Sie richtete sich auf. Mit ihrer Stimme hätte man einen Eisblock schneiden können. »Dass du dich nicht schämst, Kristian! Erst machst du mir Schuldgefühle, damit ich dir nicht mehr böse bin, und wenn ich dann auf dich zugehe, bügelst du das mit einem sarkastischen Spruch ab.«
Ich bat um Verzeihung. Schweigend nuckelten wir unsere Smoothies, dann stellte Irmgard ihr Glas ab und murmelte: »Dabei wollte ich gerade sagen …«
Sie geriet ins Stocken, ihr Blick flackerte. »Obwohl unsere Ehe nicht so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben, sind wir immer noch Freunde. Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Und falls du deine Therapie schlecht verträgst oder allein nicht zurechtkommst, kannst du auch eine Weile bei mir wohnen und ich versorge dich.«
Dass sie dem Ex, der sich gerade benommen hatte wie ein Elefant im Porzellanladen, nun dennoch die Wohnungstür öffnete, machte mich sprachlos. Wir umarmten uns. Wenn auch die Denkbarkeit fehlte, so war doch die Dankbarkeit echt.
»Sag bloß nicht, dass du wieder rauchst!«
Schnüffelnd trat Wolff einen Schritt zurück und schüttelte mit der Entrüstung eines militanten Exrauchers den Kopf.
»Ist meine Krebsdiät. Frei nach Frank Zappa.«
»Zappa wäre auch ohne Zigaretten gestorben, bei ihm hat man die Diagnose verschlampt und dann war der Tumor schon inoperabel. Deiner beschränkt sich auf die Prostata, und die kann ich dir rausmontieren.«
Ich holte tief Luft und teilte ihm meine Entscheidung mit: Drei Monate neoadjuvante Hormontherapie mit Bicalutamid und erst im Anschluss daran endgültige Festlegung der primären Therapie. Ich begründete den Wunsch nach Aufschub und schloss meine weitschweifige Erklärung mit der Bitte um eine Empfehlung für die geeignete Viagra-Dosis, falls das Medikament sich auf meine Potenz auswirken sollte.
»Spinnst du?« Wolff schüttelte den Kopf und versuchte mich umzustimmen. Wenn schon keine OP, dann wenigstens eine »richtige« Hormontherapie.
Ich blieb stur. Keine Kastration.
An Wolffs massigem Hals spannten sich die Sehnen und sein Kiefer mahlte. »Wie kann ein wissenschaftlich versierter Pathologe so mit dem Schwanz denken, wenn es um sein Überleben geht?«
Ich lehnte mich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. »Schon mal was von Psychoonkologie gehört? Gerade einem Urologen sollte doch wohl einleuchten, dass der Schwanz nicht nur dem Vergnügen dient, sondern auch zum Pinkeln– und zwar, wann und wohin man will und nicht aus Versehen in die Hose.«
Ich starrte auf die wuchtige Eiffelturm-Lampe auf seinem Schreibtisch. Schon als Studenten in der alten Clique waren Wolff und ich selten im selben Raum gewesen, ohne binnen Kürze in einem verbalen Schlagabtausch zu landen. Als Kickboxer traf Wolff zielgenau ins Empfindliche, wohingegen ich eher den Florettfechter gab, der mit rhetorischer Ironie die Lacher auf seine Seite zog. Wie er allerdings mit Kristina umgesprungen wäre, hätte er sie kennengelernt, mochte ich mir nicht ausmalen.
»Starck, du bist ein Spacken, aber der Patient ist Souverän der Therapieentscheidung.«
Auf meine Frage, ob weitere Untersuchungen zum Ausschluss von Metastasen sinnvoll wären, meinte er, das sehe die Leitlinie bei meinem PSA nicht vor, und es sei auch überflüssig, da ich sowieso ein Medikament nehmen wolle, das im gesamten Körper wirke. Diese Aussage fand ich sowohl beruhigend als auch beängstigend, hakte aber nicht nach. Nachdem ich versprochen hatte, in sechs Wochen eine PSA-Kontrolle durchführen zu lassen und ihm das Ergebnis mitzuteilen, bekam ich das gewünschte Rezept mit dem Kommentar, Ärzte als Patienten seien eine Strafe Gottes, immerhin aber mit der Aufforderung: »Melde dich gefälligst, wenn du zurück bist – oder sonst auch, anytime.«
Als wir nach der Verabschiedung unseren Händedruck lösten, fiel das beklemmende Unbehagen von mir ab. Ich hatte mich nicht gegen meinen Willen umstimmen lassen.
Und nun konnte der Roadtrip beginnen.
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