mitgebrachten weißen Laken wurden über die Strohsäcke gelegt, die Kopfkissen und Zudecken mit karierten Bezügen versehen, die sie aus Ostpreußen mitgebracht hatte.
Etwas später brachte die Bäuerin eine dünne Kartoffelsuppe und eine Blechkanne mit schwarzem, ungesüßtem Malzkaffee.
„Danke für die Fürsorge“, sagte Frau Solltau freundlich.
„Morgen müssen sie selber kochen. Vor der Tür stehen ein halber Sack mit Kartoffeln und ein halber Laib Brot“, sagte die Bäuerin herrisch. Eine menschliche Anteilnahme war der Frau nicht anzusehen.
Hans und Robert waren hungrig. Auf der Fahrt hatten sie kein Essen bekommen. Sie saßen auf den beiden Holzstühlen am kleinen Tisch und warteten, bis die Mutter die tiefen Teller halb vollfüllte. Die Suppe war so dünn, dass ein Löffel für die Einnahme der Suppe sich erübrigte. Hans trank sie mehr, als er löffelte. Robert wurde durch die Mutter beim Löffeln unterstützt. Für Frau Soltau blieb ein kärglicher Rest. Die kleine Familie war von den Anstrengungen des Tages und der langen Fahrt erschöpft. Hans und Robert schliefen sofort ein, nachdem die Mutter beide in ihr gemeinsames Bett gelegt hatte. Nachts wurde Frau Solltau durch fremde, laute Geräusche geweckt. Vor dem Hoftor standen russische Soldaten, die nach Wurst und Speck riefen. Sie rissen am verschlossenen großen Eisengittertor und drohten mit ihren Gewehren. Der Bauer lief zum Hoftor und brachte Würste. Für die Russen waren es zu wenige, die der Bauer ihnen brachte. Nach wiederholten Drohungen lief der Bauer zurück ins Haus und holte noch weitere Würste.
„Der Geizkragen, uns hat er nur eine Wassersuppe gegeben“, sagte Frau Solltau leise zu den Kindern, die vom Lärm am Hoftor wach geworden waren und vor Angst nicht mehr einschlafen konnten.
*
Am folgenden Tag meldete sich Frau Solltau mit den Kindern beim Bürgermeister. Andere Flüchtlinge waren schon hier gewesen. Sie erhielt für ihre kleine Familie Lebensmittelkarten, Milchkarten, Brotkarten, Bezugsscheine und Kohlenkarten. Die ausgewiesenen Waren konnte sie in einem Dorfladen des Nachbardorfes gegen Bezahlung erwerben, sobald das Geschäft beliefert worden war. Die festgelegten bescheidenen Rationen reichten nicht aus zum Überleben, das wusste Frau Solltau. Die Kinder kannten den Hunger. In den Flüchtlingslagern wurde gehungert. Ältere Menschen und Kinder starben in großer Anzahl geschwächt durch Hunger und Typhus. Hans und Robert waren abgemagert, die Wangen in den Gesichtern waren eingefallen, die Körper waren mager, die Beine dünn, sie wirkten äußerlich kraftlos. Frau Solltau ging von Hof zu Hof und bot den Bauern ihre Arbeitskraft für Nahrungsmittel an. Sie arbeitete, sobald sie gebraucht wurde. Die beiden Kinder waren häufig sich selbst überlassen.
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