Figuren werden damit zu Repräsentanten im Repräsentanten im Grundkonflikt Grundkonflikt zwischen einer neuen Zeit, die durch wissenschaftliche Erkenntnis und den Zweifel an den tradierten Denkweisen und Machtverhältnissen beginnt, und den sozialen Gruppen und Institutionen, die diese Machtverhältnisse aufrechterhalten wollen. Sie sind zugleich Sprachrohr der Interessen, Denkweisen, Wertvorstellungen und Weltbilder der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die in ihrem Verhalten und in den dialogischen Auseinandersetzungen sichtbar werden. Sprengkraft des neuen WeltbildesWelche Sprengkraft in dem neuen Weltbild liegt, das durch die Methode des Experiments und das Denkprinzip des Zweifels ermöglicht wurde, zeigen nicht nur die Vertreter der Kirche wie der sehr alte Kardinal, der kleine Mönch und der Inquisitor, sondern auch Ludovico als Vertreter des Landadels, Vanni als Repräsentant des handel- und gewerbetreibenden Bürgertums sowie die Pamphletisten und Balladensänger bei den Fastnachtsumzügen.
Im Mittelpunkt des Stücks steht der Physiker Galilei, der in allen Szenen oder Bildern auftritt außer der Fastnachtsszene (10. Szene, S. 94–98), dem Empfang des Inquisitors beim Papst (12. Szene, S. 105–108) und der Schlussszene (15. Szene, S. 128–131). Bereits in der 1. Fassung geht es Brecht nicht um den individuellen Fall der historischen Figur, sondern um das Verhalten eines Wissenschaftlers im Konflikt mit der Macht. Im Lauf der zahlreichen Be- und Umarbeitungen wird Galilei mehr und mehr zur parabelhaften » Galilei als Demonstrationsfigur Demonstrationsfigur«,7 an der Probleme und Widersprüche der Rolle der Intellektuellen in aktuellen politisch-gesellschaftlichen Situationen thematisiert werden: vom Kampf gegen den Faschismus über die Moskauer Schauprozesse (1936–38) im Stalinismus und die Rolle der Physiker bei der Herstellung der Atombombe bis zur dogmatisch erstarrten Ideologie im SED-Staat der DDR. In der langen Auseinandersetzung Brechts mit seiner Figur von den ersten Entwürfen Ende der dreißiger Jahre bis zu den Proben im Berliner Ensemble bis kurz vor seinem Tod wird diese auch zu einer »Selbstprojektion« des Selbstprojektion des Autors Autors, in die seine eigenen »Haltungen, Zweifel und Hoffnungen« eingeflossen sind.8
Dem Protagonisten, der mit dem Instrument der Vernunft und der empirisch-experimentellen Methode des Erkennens der Wegbereiter einer neuen Zeit ist, stehen Zwischen alter Ordnung und neuer Zeit Figuren gegenüber, welche die alte Ordnung repräsentieren, die durch die neuen Erkenntnisse bedroht ist: die Vertreter der Kirche (der Papst, die Kardinäle Bellarmin und Barberini, der Inquisitor, Pater Clavius und Astronomen im Collegium Romanum), Ludovico als Repräsentant des Landadels und der Feudalordnung, die Gelehrten am Hof des Großherzogs von Toskana als Vertreter der tradierten Wissenschaft, die sich auf die Schriften der Autoritäten (Aristoteles) stützt. Helferfiguren Helferfiguren des Protagonisten sind seine Schüler und Mitarbeiter (Andrea, der Linsenschleifer Federzoni, später der kleine Mönch) und der Freund Sagredo, der Galilei die gefährlichen Folgen seiner astronomischen Entdeckungen bewusst machen möchte und ihn davor warnt, an den Hof von Florenz zu gehen.
Brecht zeigt Galilei nicht nur in seiner Rolle als Wissenschaftler im Konflikt mit der Macht, sondern auch in seinen Verhaltensweisen im privaten und beruflichen Umfeld. Bedenkenlos zerstört dieser die langjährige Verlobung seiner unehelichen Familiäre Konstellation Tochter Virginia mit Ludovico, weil ihm seine Erkenntnisleidenschaft wichtiger ist als deren Glück. Diese gerät immer mehr unter den Einfluss der Kirche, die sie als Instrument der Überwachung Galileis nach der Verurteilung zum Hausarrest benutzt. Bis zur Verurteilung führt ihm die gläubige Frau Sarti den Haushalt, sorgt für sein leibliches Wohl und kümmert sich selbst während der Pest um ihn, obwohl er durch seine Forschungen für sie ein »Ketzer« (S. 90) ist. Ihr wissbegieriger Sohn Andrea wird nicht nur zum wichtigsten Schüler, sondern auch zum geistigen Sohn Galileis. Seine Bedeutung im Stück bekommt er als Korrespondenzfigur für die Thematisierung des zentralen Problems der gesellschaftlichen Funktion der Wissenschaft und der Verantwortung des Forschers.
Neue Zeit und alte Ordnung stehen sich nicht nur im privaten Umfeld Galileis gegenüber, sondern auch in seinem Konstellation als Wissenschaftler beruflichen. Die Ratsherren der Republik Venedig, die eine gewisse Unabhängigkeit der Forschung von der Kirche ermöglicht, aber Galilei schlecht bezahlt, sind nur an der ökonomischen Verwertbarkeit von Erkenntnissen interessiert, so dass sich Galilei gezwungen sieht, ein Fernrohr als eigene Erfindung auszugeben, um sein Gehalt zu verbessern. Um Zeit für seine astronomischen Entdeckungen zu haben, wird Galilei Hofgelehrter in Florenz, gefährdet damit aber zugleich die Freiheit des Forschens durch die Abhängigkeit einer Feudalmacht von der Veränderung der Sichtweise Kirche, die ihn schließlich zum Widerruf zwingt und ihn zum Gefangenen der Inquisition macht, der nur noch unter deren Kontrolle seine Forschungen wie ein Laster weiterführt.
Abb. 2: Figurenkonstellation
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