»Wohnst du schon lange hier?«, fragte er, als wäre das ein Frühstück mit neuen Bekannten. »Es sieht alles so neu aus.«
»Fast zehn Jahre. Ich bin nach dem Studium hier eingezogen.«
»Oh. Und da konntest du dir die Miete leisten?«
»Ich habe die Wohnung gekauft.« Adrian probierte vom Rührei, ohne den Blick von seinem Gast zu wenden.
Du kleiner Scheißer , dachte er. Das spielst du doch nur.
Er wusste, wie sie normalerweise schauten. Er hatte gemerkt, wie krampfhaft es seine alten Freunde vermieden, ihn anzuschauen. Wie die Jungs vom Lieferdienst versucht hatten, ihr Entsetzen zu verbergen, bevor er angewiesen hatte, das Essen einfach vor der Tür abzustellen und zu klingeln. War ausgerechnet dieser lebende Stallburschenkalender so ein guter Schauspieler, dass er sich nichts anmerken ließ?
»Gekauft.« Sebastians Blick wanderte über die Fenster, hinter denen die Stadt langsam zum Leben erwachte. »Das hier? Das muss doch Millionen gekostet haben.«
»Hat es.«
Sebastians Brötchen verharrte auf dem Weg zum Mund. »Echt jetzt? Ich meine, klar, aber … Ich kenn nur keinen, der so viel Geld hat. Also hast du das geerbt, oder …«
Niemand konnte so gut schauspielern. Niemand. Adrian öffnete den obersten Knopf des Pyjamaoberteils, um noch mehr Entstellungen zu zeigen. Da, endlich. Sebastians Blick wackelte. Leichte Röte schoss in die Wangen und ließ ihn noch ländlicher aussehen. Adrian hätte beinahe gelächelt.
»Warm hier«, sagte er und öffnete einen weiteren Knopf.
Endlich zeigte der Mistkerl Ekel. Er räusperte sich und versuchte krampfhaft, nicht auf die besonders schweren Verbrennungen auf der Brust zu schauen. »Äh, ja. Warm.«
Adrian sah seinen Adamsapfel hüpfen. Bittere Befriedigung erfüllte ihn. Ja, er war noch genau so scheußlich wie zuvor. Ein Monster, das in einer übergroßen Wohnung hockte und sich vor der Welt verbarg.
»Hast du Angst vor mir?«, fragte er Sebastian und beugte sich vor. Seine Wange spannte und kribbelte und fühlte sich doch taub an. Sebastians Augen weiteten sich, als diese Abscheulichkeit auf ihn zukam. Gut. Adrian würde ihn vertreiben. Dieses Frühstück war beendet. Gleich würde er wieder herrlich allein sein.
»Uh, Adrian …«
Warmer Atem, ein buttersüßer Hauch aus Sebastians Mund, streifte Adrians Nase. Er lächelte.
Weich zurück. Kapier, dass ich nicht auf einen miesen Schauspieler wie dich reinfalle …
Sebastian beugte sich vor und küsste ihn.
Lippen, weich wie Seide, pressten sich auf Adrians vernarbte. Einen Moment lang. Dann war er es, der zurückwich.
»Was soll das, verdammt?!«, brüllte er.
Sebastian ruderte mit den Armen und fiel von seinem Hocker. Einen Moment später erschien sein Blondschopf wieder hinter der Tischkante.
»Aber …«, sagte er. »Ich dachte, du willst … also …«
»Dich küssen?!« Adrian richtete sich zu seiner vollen Größe und Scheußlichkeit auf. »Warum sollte ich das wollen?«
Das saß. Sebastian wurde blass. Seine Lippen öffneten sich und er schaffte es doch nicht, etwas zu sagen. Ein kleines Krächzen war alles, was er zustande brachte.
»Danke für die Gastfreundschaft«, presste er schließlich heraus. Dann stürzte er an Adrian vorbei und sammelte hektisch seine Sachen vom Sofa. Mit dem überquellenden Rucksack ausgerüstet verließ er die Wohnung.
Endlich wieder allein.
Adrian fühlte sich allein. Er wischte sich über den Mund, an dem Honigreste klebten. Er hatte keinen Honig gegessen. Das war Sebastian gewesen.
»Dieser kleine Mistkerl«, sagte Adrian und versuchte, wütend zu sein. »Denkt der, er kann bleiben, wenn er was mit mir anfängt?«
Ja, vermutlich. Der Arsch war ein noch besserer Schauspieler, als er gedacht hatte. Gut, dass er weg war.
Er nahm sein Brötchen vom Teller und biss hinein. Es schmeckte wie Pappe.
