»Wie war es?«, fragte Valentin sehnsuchtsvoll. »Irland?«
Zebulon schaute, als hätte jemand gefurzt, und zwar genau vor seinem Gesicht. »Irland ist der totale Mainstream. Da fährt doch jede Mutti aus Buxtehude hin, damit sie von den malerischen Weiden schwärmen kann. Provinziell ist das. Ich bin nur da hingefahren, weil der Verlag mich geschickt hat. Die hätten sonst mein Aggressionstraining auf Tuvalu nicht bezahlt.«
»Schön blöd, dass sie es getan haben«, sagte Rob. »Als wärst du vorher nicht schon zickig genug gewesen.«
»Wer ist hier zickig, du Provinzstricher?«
Die Diskussion ging weiter. Valentin flüchtete sich in seine Fantasiewelt, wie so oft. Er stellte sich vor, wie er Professor Südberg nach den Hühnerdiebstählen fragte. Die Frühe Neuzeit war schließlich dessen Spezialität. Vielleicht sollte er es tun. Gleich nach der nächsten Vorlesung. Ob die ebenso informativ und … schön sein würde wie die letzte? Bestimmt. Mit klopfendem Herzen hatte er gelauscht, als der wunderbare Professor von den Auswirkungen des Indienhandels auf die wirtschaftlichen Strukturen Europas erzählt hatte. Südbergs Adlernase und die dezent grauen Schläfen hatten Valentin so abgelenkt, dass er beinahe vergessen hätte, mitzuschreiben.
Von den Hühnerdiebstählen erzähle ich Ihnen am besten über einem Glas Rotwein , sagte Professor Südberg in Valentins Fantasie. Dann lächelte er distinguiert und kam näher. Natürlich roch er nach Sandelholz und dem Ledereinband alter Bücher. Bevorzugen Sie Merlot oder Pinot Noir?
Merlot , hauchte Valentin und der Professor nickte gnädig.
Und dann saßen sie in seinem Arbeitszimmer. Valentin kannte es, weil er hier die letzte Hausarbeit abgegeben hatte. Es war traumhaft. Randvoll mit Büchern. Als Schreibtischstuhl benutzte der Professor einen Ohrensessel. Einen lederbezogenen Ohrensessel. An der rechten Wand, unter den gesammelten Werken Kierkegaards, stand ein gemütlich aussehendes Sofa. Dort würden sie sitzen und Merlot trinken. Der Professor, dessen Vorname Sven-Sebastian lautete, würde Valentin das Du anbieten und ihm tief in die Augen schauen und dann …
»Sicher, dass du das Buch nicht einfach abschicken willst?«, fragte Milan, unbemerkt von den beiden Krawallbürsten.
»Nur noch eine Überarbeitung. Ehrlich.«
Milan zuckte mit den Achseln. »Wie du meinst. He, was ist eigentlich mit deinem Mitbewohner? Zieht der jetzt aus?«
»Ja.« Valentins Magen krampfte sich zusammen. Er hatte sich ganz gut mit Frank verstanden. Der war ruhig gewesen, hatte den Putztag eingehalten und meistens sein Geschirr abgespült. Er war alles gewesen, was man sich von einem Mitbewohner wünschen konnte. Nur hatte er Valentin fast jeden Abend von seiner Exfreundin erzählt und das war ihm nach zwei Jahren doch ein wenig auf die Nerven gefallen. Die Storys waren immer bitterer und galliger geworden, je länger der Abend gedauert hatte. Unschöne Worte waren gefallen. »Schlamperte Seekuh« war noch der netteste Ausdruck gewesen, den Frank für sie gefunden hatte.
Nun war er wieder mit seiner Exfreundin zusammen.
»Sie haben eine Wohnung gefunden, im Wedding. Er zieht morgen aus.«
»Morgen schon?«
»Ja, das war der Deal. Sie mussten sie ab sofort nehmen. Sie haben sie nur bekommen, weil der letzte Mieter gestorben ist. Schwerer Alkoholiker. Sie haben ihn erst gefunden, als er bei den Nachbarn durch die Decke getropft ist. Das ist eine einmalige Gelegenheit, meinte Frank. Die Vermieter haben sogar den Boden ersetzt.«
»Und was ist mit dir? Zahlt er dir die Miete für die nächsten Monate? Was steht in eurem Vertrag?«
»Drei Monate. Aber Frank hat kein Geld für zwei Mieten.« Valentin zögerte. »Er hat mir einen neuen Mitbewohner besorgt. Der zieht übermorgen ein.«
»Das ist ja spontan.« Kommst du damit klar? , fragte Milans stoischer Blick.
