Er seufzte dramatisch und sah mich an. Dann jedoch breitete sich ein überschwängliches Grinsen auf dem Gesicht des Formwandlers aus.
»Ich helfe dir, Prinzessin Lillianna Callahan, Thronerbin der Anderswelt und Herrscherin von Alliandoan. Meine Königin …«
Erleichterung durchfuhr mich bei seinen Worten.
»… unter einer Bedingung.«
»Die da wäre?«
»Ein Kuss.«
Ich erwiderte Drakes nun feurigen Blick fassungslos.
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Und ob es das ist. Meine einzige, und wie ich befürchte, letzte Chance dich zu küssen, Hoheit, und deine Meinung zu ändern.«
»Drake, ich …«
»Mehr verlange ich nicht. Für einen Verrat an Narcos und deine Chance, nach Crinaee zu reisen. Ein simpler Kuss.«
Nichts an Drake war simpel. Aber ich sah ihm an, dass er es ernst meinte. Ein Teil von mir wollte es ihm einfach befehlen. Immerhin war ich seine zukünftige Königin und Drake schuldete mir Treue. Diese wollte ich mir jedoch verdienen und sie mir nicht einfach nehmen. Und vielleicht, gestand ich mir ein, ganz vielleicht, war ein kleiner Teil von mir auch neugierig, wie es sich anfühlte, ihn zu küssen. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatte es für mich nur Lucan gegeben. Lucan war der erste Mann gewesen, den ich seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren geküsst hatte und bis jetzt war er auch der einzige.
»Ein Kuss?«
»Ein Kuss.«
»Also gut.«
Ich nickte bestätigend.
Drakes Augen blitzten auf und mit einer eindeutigen Geste lehnte er sich näher zu mir. Ein nervöses Flattern ging durch meinen Magen und ich erinnerte mich daran, dass ich Lucan damit nicht betrügen würde. Wir waren nicht vereint. Wir waren kein Paar. Dennoch fühlte es sich seltsam falsch an, als Drake sich weiter vorlehnte und mich, eine Hand an meinem Hinterkopf, sanft an sich zog.
Unsere Lippen berührten sich, erst zaghaft und dann forscher. Es war ein angenehmer Kuss. Entschlossen, aber zärtlich und ich spürte, dass Drake es ernst meinte. Er wollte mich küssen und schuldete ich es ihm dann nicht, wenigstens gedanklich voll dabei zu sein?
Wie von selbst schlossen sich meine Augen und ich gab nach. Drake gab ein zustimmendes Stöhnen von sich und zog mich noch dichter. Seine Zungenspitze schnellte vor und berührte spielerisch die meine. Der Formwandler war ein hervorragender Küsser, aber ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes erwartet. Mit Sicherheit hatte er eine Menge Übung. Nach einer Weile lösten wir uns voneinander und mit leicht geröteten Wangen begegnete ich dem hungrigen Blick aus Drakes jetzt komplett bernsteinfarbenen Augen. Macht vibrierte zwischen uns und Magie knisterte in der Luft. Drakes Magie, erkannte ich, und wandte leicht verlegen den Blick ab. So angenehm der Kuss auch gewesen war, er hatte nichts in mir ausgelöst. Keine Funken, keine Leidenschaft und erst recht keine Magie. Verglichen mit dem Chaos, das Lucans und mein Kuss in Aflys ausgelöst hatte, war es beinahe enttäuschend. Und offensichtlich empfand nicht nur ich so. Drake ließ meinen Kopf los und lehnte sich mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl zurück.
»Verdammt, Lilly.«
»Es tut mir leid«, flüsterte ich und meinte es auch so. Mein Leben wäre um einiges leichter, wenn ich für Drake das empfinden würde, was der Formwandler-Prinz offensichtlich mir gegenüber empfand oder empfinden wollte.
»Dir muss nichts leidtun. Du suchst dir deine Gefühle ja auch nicht aus und das Herz liebt, wen es nun mal liebt, nicht wahr?«
Als ich nichts erwiderte, fluchte Drake leise. »So weit ist es zwischen euch also schon?«
»Drake …«
»Schon gut.«
Abwehrend hob er beide Hände und schenkte mir ein gequältes Lächeln. Gern hätte ich ihm die ganze Wahrheit gesagt, aber niemand außerhalb meiner eigenen vier Wände sollte wissen, dass ich Lucans Gefährtin war. Dieses Wissen war viel zu sensibel, um damit hausieren zu gehen. Auch wenn ich Drake nach heute wirklich zu vertrauen begann.