Wie verdammt peinlich war das denn gewesen? Wastl stöhnte leise. Der Aufzug surrte. Um diesen grauenvollen Moment zu verkraften, gönnte er sich den Luxus, nach unten zu fahren statt zu laufen. Außerdem fühlten seine Beine sich wie Weißwürste an.
Mal sehen , dachte er. War das jetzt peinlicher als damals, als ich auf Luzias sechstem Geburtstag so lachen musste, dass ich mich eingepullert habe oder nicht?
Er sortierte den Kuss schließlich auf Rang drei der peinlichsten Momente seines Lebens ein, knapp unter dem ersten und schlechtesten Blowjob, den er je gegeben hatte. Der Pfarrer hatte vor Schmerzen geschrien.
Aber es hatte wirklich so ausgesehen, als ob Adrian sich vorgebeugt hätte, um … Na gut, warum hätte er ihn küssen sollen? Nichts an der Situation hatte darauf hingedeutet. Es war nun echt kein romantisches Frühstück gewesen. Wieso hatte er gedacht, dass …
Weil du untervögelt bist. Darum, Wastl. Und weil dieser blöde Adrian aussieht wie ein düsterer Graf oder so.
Wie der aus dem Schlafzimmer gestürmt war. In seinem schwarzglänzenden Schlafanzug, den die Muskeln fast gesprengt hatten. Was der Adrian wohl trainierte? Seine dunklen Haare waren noch zerzaust vom Schlaf gewesen und der Pyjamastoff war zwar edel, aber nicht besonders dick, und … Nun, Wastl glaubte ganz sicher, unter einer der glänzenden Falten Adrians … Johannes gesehen zu haben.
Du bist kein Kind mehr, Wastl. Du hast seinen Schwanz gesehen. Na, den Abdruck von Adrians Schwanz und der sah ganz schön, also schön aus. Nicht ungroß …
»Servus, Wastl!«, brüllte Vroni ihm in die Fresse und er sprang rückwärts.
»I hab nichts gedacht!«, rief er und hob die Hände. »Ich meine, Servus, Vroni. G-gut siehst du aus.«
»Tja, du nicht so, Blondchen.« Sie schaute mitleidig. Heute trug sie einen lilafarbenen Umhang, in den Perlen und Spiegel eingearbeitet waren. Er wirkte, als hätte sie darunter einen Zauberstab, einen Zylinder und mehrere weiße Tauben versteckt. »Also gut siehst du immer aus, aber du schaust, als hättest du kaum geschlafen.«
»Hab ich auch nicht.« Er sah sich um. Blitzschnell erfasste er, dass der Aufzug unten hielt, wo Vroni und zwei seiner Kollegen einstiegen. Er musste vergessen haben, den Knopf für den 3. Stock zu drücken. »Äh, ich war in der Tiefgarage, eine rauchen.«
»Du rauchst? Das hätt ich ja nicht von dir gedacht, Blondchen.«
»Ich hör vielleicht wieder auf«, sagte er. Würde Rauchen ihn männlicher wirken lassen? Oder wäre das nur ein weiterer Grund für seine Kolleginnen, sich um ihn zu sorgen und ihn wie ein Kleinkind zu behandeln?
»Gut so.« Sie holte aus, um ihm über die Haare zu streichen, und er wich zurück. »Mensch, Kleiner, du bist ja schreckhaft heute.«
»Ich bin kein Bübel«, sagte er und schaute männlich und würdevoll. »Hör auf, mir über die Haare zu streichen und mich Kleiner zu nennen.«
»Ach, Kleiner, du bist witzig heute.« Sie lachte meckernd. »Gut, dass du hier angefangen hast. Die anderen Mädels sind solche Schnarchnasen.«
Er schluckte den erneuten Misserfolg hinunter und trottete ihr hinterher ins Büro. »Servus, Blondchen«, schallte es ihm entgegen.
Die Arbeit war nicht einfach. Wastl hatte sich weder in der Schule noch in der Ausbildung durch besondere Brillanz hervorgetan und die Einarbeitung dauerte nun schon vier Wochen. Aber so langsam hatte er das Gefühl, Vronis System zu durchschauen. Bald zumindest. Weit weniger leicht zu verkraften waren die Mails, die stetig hereintröpfelten.
Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen …
Leider haben wir uns für einen anderen Mieter entschieden …
Wir können Ihnen die Bewerbungsmappe leider nicht zurücksenden …
Er war obdachlos. Immer noch. In der Mittagspause war wie üblich eine Besichtigung, aber selbst wenn er die Wohnung bekam, würde er irgendwie ein paar Wochen überbrücken müssen. Wie? Einen Kredit aufnehmen und zurück ins Hostel? Wieder versuchen, im Büro zu pennen? Irgendwo putzten sie vielleicht nicht. Vroni beschwerte sich doch immer über deren Schlampigkeit, andererseits beschwerte die sich über alles.
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