Valentin straffte sich. »Natürlich. Der neue Mitbewohner ist Altenpfleger. Ein sicherer, netter Job. Bestimmt ist er auch nett.«
»Du kennst ihn noch nicht?«
»Das ging alles sehr schnell«, gab Valentin zu. »Aber irgendwie bin ich froh, dass Frank auszieht. Der Neue hat hoffentlich keine Exfreundin.«
»Vielleicht hat er einen Exfreund.« Robs Zähne blitzten. Seit wann hörte der denn mit? »Vielleicht ist er super-heiß und lässt dich diesen langweiligen Prof vergessen, dem du immer nachjaulst, wenn du besoffen bist.«
Valentins Ohren glühten. Er hätte den anderen nie von Sven-Sebastian, also Professor Südberg, erzählen sollen. Nie. Leider war er betrunken gewesen und hatte auf Trost gehofft. Da war er bei Rob an der falschen Adresse gewesen. Der hatte weder für Liebe noch Liebeskummer etwas übrig.
»Er ist nicht langweilig. Er hat Stil.« Er zwang sich, Rob fest in die Augen zu schauen. »Im Gegensatz zu … zu anderen Leuten.«
»Wen meinst du denn?« Rob legte den Kopf schief. Ein lauerndes Grinsen erschien. »Doch nicht etwa mich, oder?«
»D-dir fehlt doch nur noch ein Goldkettchen, damit du wie ein Lude aussiehst«, brachte Valentin hervor.
Meckerndes Lachen erklang. Zebulon. Wann hatte Zebulon zuletzt gelacht? Musste lange her sein, er klang wie ein eingerosteter Rasenmäher. Selbst in Milans Gesicht erschien sowas wie ein Schmunzeln.
Robs Mund verzog sich zu einem dreckigen Grinsen. »Valentin, du schurkischer Fiesling«, sagte er und griff sich ans Herz. »Pass auf, dass du mich nicht zum Weinen bringst.«
»Tut mir leid.« Valentin senkte den Kopf und ärgerte sich sofort. »Ich meine … Du hast angefangen.«
»Weiter so, Valentin.« Milan prostete ihm zu. »Keine Rücksicht auf Rob. Der hat alles verdient, was ihm zustößt.«
»Das habe ich. Und noch viel mehr.« Stolz hob Rob sein Glas an die Lippen.
Zebulon schnaubte und holte zu einer längeren Geschichte über das Töten des Egos und das Geschenk der Demut aus.
Später erinnerte Valentin sich an diesen Stammtisch als den letzten, bevor das Unglück über ihn hereinbrach. Das Unglück namens Jayson Käsebier.
»Du bist … Sie sind mein neuer Mitbewohner?« Valentin starrte das furchtbare Wesen vor sich an. »Aber …«
»Du reicht. Ich heiße Jayson.« Eine fleischige Pranke schoss vor. Valentin starrte darauf und wusste einen Moment lang nicht, was zu tun war.
Das durfte nicht wahr sein. Das … das war nicht wahr. Frank würde ihm sowas nicht antun.
Tat er aber. Die im Flur verstreuten Trainingsgeräte waren der Beweis. Valentin war gleich über eine Hantel gestolpert und gegen seinen neuen Mitbewohner geprallt. Was nicht viel besser war als auf den Boden zu fallen. Die Holzdielen sahen weicher aus als das … Ding vor ihm. Das Muskelding in dem entsetzlichen neongrünen Shirt und den viel zu engen schwarzen Shorts. Böse Erinnerungen stiegen in Valentin auf. Erinnerungen, wie drei Kerle, die genau so breit waren, seine Schultasche hin und her warfen. Wie einer von ihnen, dessen Haare ebenso abrasiert waren, ihn eine Streberschwuchtel nannte. Und wie baumstammdicke Arme ihm die Luft aus den Lungen pressten, wenn er versuchte, sich zu wehren.
Breite Zähne erschienen, als Jayson lächelte. Okay, das war ganz nett. An diesem Lächeln musste Valentin sich festhalten.
»Jayson.« Er versuchte, ebenfalls zu lächeln, auch wenn er sich nach Heulen fühlte. »Schön, dass du … da bist.« Nicht schön. Gar nicht schön! Was hatte Frank sich dabei gedacht? Dieser angebliche Altenpfleger war ein solariumgebräunter Dorfproll. Er konnte den brandenburgischen Dialekt raushören, egal, wie sehr der sich bemühte, hochdeutsch zu reden. So einer würde den ganzen Tag furchtbaren Kirmestechno hören, lautstark trainieren und garantiert … Partys feiern!
Nein , dachte Valentin. Nicht in meiner Wohnung. Ich bin immer noch der Hauptmieter. Genau.
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