»Du wirst sie finden, deine Gefährtin, eines Tages, Drake, aber ich bin es leider nicht.«
»Ich weiß.«
Grüne Funken seiner Magie explodierten um uns herum und auf dem Tisch vor uns erschienen zwei Schnapsgläser mit einer mir gut bekannten Flüssigkeit.
»Rhys?«
»Ich brauche gerade etwas Stärkeres als Kaffee.« Er hielt mir eins der Gläser hin.
»Trinkst du mit mir?«
»Worauf?«
»Selbsterkenntnis?«
Ich schnappte mir eins der Gläser und lachte leise auf.
»Lass uns lieber auf Freundschaft trinken, okay?«
Das letzte Mal, als ich auf die Selbsterkenntnis getrunken hatte, war der Moment gewesen, in dem ich mich unwiderruflich in Lucan verliebt hatte. Unpassender ging es dann nicht mehr. Drake seufzte und stieß mit seinem Glas gegen meins.
»Freunde«, erwiderte er und kippte den Rhys herunter. Ich zögerte kurz, denn immerhin war mein letztes Rhys-Erlebnis nicht allzu lange her, dann jedoch folgte ich seinem Beispiel und trank das brennende Zeug in einem Zug. Unendlich froh darüber, dass er mir half und dass wir Freunde waren, aber auch ein wenig traurig. Drake war ein guter Mann, ich mochte es nicht, ihn leiden zu sehen. Wegen mir.
»Mach dir um mich keine Sorgen, Prinzessin. Ich komme klar. Bin ich immer, werde ich immer.«
Alleine. Er sagte es nicht, aber ich hörte das Wort deutlich.
»Du bist nicht alleine, Drake. Du hast mich. Wir sind Freunde und ich bin für dich da. Du bist immer willkommen in meinem Haus, in meinem Leben und auch in meinem Palast in Arcadia.«
»Danke.«
Abwesend griff er nach meiner Hand und küsste sie. »Die Anderswelt hat lange auf jemanden wie dich gewartet, Liebes.«
Ich zuckte bei dem Kosenamen unwillkürlich zusammen. So hatte Lucan mich auch genannt, bei unserem Gespräch über Elisa. An jenem Tag, als ich herausfand, wer ich für ihn war. Auch wenn es irrational war, so fühlte sich mein Besuch hier immer mehr wie ein Verrat an dem Assassinen-König an.
»Ich sollte jetzt gehen.«
Drake, Gentleman der er war, begleitete mich in den Innenhof seines Palasts und sah dabei zu, wie ich das Portal mit Hilfe des kleinen Runensteins erneut öffnete.
»Ich überlege mir etwas wegen Crinaee. Du wirst zeitnah von Narcos hören, das verspreche ich dir. Ach, und Lilly?«
»Ja?«
»Vielleicht fragst du Magister Scio bei Gelegenheit, ob er bereit wäre, uns in Vesteria zu helfen, ich … ich würde gerne die Sklavenverträge mit Permata auflösen.«
Oh, Drake.
»Es wäre mir eine Ehre«, antwortete ich ernst. Dann bedankte ich mich bei ihm und verabschiedete mich mit einer letzten Umarmung.
»Lucan ist ein verdammt glücklicher Bastard. Ich hoffe, er weiß es zu schätzen.«
Nicht mal im Ansatz, aber das musste Drake ja nicht wissen.
»Mach‘s gut, Drake.«
»Gib auf dich Acht, Prinzessin.«
Mit gemischten Gefühlen trat ich durch das Portal zurück in meine eigene Welt. Ich hatte erreicht, was ich wollte. Sogar noch mehr, bedachte man, Drakes letzten Kommentar zu Permata.
Wieso, fragte ich mich, fühlte ich mich dann so mies?
Genauso lautlos wie ich verschwunden war, betrat ich unser Haus in der Welt der Sterblichen und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg in die Küche. Ich konnte es kaum erwarten, Olli von meinem Gespräch mit Drake zu erzählen. Er würde ganz aus dem Häuschen sein!
Für sage und schreibe zehn Minuten waren wir alleine und ich hatte meine Erzählung soeben beendet, als Nick durch die Tür stürmte und sie geräuschvoll hinter sich zuknallte.
»Mir fehlen die Worte!«, donnerte er und trat drohend auf Olli und mich zu.
»Hast du eine Ahnung, was ich die letzte Stunde durchgemacht habe? Ganz zu schweigen von Malik! Ich weiß, ich habe geschworen, dir mehr Raum zu geben, aber das? Das war nicht Teil der Abmachung! Nach allem, was du bis jetzt gelernt hast, Lilly! Wie kannst du so dumm sein? So fahrlässig mit deiner eigenen Sicherheit? Wie? «
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